Peter Turrini: Vom „Orang-Utan“ zum „Klassiker“

„Der Schriftsteller als Person ist uninteressant, und ich kann nur jedem von einer Begegnung mit mir abraten“, sagt Peter Turrini. Der in Kärnten geborene und seit langem in Niederösterreich lebende Dichter wird am Freitag 70 Jahre alt.

Peter Turrinis sehr wohl interessante Lebensgeschichte bildet den roten Faden seines neuen Stücks „C’est la vie“, das am Theater in der Josefstadt in Wien uraufgeführt wurde. Aber auch hier warnt der Verfasser: „Schriftsteller sind Ausdenker, Fantasierer, Lügner und keine Kopisten des wirklichen Lebens. Es geht nicht um die biografische Wahrheit, sondern - wenn es gelingt - um Wahrhaftigkeit.“

Der Lebensweg des 1944 im Kärntner St. Margarethen als Sohn eines italienischen Kunsttischlers und einer Steirerin Geborenen, der in Maria Saal aufwuchs und in Klagenfurt Hauptschule und Handelsakademie besuchte, war keineswegs vorgezeichnet. Dass er durch das Ehepaar Gerhard und Maja Lampersberg als Jugendlicher am Tonhof mit Kunst und Künstlern, Literatur und Literaten in Berührung kam, „war ein Geschenk für mein Leben“, sagt Turrini.

„Das Biografische spielt in meiner Literatur immer eine Rolle“, erklärt der heute im Weinviertel lebende Schriftsteller in einem ausführlichen Interview anlässlich seines 70. Geburtstages. „Es geht nicht um Wahrheit, sondern um Wahrhaftigkeit“ - mehr dazu in Turrini: „Das Leben ist eine lustige Katastrophe“.

Mit dem ersten Stück gelingt ihm der Durchbruch

Zunächst verdiente Peter Turrini seinen Lebensunterhalt unter anderem als Holzfäller, Stahlarbeiter, Vertreter, Werbetexter, Barmann und Hotelmanager, bis ihn sein 1971 im Wiener Volkstheater mit Franz Morak und Dolores Schmidinger uraufgeführtes Stück „Rozznjogd“, mit dem er das Lebensgefühl seiner Generation traf, schlagartig bekannt machte.

„Die Leute schreien, applaudieren, pfeifen. Ich stehe da oben, schaue in diesen Hexenkessel und weiß nicht, was ich tun soll“, beschreibt Turrini in „C’est la vie“ den Tumult beim Schlussapplaus seiner ersten Premiere. „Von der Seitengasse schreit der Regisseur, ich solle endlich abgehen, aber ich stehe da und rühre mich nicht. Ich bin am Ziel, am Theater.“

Die Stücke führten zu Erregungen und Aufregungen

Seither hat der Dramatiker ohne Unterlass Erfindung und Vorfindung, Dichtung und soziales Gewissen in Stücke gepackt. „Offensichtlich halte ich die Welt nicht aus, ohne sie in Theaterfantasien zu verwandeln“, sagt er. Stücke wie „Sauschlachten“ (1972), „Josef und Maria“ (1980), „Die Minderleister“ (1988) und „Alpenglühen“ (1993) wurden Fixpunkte des deutschsprachigen Repertoires, andere sorgten kurzzeitig für Erregung.

Am glücklichsten ist der Theaterdichter, wenn er Regisseure und Direktoren an seiner Seite weiß. Claus Peymann war lange sein wichtigster Mitkämpfer für eine gemeinsame Sache, Matthias Hartmann eröffnete 2000 seine Bochumer Intendanz mit dem Auftragswerk „Die Eröffnung“, 2006 startete Herbert Föttinger seine Direktion am Theater in der Josefstadt in Wien mit der Uraufführung von Turrinis „Mein Nestroy“. „C’est la vie“ war die vierte Turrini-Uraufführung seiner Direktion.

Mit der „Alpensaga“ Fernsehgeschichte geschrieben

Mit der „Alpensaga“ (gemeinsam mit Wilhelm Pevny) und der „Arbeitersaga“ (gemeinsam mit Rudi Palla) schrieb Turrini aber auch Fernsehgeschichte und sorgte für lebhafte Debatten. Mit Essays und Reden schaltete er sich ins politische Geschehen ein und nannte 1995 anlässlich des Attentats auf Roma in Oberwart Österreich eine „Mörderrepublik“. 1999 begann mit der Uraufführung von Gerd Kührs Oper „Tod und Teufel“ zu Turrinis Libretto an der Grazer Oper seine Beziehung zum Musiktheater, die ihn 2002 an die Wiener Staatsoper führte: Zu „Der Riese vom Steinfeld“ schrieb Friedrich Cerha die Musik.

