Einem: Komponist der Stunde null

Gottfried von Einem wäre am 24. Jänner 100 Jahre alt geworden. Joachim Reiber beschreibt in dem Buch „Gottfried von Einem. Komponist der Stunde null“ Schlüsselmomente im Leben des 1996 verstorbenen Künstlers.

„Die Sehnsucht war groß, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Uhren neu zu stellen: Stunde null. In der Musik verkörperte keiner den Neubeginn Österreichs so sehr wie der junge Gottfried von Einem. Seine Oper ‚Dantons Tod‘, 1947 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt, machte den damals 29-Jährigen über Nacht weltberühmt. Das Werk traf den Nerv der Zeit, Einem war der Mann der Stunde“, schreibt Joachim Reiber, Musikpublizist, Essayist und Chefredakteur des Magazins „Musikfreunde“ der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.

Goffried von Einem um 1947

Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien

Gottfried von Einem, um 1947

Gottfried von Einem lebte mit seiner Ehefrau, der Schriftstellerin Lotte Ingrisch, von den 1970er Jahren bis zu seinem Tod 1996 im Waldviertel und in Wien. Er wird als Kulturkämpfer mit Wurzeln in der Tradition bezeichnet - mehr dazu in Einem: Ein Traditionalist wäre 100 geworden (noe.ORF.at; 23.1.2018).

„Dantons Tod“ - eine Oper für die Stunde null

„Eiskalt und feurig: Aus solchen Extremen nährt sich die Leidenschaft. Und darauf waren beide aus, Büchner wie Einem“, meint Reiber und zitiert den Komponisten, warum er Georg Büchners Drama vertonte: „Die Politik ist eine Leidenschaft wie jede andere. Wie Liebe, Hass. Jedenfalls wenn sie im Menschen brennt, (...) ihn über sich hinaushebt, ihn schliesslich vernichtet. Viele Leidenschaften brennen in den Opern der Weltliteratur ab. Nur selten die der Politik.“

Buchhinweis

Joachim Reiber: Gottfried von Einem. Komponist der Stunde null. Kremayr & Scheriau, 288 Seiten, 50 s-w-Fotos, 24,00 Euro.

Der Büchner-Text, den Einem seiner Oper voranstellte, mündet in eine Frage: „Was ist das, was in uns lügt, stiehlt, mordet?“ Eine Frage von immenser Tragweite, sie blieb offen, „so wie ‚Dantons Tod‘, als Oper der Stunde null, eine große Frage offenließ. Keine geringere als die, ob es sie nicht doch gegeben habe: die Verantwortung? Die moralische? Die ganz persönliche?“ (Reiber).

Nach der Uraufführung am 6. August 1947 bei den Salzburger Festspielen trat die Oper einen Siegeszug an, quer durch Europa bis in die USA, besonders stark war die Resonanz im Nachkriegs-Deutschland und -Österreich. Was meinte Einem später über seine erste Oper: „Die Uraufführung wurde entgegen vielen Voraussagen ein Erfolg.“

Seine Opern feierten weltweit Erfolge

In dem Buch „Gottfried von Einem. Komponist der Stunde null“ stellt der Autor vor allem den Opernkomponisten in den Mittelpunkt, so tragen sechs der neun Kapitelüberschriften die Namen von Einem-Opern wie „Der Prozess“ (nach Kafka), „Der Zerrissene“ (nach Nestroy), „Der Besuch der alten Dame“ (nach Dürrenmatt), „Kabale und Liebe“ (nach Schiller) sowie „Jesu Hochzeit“.

Gottfried von Einem um 1975

Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien

Gottfried von Einem, um 1975

Für diese 1980 entstandene Oper schrieb Einems Ehefrau Lotte Ingrisch das Libretto, sie verfasste auch die Libretti zu „Tulifant“ und „Luzifers Lächeln“ sowie zahlreiche Liedtexte. Joachim Reiber zitiert aus zahlreichen Quellen, seien es Uraufführungskritiken, Zeitzeugenberichte, Briefe oder Originalaussagen Einems. Reiber versucht, nicht nur den Künstler und Komponisten zu zeigen, sondern auch den Philosophen, den Kosmopoliten und den Liebenden: „Wer die Libretti meiner sieben Opern liest, kann daraus ablesen, wer ich bin“, so Einem.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 9.1.2018

Auch die Rolle Lotte Ingrischs im Lebens und Schaffen des Komponisten wird ausführlich gewürdigt, mit der Einem von 1966 bis 1996 verheiratet war. Ab den 1970er Jahren besaß das Ehepaar ein Haus in Rindlberg bei Bad Großpertholz (Bezirk Gmünd), Anfang der 1990er Jahre kauften die beiden das ehemalige Schulhaus in Oberdürnbach bei Maissau (Bezirk Hollabrunn), wo Einems letzte Kompositionen - Kammermusik und Lieder - entstanden und wo er starb, das Haus ist heute eine Gedenkstätte.

Reinhard Linke, noe.ORF.at

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