Nitsch trifft „Mythologie-Fan“ Köhlmeier

Im Nitsch Museum in Mistelbach ist am Sonntag alles im Zeichen griechischer Mythologie und existenzieller Lebensfragen gestanden. Maler Hermann Nitsch sprach mit Autor Michael Köhlmeier über Leben und Tod.

Die mystische Welt der griechischen Götter hatte Michael Köhlmeier schon als Kind interessiert. Der Schriftsteller ist für seine Hörspiele bekannt, in denen er antike Sagen nacherzählt. An der griechischen Mythologie fasziniert ihn „diese unübersehbare Fülle“, sagt er im Gespräch mit noe.ORF.at. „Das ist ein riesengroßer Katalog von Präzedenzfällen, das war das Koordinatensystem ihres Lebens.“

Auch Maler und Aktionskünstler Hermann Nitsch kann der Mythologie viel abgewinnen. „Ich bin der Meinung, dass Mythen Kollektivträume von Menschen sind“, so Nitsch im Vorfeld der Veranstaltung in Mistelbach, wo er am Sonntagabend mit Köhlmeier über den Glauben, das Sein, den Tod und die damit verbundene Angst diskutierte.

noe.ORF.at: Wie hat sich dieses Treffen im Zeichen griechischer Mythologie ergeben?

Michael Köhlmeier: Hermann Nitschs Werk ist sehr in der Mythologie verhaftet. Ich glaube, dass er einen Großteil seiner Energie aus der Mythologie zieht. Mir war das auch immer sehr nahe. Ich glaube, dass sich ein Schriftsteller und Erzähler ohne diesen fliegenden Teppich des Mythos und der Märchen sehr viel vergibt. Ich empfinde es als logisch, dass wir über das reden.

Hermann Nitsch: Meine Freunde haben das Treffen ausgeheckt. Ich habe mich immer mit Mythen beschäftigt und bin der Meinung, dass Theater sehr viel mit Mythen zu tun hat – von der Antike bis zur Gegenwart. Auch mein Theater hat sehr viel mit Mythen zu tun. Von daher glaube ich, dass ich in diese Richtung etwas zu sagen habe.

Hermann Nitsch und Michael Köhlmeier im Nitsch-Museum in Mistelbach

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Hermann Nitsch und Michael Köhlmeier

noe.ORF.at: Was fasziniert Sie an der Mythologie – und dabei speziell an der griechischen Mythologie?

Köhlmeier: Erstens diese unübersehbare Fülle. Es gibt sicher Menschen, die sich gut mit der griechischen Mythologie auskennen. Wenn sie wüssten, wie breit und groß sie ist, wären sie erstaunt. Ich habe für das deutsche Fernsehen 80 Folgen zu je einer Viertelstunde erzählt, das sind 20 Stunden Erzählungen. Ich hatte dabei immer das Gefühl, dass ich auf unverantwortliche Weise verkürze. Es ist eine solche Fülle an Geschichten, wie sie die Menschheit nie mehr erlebt hat.

Das Zweite ist, dass es ein riesengroßer Katalog von Präzedenzfällen ist. Sie hatten keine Juristerei. Wenn einem etwas zugestoßen ist oder einer etwas getan hat, hat man nach Parallelen in der Mythologie gesucht. Das war das Koordinatensystem ihres Lebens. Davon muss man sich faszinieren lassen, wenn man nur einen Schritt hineingetan hat. Mein Vater hat begonnen mir davon zu erzählen, als ich fünf Jahre alt war. Seitdem erfahre ich immer wieder Neues.

Nitsch: Mich interessieren alle Mythen aller Zeiten und aller Völker. Die griechische hat natürlich schon eine Vorzugsstellung. Erstens haben Mythen sehr viel mit Religionen zu tun. Jede Religion entspringt ja einem Mythos. Ich bin der Meinung, dass Mythen Kollektivträume von Menschen sind.

Hermann Nitsch und Michael Köhlmeier im Nitsch-Museum in Mistelbach

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Unter dem Titel „Nitsch trifft...“ lädt Hermann Nitsch bekannte Persönlichkeiten zu einem Gedankenaustausch nach Mistelbach.

noe.ORF.at: Haben Sie den Eindruck, dass das Wissen, das in diesen Geschichten enthalten ist, heute noch hilfreich ist? Dass man es sich im Alltag als Weisheit zunutze machen kann?

Köhlmeier: Das muss man nicht. Wir sind eine Gesellschaft, die bei allem den Punkt sucht. Man wirft oben eine Münze rein und unten muss etwas rauskommen. Es würde schon genügen, sich einfach an diesen Geschichten zu erfreuen, sie müssen keinen Nutzen haben. Ich hätte Angst, dass dann jemand kommt und nachweist, dass sie keinen Nutzen haben. Dann könnte man sie auf den Müll schmeißen. Es gibt auch einen ästhetischen Nutzen, der vielleicht kein Nutzen ist. Vielleicht ist das Beste an unserem Leben die Sachen, die nicht nützlich sind.

Nitsch: Ich glaube schon, dass Mythen eine gewisse Weisheit bringen. Mythen sind vielleicht mit Instinkten vergleichbar, Lebensprinzipien werden hier offenbart. Die Auseinandersetzung damit und das Bewusstmachen von mythischen Tatsachen ist für uns sehr wichtig.

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