Peter Turrini

Astrid Bartl

Drehbücher und Gedichte, Kinderbücher und CDs

Der seit eineinhalb Jahrzehnten nahe Retz (Bezirk Hollabrunn) lebende Turrini verfasste Drehbücher und Hörspiele, betätigte sich als Schauspieler, nahm Schallplatten und CDs auf und führte Regie. Von ihm sind auch Gedicht- und Essaybände, die Novelle „Die Verhaftung des Johann Nepomuk Nestroy“ (1998) und die Kinderbücher „Was macht man, wenn ... Ratschläge für den kleinen Mann“ (2009) und „Manchmal ist ein Fasan eine Ente“ (2013) erschienen. Elisabeth Scharang drehte 2009 „Vielleicht in einem anderen Leben“, das auf einem Drehbuch von Turrini und dessen Lebensgefährtin Silke Hassler beruht und auf das Theaterstück „Jedem das Seine“ zurückgeht.

Sein bisher einziger Roman erschien 1972: „Erlebnisse in der Mundhöhle“. „Er war literarisch besonders misslungen und hat mir die Erkenntnis gebracht, dass ich ein Dramatiker bin und nichts anderes“, sagt der Dichter. „Selbst meine Kinderbücher und Novellen und Gedichte und Interviewbände spielen sich letztendlich in meinem Kopf als Dialog ab.“

Als Ehrendoktor im „Archiv der Zeitgenossen“

2010 wurde Turrini zum Ehrendoktor der Universität Klagenfurt ernannt, 2011 mit dem Nestroy-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Sein literarischer Vorlass wurde vom Land Niederösterreich angekauft, da sein Schaffen zur „österreichischen Zeit- und Literaturgeschichte“ zähle, „Wirksamkeit und Qualität“ seiner Werke stünden „außer Frage“. Der Vorlass ist ein Teil des Archivs der Zeitgenossen an der Donau-Universität Krems und umfasst das Peter-Turrini-Archiv der Jahre 1957 bis 2004, bestehend aus Manuskripten, Briefen, Fotografien und zahlreichen Typoskripten aus diesem Zeitraum sowie das Pevny-Turrini-Alpensaga-Archiv aus den Jahren 1972 bis 1979.

2012 wurde erstmals das Peter-Turrini-DramatikerInnenstipendium des Landes Niederösterreich verliehen. Das mit 12.000 Euro dotierte und der Möglichkeit einer Aufführung am Landestheater Niederösterreich in St. Pölten verbundene Stipendium ging an die 1980 in Wien geborene, in Maria Anzbach (Bezirk St. Pölten) aufgewachsene Autorin Claudia Tondl für ihre Einreichung „Wo verdammt ist Frau Wermes?“

Turrini: „Jetzt bin ich halt ein ‚Klassiker‘“

„Früher wurde ich als ‚Orang-Utan, der aus den Kärntner Wäldern hervorgebrochen ist‘ apostrophiert, und jetzt bin ich halt ein ‚Klassiker‘. Mich erreicht das alles nicht“, meint Turrini dazu. „Über das Archiv freue ich mich, aber ansonsten sitze ich seit mehr als 50 Jahren an meiner schon etwas klapprig gewordenen Schreibmaschine und versuche, mich mit Wortbauten und Satzbrücken über den täglichen Abgrund hinwegzuturnen, das ist mein Leben.“

Aus Anlass seines 70. Geburtstages sind zwei Bücher über den Jubilar erschienen. In „C’est la vie. Ein Lebenslauf“ (erschienen im Amalthea Verlag) schildert der Dichter den Höllenritt eines Künstlers zwischen „Triumph und Niederlage, Euphorie und Depression, Demütigung und Glückseligkeit“: „Stückeschreiben ist ein interessanter Vorgang. Man versteckt sich hinter den anderen und verweist auf deren Unglück. Bis das Spiel aus ist.“ In der Edition Kleine Zeitung erschien der Band „Peter Turrini im Gespräch“, herausgegeben von Werner Krause und Gerhard Melzer. In mehreren Gesprächen bot Turrini den beiden Autoren Einblicke in sein Leben: „Ich muss Maß nehmen an Menschen. Ich bin ein Menschensammler.“

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