Einem: Ein Traditionalist wäre 100 geworden

Gottfried von Einem hätte am 24. Jänner seinen 100. Geburtstag gefeiert. Der Komponist lebte von den 1970er Jahren bis zu seinem Tod 1996 im Waldviertel und in Wien. Er wird als Kulturkämpfer mit Wurzeln in der Tradition bezeichnet.

Galt er zu Lebzeiten vielfach als Ausläufer der tonalen Entwicklung der Konzertmusik, wird Einem mittlerweile eher als ein Vorläufer einer neuerlichen Hinwendung zur tonalen Tonsprache gesehen. Dabei war dem jungen Einem bereits von frühester Kindheit an klar, was er werden wollte. Der Sprössling aus einem militärisch geprägten Elternhaus, in dem Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler Furtwängler, Arturo Toscanini und Bruno Walter verkehrten, fühlte sich stets zum Komponisten berufen.

Goffried von Einem um 1947

Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien

Gottfried von Einem, um 1947

Dieses „Traumziel“ konnte er schon früh erreichen: Einem wurde Österreichs Zugpferd unter den zeitgenössischen Musikdramatikern und hinterließ neben einem umfangreichen Werk auch viele Initiativen und kulturpolitische Anregungen.

Geboren wurde Gottfried von Einem am 24. Jänner 1918 in Bern als zweiter von drei Söhnen des österreichischen Militärattaches Ernst William von Einem - jenes Mannes, der 1917 die Überstellung der Zürcher Emigranten Lenin und Trotzki arrangierte und damit ein indirekter Wegbereiter für die Russische Revolution wurde. Eigenen Angaben zufolge entstammte Einem jedoch der Affäre seiner Mutter mit dem ungarischen Grafen Laszlo Hunyady.

Kurz darauf übersiedelte die Familie nach Schleswig-Holstein, wo Gottfried das Gymnasium in Plön und Ratzeburg besuchte. Nach Schulabschluss und kurzem Dienst beim österreichischen Heer ging Einem nach Berlin, um bei Paul Hindemith zu studieren. Hindemith war aber bereits suspendiert worden, und so trat Einem im März 1938 als Kapellmeister und Korrepetitor in die Berliner Staatsoper ein.

Früher Erfolg mit „Dantons Tod“

Bei Boris Blacher studierte er von 1941 bis 1943. In dieser Zeit entstand das Ballett „Prinzessin Turandot“, das dem 26-Jährigen frühen Ruhm brachte. Es folgten „Capriccio für Orchester“, von den Berliner Philharmonikern uraufgeführt, und die Hafislieder. Einems Concerto, von Herbert von Karajan mit der Berliner Staatskapelle uraufgeführt, entfachte wegen der Jazz-Improvisationen im letzten Satz einen kulturpolitischen Wirbel, dem der Künstler durch eine Berufung an die Wiener Staatsoper „geographisch auswich“. 1945 entzog er sich der Gestapo, indem er sich in in die Ramsau absetzte.

Gottfried von Einem um 1950

Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien

Gottfried von Einem, um 1950

Bereits 1944 hatte der Komponist die Arbeit an „Dantons Tod“ (nach Georg Büchner) aufgenommen. Die Uraufführung dieses Werks 1947 bei den Salzburger Festspielen machte den jungen Tonsetzer mit einem Schlag berühmt. 1953 wurde in Salzburg auch seine Oper „Der Prozeß“ (nach Franz Kafka) unter Karl Böhm herausgebracht. Einem war mehrere Jahre als Mitglied des Direktoriums der Salzburger Festspiele in die Profilschärfung der Institution eingebunden, allerdings führte sein vehementes Eintreten für Bertolt Brecht und dessen Einbürgerung dazu, dass er das Direktorium verließ - eine von vielen Situationen, in denen sich Einem mit Verve für seine Überzeugungen einsetzte.

Er übersiedelte 1953 nach Wien, wo das Ballett „Medusa“ entstand und die in Hamburg 1964 uraufgeführte Oper „Der Zerrissene“. Die Nestroy-Oper hatte ihre Wiener Premiere zum 50. Geburtstag des Komponisten 1968 in der Volksoper. Auch die 1971 in Wien uraufgeführte Oper „Der Besuch der alten Dame“ (nach Friedrich Dürrenmatt) wurde ein internationaler Erfolg, dem sich 1976 „Kabale und Liebe“ (nach Friedrich Schiller) anschloss. Die Kantate „An die Nachgeborenen“ erklang 1975 als Festkonzert der UNO.

