Lehrlingsmangel: Gratis-Führerschein als Anreiz

Die Zahl der Lehrlinge ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Unter den Betrieben entbrannte deshalb ein regelrechter Wettbewerb um die Lehrlinge. Zahlreiche Unternehmen bieten daher Anreize für Lehrlinge.

Viele Unternehmen kämpfen derzeit darum, neue Lehrlinge zu finden. 17.000 Fachkräfte werden in den nächsten fünf Jahren fehlen - mehr dazu in Breite Allianz soll mehr Fachkräfte bringen (noe.ORF.at; 11.1.2018). Die Konkurrenz durch weiterführende Schulen sei groß, sagt Martin Menhart, Geschäftsführer des Installationscenters Menhart in Furth (Bezirk Krems). Generell gebe es heutzutage viel mehr Möglichkeiten für Jugendliche. Der Betrieb startete deshalb ein gemeinsames Pilotprojekt mit der Neuen Mittelschule, um die Lehrlinge von morgen zu gewinnen.

Lehrlinge Furth

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Martin Menhart (r.) mit seinem Lehrling Kevin Kuchinka

„Wichtig ist es, in die Schulen zu gehen und dort zu versuchen, das junge Publikum abzuholen, ihnen das Arbeiten und das Arbeitsverhältnis schmackhaft zu machen. Dadurch kann man sie vielleicht schon ein wenig sensibilisieren, damit sie nicht sagen ‚ich muss studieren‘ oder ’ich muss in eine höhere Schule weitergehen‘“, so Menhart gegenüber noe.ORF.at.

Jobgarantie und Führerschein als Bonus

Matura und Lehre schließen sich dennoch nicht aus. Laura Nolz ist Lehrling bei Spar und macht neben ihrer Lehre auch die Matura: „Ich habe mir gedacht, ich probiere das, weil Spar es anbietet. Ich fahre zwei Mal in der Woche, immer dienstags und donnerstags am Abend, ins WIFI nach St. Pölten und mache derzeit die Englisch-Matura“.

Grafik Lehrlinge

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Die Zahl der Lehrlinge ist in den vergangenen Jahren stark gesunken

Spar such in diesem Jahr 900 Lehrlinge für ganz Österreich, 150 für Niederösterreich. Der Wettbewerb um die jungen Menschen sei groß, erklärt Alois Huber, Geschäftsführer von Spar Österreich: „Das große Ziel ist, die Fachkräfte in der Zukunft zu haben. Hier müssen wir uns als Unternehmen anstrengen, dass wir unsere Fachkräfte auch selbst ausbilden."

Um noch attraktiver für die Lehrlinge zu werden, gibt es zusätzliche Anreize. Für gute Leistungen werden Prämien oder der Führerschein bezahlt. Auch eine Jobgarantie nach der Lehre und Aufstiegsmöglichkeiten sind möglich. Dennoch diagnostiziert Huber: „Ich glaube, die Lehre hat leider ein Imageproblem. Weil man doch sieht, jene jungen Menschen, die einen abgeschlossenen Lehrberuf haben, sind gefestigt in ihrer Zukunft. Da müssen wir gemeinsam - Politik, Schule und Unternehmer - uns anstrengen, hier dieses Image weiter voranzutreiben."

Lehre legt Imageproblem immer mehr ab

In den vergangenen Jahren habe die Lehre unter einem starken Imageproblem gelitten, dieses würde sich aber langsam wieder erholen, erklärt Stefan Gratzl, Lehrlingsexperte bei der Wirtschaftskammer Niederösterreich im Gespräch mit noe.ORF.at. Diese Veränderung sei auch durch Zahlen zu belegen, da sich in den vergangenen Jahren wieder mehr Jugendliche für eine Lehre entschieden hätten, so Gratzl.

noe.ORF.at: Die Lehrlingszahlen sind drastisch gesunken, hat die Lehre ein Imageproblem?

Stefan Gratzl: Ja die Lehre hat ein Imageproblem, das ist aber nicht der einzige Grund, sondern auch die demographische Entwicklung. Es gibt einfach weniger Jugendliche, um die der Kampf von Schulen und Betrieben größer geworden ist. Natürlich ist auch feststellbar, dass das schulische Aus- und Weiterbildungsangebot gewachsen ist. Es wird daher für Jugendliche immer schwieriger, die richtige Berufswahl zu treffen.

