Flugarzt: Psychischer Notfall nicht erkennbar

Im Zusammenhang mit dem Germanwings-Absturz spricht ein Flugmediziner aus St. Pölten im noe.ORF.at-Interview über die hohe Arbeitsbelastung von Piloten. Zudem sagt er, dass man einen akuten psychischen Notfall nicht erkennen kann.

noe.ORF.at: Nach dem tragischen Flugzeugabsturz in Frankreich, der vom Kopiloten absichtlich herbeigeführt wurde, stellt sich jetzt die Frage, welche Tests muss ein Pilot absolvieren, was muss er leisten, damit er die Lizenz zum Fliegen bekommt?

Bernhard Fellerer: Zu Beginn der Ausbildung zum Linienpiloten muss man in ein Aeromedical-Center gehen, wo auch eine flugpsychologische Untersuchung stattfindet. Später muss er einmal im Jahr zu einem speziellen Fliegerarzt, der psychologisch geschult ist und darauf schaut, wie es um die psychische Verfassung des Piloten bestellt ist. Unabhängig davon hat ein Pilot seine Flight-Checks in der Firma zu absolvieren, wo auf die psychische Belastung geachtet wird. Sobald da Ungereimtheiten auftreten, wird er wieder zum Flugpsychologen geschickt.

Bernhard Fellerer

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Bernhard Fellerer, flugmedizinischer Sachverständiger.

noe.ORF.at: Das heißt im Rahmen der jährlichen Untersuchung wird der Pilot psychologisch eingeschätzt? Stimmt das?

Bernhard Fellerer: Ja das stimmt. Aber für akutpsychologische Ereignisse, die auftreten, gibt es keinen doppelten Boden. Wir haben einmal im Jahr einen großen Kongress, wo mit Flugpsychologen aktuelle Fälle besprochen werden. Ein Berufspilot hat zudem jährlich eine Überprüfung bei einem Fliegerarzt.

noe.ORF.at: Kann man erkennen, wenn ein Pilot selbstmordgefährdet ist und zu solchen Taten, wie aktuell in Frankreich, fähig ist?

Fellerer: Bei so einem Fall wie diesem in Frankreich glaube ich nicht, dass man das erkennen kann. Ich glaube, das fällt wirklich durch den Rost, weil es eine tagesaktuelle psychische Instabilität ist, die man vorher nicht einschätzen kann. Sehr wohl kann man bei psychologischen Tests einschätzen, wie hoch das Risikoprofil einer Person ist.

noe.ORF.at: Es gab offenbar vorher keine Anzeichen beim aktuellen Vorfall. Was halten Sie von der These, dass es sich um eine Kurzschlussreaktion handelt? Wie könnte man damit umgehen?

Fellerer: Die Frage ist, ob der Pilot gemerkt hat, dass mit dem Kopiloten etwas nicht in Ordnung ist. In diesem Fall ist es natürlich nicht okay, wenn er ihn alleine im Cockpit lässt. Aber da sind jetzt sicherlich noch weitere Untersuchungen notwendig.

noe.ORF.at: Kann man sowas verhindern?

Bernhard Fellerer: Nein

noe.ORF.at: Die Sicherheitsvorschriften im Cockpit sind nach 9/11 geändert worden. Denken Sie, dass man nun wieder über diese Vorschriften nachdenken muss aufgrund des aktuellen Falls? Gäbe es eine andere Möglichkeit, um die Situation noch sicherer zu machen?

Fellerer: Ich kann mir nicht vorstellen was man da noch sicherer macht. Man könnte vielleicht noch einen externen Schalter machen, so dass der Sicherheitscode overrult wird vom Piloten. Aber noch sicherer geht es, denke ich, wirklich nicht.

noe.ORF.at: Hatten Sie selbst in Ihrer Zeit schon Fälle, wo Sie feststellen mussten, dass ein Pilot aus psychischen Gründen nicht geeignet ist?

Fellerer: Als Flugarzt habe ich einmal einen Piloten zum Flugpsychologen geschickt. Hintergrund war eine familiäre Krise. Er ist bereits geflogen, hat sich dann ein halbes Jahr eine Auszeit genommen. Aber er war wieder okay und wurde wieder eingesetzt. Jeder von uns hat einmal Probleme und da kann es schon sein, dass man einmal nicht gerade stabil agiert.

noe.ORF.at: Würden Sie trotzdem sagen, dass die Pilotenausbildung in Ordnung ist und dass Sie so bleiben kann?

Fellerer: Das ist in Ordnung. Bei den Piloten kommt die hohe Arbeitsbelastung hinzu. Dieser Druck für die Piloten hat sich sicherlich in den letzten Jahren deutlich geändert, weil jede Firma schaut, dass sie aus den Piloten möglichst viel Profit rausschlägt. Die Piloten haben derzeit nicht mehr die Zeit, dass sie sich ausreichend entspannen. Diese Zeiten sind immer sehr, sehr knapp berechnet.

Das Gespräch führte Silvia Noggler, noe.ORF.at.

AUA ändert Cockpitregeln vorerst nicht

Am Donnerstagnachmittag wurde bekannt, dass die Lufthansa-Tochter Austrian Airlines (AUA) und die Air-Berlin-Tochter Niki (flyniki) ihre Cockpitregeln nach dem Airbus-Absturz und den neuen Entwicklungen vorerst nicht ändern. Man will die Erkenntnisse aus der Untersuchungskommission abwarten - mehr dazu in Absturz: AUA ändert Cockpitregeln vorerst nicht (wien.ORF.at)

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