Festival Retz überwindet wieder Grenzen

Bis 19. Juli findet zum elften Mal das „Festival Retz der offenen Grenzen“ statt. Als Musiktheaterproduktion steht heuer Benjamin Brittens 1964 uraufgeführte Kirchenparabel „Curlew River“ auf dem Festivalprogramm.

Benjamin Britten zählt zu den bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Sein Werk ist aus dem Repertoire der Opernhäuser nicht mehr wegzudenken. Eine Besonderheit seines Werks stellen dabei die in den Jahren 1964 bis 1968 entstanden drei „Parables for Church Performance“, op. 71 dar. Das erste dieser drei Stücke ist „Curlew River“.

Auf der Suche nach Hoffnung und Erlösung

„Gleich einem mittelalterlichen Mysterienspiel zieht zu Beginn der Aufführung eine Gruppe von Mönchen in die Kirche ein, aus welcher der Abt hervortritt und seinen Mitbrüdern die Instrumente und Rollen zuteilt. Die eigentliche Handlung der Oper bleibt somit immerwährend als rituelles Spiel im Spiel erkennbar. Curlew River, Fluss der Möwen, diesseits das westliche Land, jenseits das östliche, Grenze zwischen der Welt der Lebenden und dem Reich der Toten. An seinen Ufern strandet eine Gruppe von Pilgern gemeinsam mit einem geheimnisumwitterten Reisenden, um vom Fährmann die Überfahrt zu erbitten. Auch eine aus Schmerz über den Tod ihres Kindes dem Irrsinn verfallene Frau muss diese Grenze überwinden, um zuletzt durch das Geheimnis und die Gnade der Auferstehung Trost und Heilung erfahren zu dürfen“, heißt es auf der Website des Festivals Retz über „Curlew River“.

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Ausschnitt aus „Curlew River“

Benjamin Brittens Parable for Church Performance ist noch bis 19. Juli beim Festival Retz zu sehen.

In einer in der christlichen Kontext überführten Adaption des japanischen No-Spiels Sumidagawa erzählen Benjamin Britten und sein Librettist William Plomer eine Geschichte über Liebe, Verlust und Schmerz. Brittens Zuneigung gehört dabei stets den Ausgegrenzten, die er auf ihrer Suche nach Hoffnung und Erlösung in berührender Tonsprache begleitet.

„Die musikalische Struktur dieses Werkes ist dabei gezielt auf die akustischen Besonderheiten eines großen Sakralraumes ausgerichtet. Gregorianische Choräle verweben sich mit asiatischen Klangwelten zu einem unvergleichlichen Musikerlebnis, das den Hall eines Kirchenraumes als entscheidende kompositorische Komponente effektvoll zu nutzen weiß“, sagt Alexander Löffler, der Künstlerische Leiter des Festivals.

Von Eckert und Schrott bis zu Franui und Habjan

Darüber hinaus präsentiert das Festival Retz ein Literatur- und Konzertprogramm an historischen Spielstätten dies- und jenseits der österreichisch-tschechischen Grenze. So lesen beispielsweise Andrea Eckert (3. Juli) und Raoul Schrott (4. Juli), Konzerte gibt es mit dem Merlin Ensemble Wien (4. Juli) und mit Franui & Nikolaus Habjan (9. Juli). Weitere Namen? Karl Menrad, Bernarda Bobro, Reinhard Jirgl, Breinschmid & Janoska, Bratfisch, Shalman & Radenkovic und Netnakisum.

Intendant Löffler: „Ein magisch wirkender Kulturraum“

„Wir dürfen in der uns selbst geschaffenen Nische auf hohem Niveau miteinander musizieren, denken, diskutieren und träumen“, sagt Alexander Löffler über das Festival Retz. „Und wir dürfen dies alles teilen mit einem aufgeschlossenen und interessierten Publikum - eingebettet in einen magisch wirkenden Landschafts- und Kulturraum“, schwärmt der Festivalintendant.

noe.ORF.at: Warum haben Sie sich für dieses Stück entschieden?

Intendant Alexander Löffler: Wesentliche Kriterien der Entscheidungsfindung sind die klangliche Struktur des Werkes in Hinblick auf die besonderen akustischen Gegebenheiten eines Kirchenraumes und die Relevanz der intendierten Themen für unsere unmittelbare Lebenswelt. „Curlew River“ von Benjamin Britten ist in diesem Zusammenhang ein geradezu ideales Werk für die Aufführung bei uns in Retz, weiß es doch die Akustik eines großen Sakralraumes als entscheidende kompositorische Komponente effektvoll zu nutzen. Zugleich hat die Geschichte einer vertriebenen, über den Tod ihres Kindes irr gewordenen Frau vor dem Hintergrund der Flüchtlingsdramen unserer Tage erschreckende Aktualität gewonnen.

noe.ORF.at: Warum soll man gerade heuer zu Ihnen nach Retz fahren?

Alexander Löffler: Einerseits darf sich das Publikum auf die Aufführung eines musikalischen Meisterwerks des 20. Jahrhunderts freuen, für die wir mit Stefan Cerny, Stephen Chaundy, Günter Haumer alternierend mit Mathias Hausmann und Morten Frank Larsen ein herausragendes Solistenensemble auf internationalem Niveau gewinnen konnten.

