Lernen von Geschichten der Vertriebenen

Die Wanderausstellung „Langsam ist es besser geworden“ macht derzeit in Neupölla (Bezirk Zwettl) Station. Es geht um die aus der Tschechoslowakei vertriebenen Sudentendeutschen. Kurator Niklas Perzi hofft, dass man aus der Geschichte lernt.

Vor 70 Jahren wurden die Sudetendeutschen enteignet, entrechtet und aus der ehemaligen Tschechoslowakei vertrieben. „Aus der Geschichte könnte man lernen, aber oft gelingt es nicht“, erläutert Niklas Perzi, Historiker am Zentrum der Migrationsforschung, gegenüber der APA. „Das ist ja auch ein sehr aktuelles Thema. Österreich als Aufnahme- oder auch Nicht-Aufnahmeland von Flüchtlingen.“

Buch mit Namen

Niklas Perzi

Versöhnungsmärsche nach Romau und Brünn

Unmittelbar nach Ende des zweiten Weltkrieges und der NS-Diktatur begann das letzte Kapitel im Zusammenleben von Tschechen und Deutschen in den Böhmischen Ländern. „360.000 Menschen sind 1945 und 1946 nach Österreich gekommen, rund 114.000 davon konnten auch hierbleiben, ein Großteil in Oberösterreich sowie Niederösterreich und Wien. Der Rest wurde, das war schon auch der Versuch der österreichischen Politik damals, nach Deutschland abgeschoben“, so Perzi.

70 Jahre danach finden einige Veranstaltungen wie „Versöhnungsmärsche“ nach Romau, einer Wüstung in Südmähren, Tschechien, wo ehemals ein blühendes Dorf war, oder Brünn (30. Mai) statt, die daran erinnern, dass damals insgesamt rund drei Millionen Menschen ihre Heimat verloren haben.

Das Hauptthema ist für den Historiker, der sich seit vielen Jahren mit der Thematik befasst, wie sich die tschechische (und auch die slowakische) Gesellschaft dieser komplexen Frage, die politisch bis heute nicht ganz gelöst ist, stellt. „Ich sehe absolut eine Veränderung, sonst würde die Stadt Brünn etwa keinen Gedenkmarsch unterstützen. Es tut sich aber seit einigen Jahren bereits etwas, was sicher auch mit dem Generationenwechsel in Politik und Gesellschaft zu tun hat.“

Erinnerungen an die Flucht

Im ersten österreichischen Museum für Alltagsgeschichte in Neupölla (Bezirk Zwettl) wird am 9. Mai die Ausstellung „Langsam ist es besser geworden. Vertriebene erzählen vom Wegmüssen, Ankommen und Dableiben“ eröffnet. Perzi, der auch Kurator der Schau ist, betont, dass sich der Besuch in jedem Fall lohnt: „Man muss sich mit dem Schicksal der 1945 nach Österreich Gekommenen konfrontieren und kann daraus eben auch lernen.“

„Langsam ist es besser geworden“

10. Mai – 16. August 2015, jeweils sonn- und feiertags von 14-17 Uhr.

Eintritt: € 3,00

Der Jahrestag der Vertreibung von Mitgliedern der deutschsprachigen Bevölkerung - die sich zum Teil auch als Altösterreicher sahen - aus der Tschechoslowakei ist vor allem für die Betroffenen und deren Nachkommen von großer Relevanz, „sowohl auf Täter- als auch auf Opferseite“.

Viele, die damals flüchten mussten, waren noch Kinder. Jahrzehnte später erinnern sie sich im Rahmen der Ausstellung an das Ankommen in Österreich, an das Betteln um Essen und die Suche nach einem Dach über dem Kopf. Aber, so Perzi, „die ethnischen Vertreibungen gehen ja ungebrochen weiter, da muss man nur nach Ex-Jugoslawien schauen oder in den arabischen oder afrikanischen Raum.“

„Deutsch“ bedeutete Heimatverlust

Knapp vor dem Zweiten Weltkrieg waren zum Beispiel in Romau jedenfalls 259 Bewohner registriert. 1945 war die Muttersprache aus der Volkszählung dann aber entscheidendes Kriterium, wer das Land nach den „Benes-Dekreten“ verlassen musste, wer enteignet wurde und wer bleiben durfte. „Deutsch“ war in der Regel gleichbedeutend mit Heimatverlust. „Gekommen aus einem Land, das es nicht mehr gibt, leben manche der Betroffenen oder deren Nachkommen bis heute in einem für sie fremden Land.“

An manchen Orten wurden damals Bewohner anderer Regionen - wie zum Beispiel - Roma angesiedelt. Im Grenzgebiet war die Entwicklung aber meist eine andere. Je dichter der Eiserne Vorhang wurde, desto mehr Dörfer wurden für die Todeszone geopfert und entvölkert. Orte wie Romau waren dabei nicht die einzigen, die daran glauben mussten. Spätestens in den 1950er-Jahren waren sie geschliffen worden, ohne dass später viel darüber geredet wurde. Bis heute ist hier wenig.

alter Leiterwagen

ORF

Schweigen brechen und Geschichte aufarbeiten

Veranstaltungen wie der Versöhnungsmarsch nach Romau helfen aber jedenfalls dabei, das Schweigen über die verschwundenen Dörfer der Sudetendeutschen zu brechen und die Geschichte - wenn auch 70 Jahre danach - aufzuarbeiten.

Ausstellungen wie jene im Österreichischen Museum für Alltagsgeschichte regen dazu an, sich mit dem Schicksal der Menschen auseinanderzusetzen und vielleicht doch noch etwas aus der Geschichte zu lernen. Sie ist bis 16. August in Neupölla zu sehen. Im Rahmen der Schau findet am 29. Mai gemeinsam mit der Waldviertel-Akademie ein Vortrag zum Thema bzw. eine Diskussion mit Niklas Perzi statt.

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