Skandale, Provokationen und Übersinnliches

Und doch blieb Einems Oeuvre ungeachtet aller Erfolge stets auch skandalträchtig. So provozierte die Wiener Uraufführung der Mysterienoper „Jesu Hochzeit“ 1980 etwa Proteste katholischer Kreise. Dem Libretto von Lotte Ingrisch, seit 1966 Ehefrau des Künstlers, wurde Blasphemie vorgeworfen. 1990 folgte die Oper „Tulifant“, wieder nach einem Libretto von Lotte Ingrisch im Wiener Ronacher, 1998 posthum die Premiere von „Luzifers Lächeln“.

Gottfried von Einem um 1975

Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien

Gottfried von Einem, um 1975

Wobei die heute 87-jährige Lotte Ingrisch den Begriff „posthum“ wohl infrage stellen würde. So veröffentlichte sie 1997 unter dem Titel „Ratte und Bärenfräulein“ die Gesprächsprotokolle ihrer Unterredungen, die die Jenseitsexpertin seit seinem Todesdatum, dem 12. Juli 1996, mit Einem geführt hatte. Ingrisch war die letzte Frau, die prägenden Einfluss auf das Leben des Komponisten nahm, nachdem dieser besonders in jungen Jahren eine starke Bindung an seine Mutter Gerta Louise hatte, die er im gleichen Jahr wie seine erste Ehefrau Lianne von Bismarck verlor. Aus dieser Ehe entstammt auch sein Sohn Caspar, einstmaliger SPÖ-Innenminister.

Neben den zentralen Musiktheaterwerken entstanden auch zahlreiche Lieder, Orchester- und Kammermusik, Schauspiel- und Filmmusiken. Auf allzu dissonanzenreiche Harmonik oder gar Atonalität verzichtete der Komponist dabei, wandte sich im späteren Werk gar wieder den Ausläufern der Spätromantik zu. Einems Einfluss auf das heimische Musikschaffen ging dabei über die eigene Arbeit hinaus, zeichnete er doch in offizieller wie inoffizieller Eigenschaft für die Gestaltung der Programme der Wiener Konzerthausgesellschaft mitverantwortlich, saß ab 1960 im Direktorium der Wiener Festwochen und wirkte mehrere Jahre als Professor an der Wiener Musikhochschule und als Präsident der Urheberrechtsorganisation AKM.

„Ich hab’ unendlich viel erlebt“

Seit 1975 war Einem Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und vermachte dem Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde auch seinen Vorlass. Ab den 1970er Jahren war Einem überdies so etwas wie der Hauskomponist des Carinthischen Sommers, der zahlreiche seiner Werke - Kammermusiken und symphonische Arbeiten - zur Uraufführung brachte.

Gottfried von Einem um 1985

Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien

Gottfried von Einem, um 1985

„Ich hab’ unendlich viel erlebt“ lautet der Titel der im Verlag Ibera und Molden erschienenen Autobiografie von Gottfried von Einem, in der sich der Künstler wie gewohnt kein Blatt vor den Mund nahm, wenn er über die Stationen seines Werdegangs sowie über Kollegen und Mentoren plauderte. So zählten etwa der hassgeliebte Richard Wagner, Herbert von Karajan sowie Claudio Abbado zu seinen ewigen „Reibebäumen“. Gewürdigt wurde Einems Wirken ungeachtet aller Widerborstigkeit um der Sache willen, so etwa mit dem Großen Österreichische Staatspreis (1965), dem Körnerpreis (1955) und dem Preis der Stadt Wien (1958).

Buchhinweis

Joachim Reiber: Gottfried von Einem. Komponist der Stunde null. Kremayr & Scheriau, 288 Seiten, 24,00 Euro.

Das Waldviertel als zweites Zuhause

Seit den 1970er Jahren besaß das Ehepaar Einem/Ingrisch ein Haus in Rindlberg bei Bad Großpertholz (Bezirk Gmünd), Anfang der 1990er Jahre kauften die beiden das ehemalige Schulhaus in Oberdürnbach bei Maissau (Bezirk Hollabrunn), wo Einems letzte Kompositionen - Kammermusik und Lieder - entstanden und wo er starb, das Haus ist heute eine Gedenkstätte.

Gottfried von Einem starb am 12. Juli 1996 in Oberdürnbach, bestattet wurde er in einem Ehrengrab auf dem Friedhof Wien-Hietzing. Yad Vashem würdigte ihn posthum 2002 als „Gerechter unter den Völkern“. Einem hatte unter anderen den Berliner Musiker Konrad Latte während der Kriegsjahre unter Decknamen engagiert. Und schließlich widmete die Stadt Wien dem Komponisten im Mai 2017 den Gottfried-von-Einem-Platz in der Inneren Stadt.

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