Andererseits ist es gerade die Vielfalt des Programms, die das Festival Retz zu einem besonderen Erlebnis werden lässt. So werden die Themen der Wanderschaft, Flucht, Vertreibung und Suche auch in den musikalisch-literarischen Abenden sowie in den Lesungen aus unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchtet. Zudem freuen wir uns auf ein hochkarätiges Konzertprogramm an historischen Spielstätten dies- und jenseits der österreichisch-tschechischen Grenze.

noe.ORF.at: Wie sehen Sie Ihren Spielort in drei Jahren? Wie wollen Sie ihn entwickeln?

Alexander Löffler: Das Festival Retz in seiner jetzigen Gestalt und Ausformung ist für uns Verantwortliche und die Mitwirkenden ein Idealfall künstlerischer Arbeit in den Sommermonaten. Wir dürfen in der uns selbst geschaffenen Nische auf hohem Niveau miteinander musizieren, denken, diskutieren und träumen. Und wir dürfen dies alles teilen mit einem aufgeschlossenen und interessierten Publikum - eingebettet in einen magisch wirkenden Landschafts- und Kulturraum, der durch seine kontemplative Ruhe uns und dem Publikum neues Sehen, Hören und Fühlen ermöglicht. Was sollte ich ändern wollen?

noe.ORF.at: Worin sehen Sie die gesellschaftliche Aufgabe des Theaters, im speziellen die Aufgabe des Sommertheaters?

Alexander Löffler: Kunst gewinnt seine Relevanz und damit seine Notwendigkeit aus der Reflexion der Gegenwart, unserer unmittelbaren Lebensumstände. Hier unterscheidet sich Sommertheater in keiner Weise von künstlerischer Arbeit an anderen Orten und zu anderen Zeiten. Anders, neu und wohltuend unverbildet ist mitunter das Publikum, dem wir begegnen dürfen. Daher müssen wir eine Sprache finden, die unsere Zuseherinnen und Zuseher erreicht, denn wir machen Theater für unser Publikum. Eine gemeinsame Sprache zu sprechen heißt jedoch nicht, dass wir nur sagen dürften, was der andere hören möchte.

noe.ORF.at: Was ist die Botschaft des Stücks?

Regisseurin Monika Steiner: Das vorliegende Werk ist im Widerschein der Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges entstanden und dabei zugleich erschreckend aktuell: Entwurzelte Menschen, ausgesetzt an einem unwirtlichen Ort, manche mit Schuld beladen, andere irr geworden über den Verlust ihrer Nächsten, alle auf der Suche nach ihrem Platz in dieser Welt. Das ist die Szenerie, in welche Britten seine Protagonisten geworfen hat. Die Botschaft jedoch ist Heil, Erlösung und Hoffnung durch Sympathie im ursprünglichen Sinn des Wortes: Mitgefühl - die Annahme und Aufnahme dieser gestrandeten Menschen. Genau das hat Britten in ebenso verwirrender wie betörender Schönheit komponiert.

noe.ORF.at: Welche Inszenierungsmöglichkeiten bietet der Spielort und wie nützen Sie diese?

Monika Steiner: Die Möglichkeit, in einem Sakralraum inszenieren zu dürfen, ist ein wunderbares Geschenk, da uns die Kraft und Magie des Raumes und die daraus erwachsende Fokussierung auf das Wesentliche eine Zartheit und Feinfühligkeit der inszenatorischen Mittel gestattet, die anderenorts nicht möglich wäre. Nicht nur die Darsteller/innen und Musiker/innen sind in besonderer Weise „gestimmt“, auch das Publikum sammelt sich in unerwarteter Konzentration, die ein vielschichtiges, feinziseliertes Musiktheatererlebnis erst möglich macht.

Sendungshinweis

„NÖ heute“, 2.7.2015

Offene Grenzen zu Tschechien

Das Gründungsmotiv des Festivals „Offene Grenzen“ und die damit verbundene Neu- und Wiederentdeckung eines gemeinsamen österreichisch-tschechischen Kulturraum findet in der seit mehr als zehn Jahren bestehenden Kooperation mit dem Internationalen Musikfestival im mährischen Znojmo seinen Niederschlag. Dieser kulturelle Brückenschlag zeigt sich in vier gemeinsamen Veranstaltungen im Rahmen der Festivalpartnerschaft Retz-Znojmo.

„Curlew River“

Die Vorpremiere war am 1. Juli, die Premiere am 2. Juli. Weitere Vorstellungen sind am 5., 10., 12., 17. und 19. Juli, Beginn in der Stadtpfarrkirche St. Stephan in Retz jeweils um 20.30 Uhr.

Mitwirkende: Stephen Chaundy, Günter Haumer, Morten Frank Larsen, Stefan Cerny, Emilio Haumer, Santiago Haumer, LABYRINTHE vocalensemble, Ensemble Festival Retz und Retzer Gesangverein

Regie: Monika Steiner
Bühne: Alexander Löffler
Kostüme: Inge Stolterfoht
Lichtdesign: Pepe Starman
Musikalische Leitung: Andreas Schüller
Künstlerische Leitung: Alexander Löffler

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