Waldviertel: Immer mehr Frauen gehen

Die Gemeinden im Waldviertel schrumpfen seit vielen Jahren. Laut einer Studie gehen vor allem Frauen. „Gehen die Frauen, stirbt das Land“, sagt die Studienautorin Gerlind Weber von der Universität für Bodenkultur, im Interview mit noe.ORF.at.

noe.ORF.at: In manchen Gemeinden im Waldviertel leben um 40 Prozent weniger Frauen zwischen 20 und 29 als Männer. Warum gehen die Frauen?

Gerlind Weber: „Die Frauen gehen aus Ausbildungsgründen. Wenn sie dann die Ausbildung abgeschlossen haben, finden sie keinen geeigneten Arbeitsplatz. Teilweise gehen sie weg, weil sie einem Partner nachziehen. Das sind sehr konservative Gründe. Man muss aber fragen, was die Männer stärker hält. Vermutlich sind die Männer oft die Übernehmer eines Bauernhofes oder Betriebes. Männer sind auch stärker in Vereine eingebunden, legen Wert auf Freundschaften und sind dadurch ortstreuer.“

Gerlind Weber

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Gerlind Weber erforscht den ländlichen Raum

noe.ORF.at: Spielen dabei die patriarchalen Strukturen im ländlichen Raum eine Rolle?

Weber: „Die patriarchalen Strukturen lassen die Frauen flüchten. Sie wollen ein emanzipiertes Leben in einem städtisch geprägten Milieu führen.“

noe.ORF.at: Welche Konsequenzen hat das Fehlen der Frauen für das Leben in den Dörfern?

Weber: „Gehen die Frauen, stirbt das Land. Die Frauen sind Hoffnungsträger für die Gemeinschaft. Sie sind potentielle Partnerinnen, die den jungen Männern fehlen. Sie sind potentielle Mütter. Das ist eine Tragik für viele kleinere Orte. Damit dünnt die Bevölkerung nach unten hin weiter aus.“

noe.ORF.at: Sind für diese Schrumpfungsprozesse, etwa im Waldviertel, auch politische Fehler als Ursache zu sehen?

Weber: „Bei der Kommunalpolitik hat man den Fehler gemacht, dass man sich an die Ortstreuesten gewandt hat, an die Frauen mit Kleinkindern. Man investiert auch jetzt sehr viel in Kinderbeaufsichtigung. Man übersieht, dass diese Frauen ohnehin nicht am Sprung sind. Es gibt eine Lücke zwischen Beendigung der Ausbildung und Eintritt in das Berufsleben. Dort sind die Frauen oft auch relativ allein gelassen und fühlen sich nicht angenommen mit ihren Anliegen.“

noe.ORF.at: Was sind diese Anliegen?

Weber: „Die sind relativ trivial. Wenn man sie fragt, was geht ihnen ab, sagen sie Shopping, Pizzaservice, Gymnastik, Masseuse. Das sind die Wünsche, die ihnen nicht erfüllt werden.“

Langau bei Geras, Ortsansicht

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Langau bei Geras im Waldviertel: In den 1980er Jahren lebten hier weit mehr als 1.000 Menschen, heute sind es nicht einmal mehr 700

noe.ORF.at: Können diese Prozesse überhaupt noch gestoppt werden?

Weber: „Ich glaube, man muss den Tatsachen ins Auge blicken. Die Prozesse der rückläufigen Entwicklung sind nicht zu stoppen. Diese Schrumpfungsprozesse müssen angenommen werden. Das Gehirnschmalz muss dahingehend investiert werden, wie wir mit weniger Menschen mehr erreichen können. Nicht ständig auf Zuzug hoffen, der dann nie stattfindet. Das ist ein Spiel, das nie ein Ende findet. Wenn ich durch attraktive Baugrundangebote junge Menschen aus der Nachbargemeinde anlocke, dann gehen diese Menschen dort ab. Das ist ein Headhunting um die jungen Leute, das nicht zielführend ist. Man müsste sich auf das Wenige einstellen und danach trachten, wie den Wenigen eine gute Lebensqualität geboten werden kann. Stattdessen hofft man ständig auf ein Mehr an Bevölkerung oder auf einen Investor, der einen Betrieb errichtet.“

noe.ORF.at: Manche Gemeinden versuchen, wenigstens die Wochenpendler im Ort halten zu können. Ist das eine Strategie der Zukunft?

Weber: „Die emotionale Bindung mit den ehemaligen Dauersiedlern aufrechtzuerhalten, ist höchstens Teil einer Strategie. Das Parkpickerl in Wien hindert aber viele Leute, sich in diesen Gemeinden als Dauersiedler zu deklarieren. Da geht dann Geld ab. Man muss die Infrastruktur dann aber auch auf die Zweitwohnsitzer ausrichten. Sie müssen den Kanal, das Müllwesen auf die wenigen Tage in der Woche auslegen, da kommt es zu suboptimalen Nutzungen. Da gibt es Gemeinden, die im Abwassersystem Spülungen machen müssen, weil es sonst die Klärleistungen nicht mehr bringen kann. Das kostet extrem viel und muss von immer weniger Menschen bezahlt werden. Da geht die Schere immer weiter auf.“

Das Gespräch führte Peter Unger, noe.ORF.at

Männer suchen Frauen aus dem Osten

Da in strukturschwachen Regionen Frauen fehlen, „importieren“ Männer immer öfters aus dem Osten. Mit fatalen Konsequenzen: Viele dieser Ehen funktionieren nicht - mehr dazu in Heiratsboom mit Ostfrauen (noe.ORF.at; 23.12.2011).