Buch über Leid der NS-Zwangsarbeiter

Zwischen 1939 und 1945 sind eine Million zivile Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge aus fast ganz Europa auf das Gebiet des heutigen Österreich gekommen. Ein neues Buch dokumentiert nun das Schicksal dieser Menschen.

„Zwangsarbeiter in Österreich 1939 - 1945 und ihr Nachkriegsschicksal“ ist das Resultat eines dreijährigen Forschungsprojekts des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung (BIK) in Graz. Das Buch analysiert auf der Basis von erstmals für die Wissenschaft zugänglich gemachten Akten des Österreichischen Versöhnungsfonds (ÖVF) einzelne Aspekte des Themenbereichs „Zwangsarbeit“, die in bisherigen Forschungen nur am Rande dargestellt wurden.

„Erstmals haben wir gezielt einen Forschungsansatz verfolgt, der die Erforschung des Schicksals von Zwangsarbeitern während ihres Arbeitseinsatzes zwischen 1939 und 1945 mit der Darstellung ihres Schicksals über das Jahr 1945 hinaus verknüpft“, erläutert Dieter Bacher, Mitherausgeber des Sammelbandes und Historiker am BIK.

Erstmals Blick auf die Folgen der Zwangsarbeit

Auf der Grundlage der Unterlagen des Versöhnungsfonds sei nicht nur eine Analyse der Lebens- und Arbeitsumstände während des Zwangsarbeitereinsatzes möglich gewesen, „sondern auch der Blick darauf, welche Folgen dies für das weitere Schicksal dieser Menschen hatte“, so Bacher.

Späte Anerkennung der ehemaligen Zwangsarbeiter

Der ÖVF nahm im Jahr 2001 seine Arbeit auf, mit dem Ziel, auf dem Gebiet des heutigen Österreich eingesetzten ehemaligen Zwangsarbeitern eine späte Anerkennung und finanzielle Hilfe zukommen zu lassen.

Buch: Dieter Bacher und Stefan Karner (Hg.), Zwangsarbeiter in Österreich 1939 -1945 und ihr Nachkriegsschicksal. StudienVerlag 2013, 352 Seiten, zahlreiche Schwarz-Weiß-Abbildungen, 39,90 Euro

Bis zum Abschluss der Arbeiten des ÖVF 2005 bearbeitete der Fonds zirka 150.000 Anträge und legte zu jedem einzelnen Antrag detaillierte Fallakten an. Damit ist der Aktenbestand des Fonds eine der umfangreichsten in Österreich vorhandenen Sammlungen von Zwangsarbeiterschicksalen.

Jede dieser Akten, welche vom BIK erstmals für das Forschungsprojekt herangezogen werden konnten, dokumentiert das Schicksal eines Zwangsarbeiters.

500.000 Zwangsarbeiter in Ostösterreich eingesetzt

Etwas mehr als eine Million ausländische Zwangsarbeiter waren zwischen 1939 und 1945 auf dem Gebiet des heutigen Österreich zur Zwangsarbeit eingesetzt, etwa die Hälfte von ihnen im Landesarbeitsamtsbezirk Wien-Niederdonau. Der Großteil von ihnen (1944 zum Beispiel etwas weniger als ein Drittel) wurde der Landwirtschaft zugeteilt, weitere wichtige Einsatzbereiche waren die Industrie (vor allem die Sparte Maschinenbau) und das Baugewerbe.

Den ÖVF erreichten daher auch zahlreiche Anträge ehemaliger Zwangsarbeiter, die im heutigen Niederösterreich eingesetzt waren. „So wandten sich beispielsweise zahlreiche Franzosen an den ÖVF, die in den Flugzeugwerken oder Rax-Werken in Wr. Neustadt eingesetzt worden waren“, erklärt Bacher.

Betroffene: „Harte Bedingungen und Sanktionen“

In den Schreiben an den ÖVF berichteten sie „von harten Arbeitsbedingungen und harten Sanktionen bei beispielsweise Arbeitsverweigerung oder unzureichendem Ausführen von Anweisungen“, so Bacher. In vielen Fällen hatte ein solcher Vorwurf die Einweisung des Zwangsarbeiters in ein Arbeitserziehungslager zum Beispiel in Oberlanzendorf (Bezirk Wien-Umgebung) zur Folge.

Niederösterreich wurde manchmal zur „neuen Heimat“

271 Anfragen (das sind zehn Prozent der aus Österreich an den ÖVF gerichteten Anfragen) stammten von bis zu diesem Zeitpunkt in Niederösterreich wohnhaften ehemaligen Zwangsarbeitern. Diese hatten sich aus verschiedenen Gründen nach dem Kriegsende 1945 entschieden, in Österreich zu bleiben und nicht mehr in ihre Heimat zurückzukehren.

Zwangsarbeiter

AdBIK, Fotoarchiv Zwangsarbeit

Manche Zwangsarbeiterinnen blieben nach Kriegesende in Österreich

Ihre Hauptmotive dafür waren „die Angst vor Repressionen im Zuge der Zwangsrepatriierungen in die ehemalige Sowjetunion, soziale Bindungen am Ort des Arbeitseinsatzes oder einfach der Mangel an Alternativen“, sagt der Historiker Bacher. Mehrere Betroffene fassten dieses Problem in ihren Ansuchen an den ÖVF in der Frage zusammen: „Wo hätte ich denn sonst hingehen sollen?“

Angst vor sowjetischen Repressalien

„Im Falle von Niederösterreich fiel die Rate an ‚Dagebliebenen‘ allerdings im Vergleich zur hohen Zahl an eingesetzten Zwangsarbeitern relativ gering aus“, weiß Bacher und vergleicht mit der Steiermark und Kärnten, wo sich gemäß den BIK-Erhebungen verhältnismäßig mehr Zwangsarbeiter entschieden hatten zu bleiben.

„Dieser Umstand ist umso bemerkenswerter, weil der hohe Anteil an in der Landwirtschaft eingesetzten Zwangsarbeitern eigentlich im Vergleich anderes vermuten ließe“, so Bacher. Die Auswertung der ÖVF-Unterlagen zu Österreich habe gezeigt, dass sich vor allem in der Landwirtschaft eingesetzte Zwangsarbeiter offenbar zu einem Verbleib in Österreich entschieden.

Als Grund für die niedrige Rate in Niederösterreich - das bis 1955 Teil der sowjetischen Besatzungszone war - nehmen die Wissenschaftler die sehr rigide Repatriierungspolitik der Sowjets an, die „nicht nur gegenüber den ‚eigenen‘ Leuten verfolgt wurde. Dies erschwerte es den Betroffenen erheblich, im Nachkriegsösterreich Fuß zu fassen“, sagt Mitherausgeber Bacher.

Reinhard Linke, noe.ORF.at

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