Stefan Gratzl Lehrlingsexperte

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Stefan Gratzl, Lehrlingsexperte der Wirtschaftskammer Niederösterreich

noe.ORF.at: Wohin soll das führen, wenn die Zahlen immer weiter sinken?

Gratzl: Wir sind zuversichtlich, dass wir eine Trendwende spüren. Wir hatten im Jahr 2016 ein Plus von 2,8 Prozent von jungen Menschen, die sich für eine Lehre entschieden haben. Ich habe noch keine Zahlen aus dem Jahr 2017, aber unsere Prognosen stimmen uns sehr zuversichtlich, dass es wieder ein großes Plus gibt. Wir spüren seit zwei Jahren, dass immer mehr junge Menschen die Lehre als attraktive Ausbildung sehen und sich entscheiden, eine Lehre zu machen.

noe.ORF.at: Ist es der guten Konjunktur geschuldet, dass Betriebe mehr Mitarbeiter aufnehmen, oder gibt es eine Trendwende?

Gratzl: Es sind beide Faktoren, natürlich spielt die Konjunktur hier mit. Die Wirtschaft braucht zum einen gute Fachkräfte bei einem Wachstum von bis zu drei Prozent. Die Lehre hat aber zum anderen auch wieder Attraktivität bekommen. Eine Lehrlingsausbildung ist durchaus attraktiv, insbesondere, wenn man sich die steigenden Arbeitslosenzahlen bei Akademikern ansieht.

noe.ORF.at: Seitens der Politik wird einiges angekündigt und unternommen, von Jobmessen und Förderungen ist die Rede. Reicht das, um Jugendliche für den Lehrberuf zu interessieren?

Gratzl: Wir sind bei vielen regionalen Messen und dort Ansprechpartner für Jugendliche, Lehrer und Eltern in der Berufsorientierung. Man muss die Jugendlichen in der Region abholen und sie dort informieren, welche Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten es gibt, welche Unternehmen dort tätig sind, welche offenen Lehrstellen es gibt? So kann man das Optimum für die jungen Menschen herausholen.

noe.ORF.at: Gestern war in der Politik und bei den Sozialpartnern die Rede davon, dass in den nächsten fünf Jahren bis zu 17.000 Fachkräfte in Niederösterreich fehlen werden. Kommt es nicht zu spät, dass es jetzt wieder mehr Lehrlinge gibt?

Gratzl: Es ist hoffentlich noch nicht zu spät. Wir sind alle gefordert, Maßnahmen zu setzen, damit es in Zukunft Fachkräfte gibt. Die Lehrlinge von heute sind die Fachkräfte von morgen. Wir unternehmen alle - die Wirtschaftskammer, das Land, die Sozialpartner, die Arbeiterkammer - sehr viele Maßnahmen, um diesen Trend zu beschleunigen, dass es wirklich steil bergauf geht mit den Lehrlingszahlen, damit wir der Wirtschaft die dringend benötigten Fachkräfte liefern können.

noe.ORF.at: Von der anderen Seite betrachtet: Wie groß ist das Angebot, das Jugendliche in Anspruch nehmen können?

Gratzl: Es gibt ein sehr breit gefächertes Angebot. Das wichtigste Angebot ist der Begabungskompass. Hier hat der Jugendliche die Möglichkeit, seine individuellen Stärken, Fähigkeiten und Kompetenzen feststellen zu lassen und dann mit seinen Eltern eine Beratung zu machen. Dabei geht es darum, den richtigen Beruf zu erkennen und welche Möglichkeiten dem Jugendlichen zur Verfügung stehen. Es ist wichtig, dass der Jugendliche den Beruf ergreift, für den er die Talente mitnimmt, wichtig ist, dass es seiner Person entspricht.

noe.ORF.at: Gibt es einen zu großen Druck, weil viele von den Eltern oft hören: „Wenn du nicht studierst, hast du keine Chance?"

Gratzl: Das war lange ein Vorurteil in der Gesellschaft. Das hat auch dazu beigetragen, dass das Image der Lehre nicht mehr das ist, was es einmal war. Wenn wir uns die Arbeitslosigkeit bei Akademikern anschauen, wenn wir sehen, dass sich immer mehr Maturanten entscheiden, eine Lehre zu machen, dann sehen wir, dass hier ein Umdenken stattfindet und dass die Lehre auch bei Maturanten und auch in der Gesellschaft wieder einen besseren Stellenwert bekommt.

Das Gespräch mit Stefan Gratzl führte Robert Ziegler, noe.ORF.at