Pröll spricht von „Nagelprobe für Europa“

Für Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) ist die Flüchtlingsfrage eine „Nagelprobe für Europa“. Er spricht von der bislang größten Herausforderung für Europa. Ohne internationales Handeln sei die Problematik nicht zu bewältigen.

Am Montagabend wurde beim ORF-Sommergespräch mit dem Bundesparteiobmann der ÖVP, Reinhold Mitterlehner, bekannt, dass der frühere Raiffeisen-Generalanwalt Christian Konrad der Bundesregierung als Koordinator für Flüchtlingsfragen zur Seite stehen wird. Für Pröll erfüllt Konrad dafür „alle Voraussetzungen“, sagte der Landeshauptmann am Dienstag im Interview. Pröll spricht zudem von der „größten Herausforderung für Europa“. Nun entscheide sich, ob Europa Sinn mache oder nicht. Von der Bundesregierung fordert Pröll, dass diese auch auf internationaler Ebene handle und überzeuge.

Interview mit Landeshauptmann Erwin Pröll

ORF NÖ

Werner Fetz interviewt Landeshauptmann Erwin Pröll

noe.ORF.at: Die Bilder des Sommers sind jene von verzweifelten Flüchtlingen, in Niederösterreich, in Österreich, aber auch in ganz Europa. Wie wird man diesen Flüchtlingsansturm bewältigen können?

Erwin Pröll: Ich glaube, es ist höchste Zeit, dass man national und international bemerkt, dass man einen Einzelstaat nicht auf sich alleine gestellt lassen kann. Das ist eine internationale Herausforderung. Und ich habe immer schon gesagt, wenn es nicht gelingt, den Zustrom an Flüchtlingen zu kontrollieren, dann ist es unmöglich, auch alle unterzubringen. Da gibt es eine Notwendigkeit auf mehreren Ebenen.

Zunächst einmal Schutzzonen unmittelbar in der Nachbarschaft der Krisenherde. Das ist eine europäische Herausforderung, wenn Sie wollen, bis hin zur UNO. Europa ist gefordert, dass die Schengen-Grenzen einfach dichter gemacht werden müssen, ob man es zur Kenntnis nehmen will oder nicht. Und innenpolitisch ist es die Aufgabe, dass tatsächlich Unterkünfte geschafft werden müssen, wobei ich eines anfügen muss: Die 100 Prozent der Quote, von der man im vorigen Jahr gesprochen hat, sind mittlerweile 200 Prozent geworden. Das ist keine einfache Sache.

Wir haben in Niederösterreich eine nächste Aufgabe vor uns, weil die Schule beginnt. Wir sind derzeit dabei, alle Voraussetzungen zu schaffen für all jene, die schulpflichtig sind und zu uns gekommen sind, dass sie auch entsprechend unterrichtet werden können. Aber ich lege größten Wert darauf, dass das so organisiert wird, dass der Lernerfolg der niederösterreichischen Kinder nicht auf der Strecke bleibt.

noe.ORF.at: Eine große Herausforderung ist die Suche nach Quartieren hier in Niederösterreich. Wie wird man das, wenn man bedenkt, dass der große Ansturm im Herbst noch aussteht, bewältigen können?

Pröll: Ich glaube schon, dass hier der nationale Schulterschluss, von dem so oft gesprochen wurde, jetzt Platz greifen muss. Ich bin auch überzeugt davon, dass die Maßnahmen der Bundesregierung auch in Zusammenhang mit dem Flüchtlingskoordinator sicher einen Schub geben können. Das ist eine große Herausforderung. Ich sage hier auch noch einmal dazu, die Hauptaufgabe besteht darin, dass international gehandelt wird. Ansonsten ist das nicht bewältigbar. Mir ist es zu wenig, nur zu reden. Ich erwarte mir von der Bundesregierung, dass sie auch auf europäischer Ebene entsprechend handelt und überzeugt, denn mit Worten alleine wird das nicht gehen.

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Landeshauptmann Pröll

über die Asyl- und Flüchtlingsproblematik

noe.ORF.at: Europa macht da derzeit keine sehr glückliche Figur, wenn man die Verteilung der Flüchtlinge auf die europäischen Länder betrachtet. Wie wird man das überwinden können, dass einfach gewisse Nationalstaaten da sind, die sagen, wir nehmen nur sehr wenige Flüchtlinge auf?

Pröll: Europa hat in der Vergangenheit schon sehr große Herausforderungen meistern müssen. Aber die größte Herausforderung, wenn Sie mich fragen, ist das jetzt. Das wird mit Sicherheit eine Nagelprobe, ob Europa tatsächlich Sinn macht oder nicht.

noe.ORF.at: Der Flüchtlingskoordinator, den die Regierung nun plant einzusetzen, Christian Konrad, ist ein Wegbegleiter und Bekannter von Ihnen. Was kann der schaffen, was bisher nicht gelungen ist?

Pröll: Die Aufgabe eines Flüchtlingskoordinators ist recht einfach umschrieben. Er braucht auf der einen Seite Management-Qualität, er braucht auf der zweiten Seite Überzeugungskraft und auf der dritten Seite ein entsprechendes Netzwerk - und all diese Voraussetzungen bringt Christian Konrad mit.

Ich hoffe sehr, dass da etwas weitergeht. Denn eines sage ich Ihnen auch dazu, die Republik dreht sich nicht ausschließlich und alleine um die Bewältigung der Flüchtlingsfrage. Denn es sind innenpolitisch und auch landespolitisch einige andere Dinge zu tun. Es wäre höchste Zeit, wenn man auch zu anderen Themen wieder kommt, die notwendig sind, um umgesetzt zu werden. Wir in Niederösterreich tun das.

noe.ORF.at: Haben Sie den Eindruck, dass in der Flüchtlingsfrage nun alle an einem Strang ziehen?

Pröll: Diese Frage polarisiert, das ist überhaupt keine Frage. Auf der einen Seite gibt es sehr viel menschlich Bewegte und auf der anderen Seite gibt es auch sehr viele, die sich daran stoßen, dass die Flüchtlinge in der Art und Weise, wie sie sich dort bewegen, nicht unbedingt auf Applaus stoßen. Diese Frage wird wahrscheinlich immer polarisiert bleiben, aber man muss hier einen vernünftigen Mittelweg gehen - damit wir die soziale Balance im Land nicht verlieren, aber auch die Humanität hochhalten.

noe.ORF.at: Ein bestimmendes und heftig debattiertes innenpolitisches Thema in diesem Sommer war der Wechsel von vier Abgeordneten des Team Stronach in den Klub der ÖVP auf Bundesebene. Wie beurteilen Sie diesen Wechsel?

Pröll: Ich könnte es mir jetzt relativ einfach machen und Ihnen sagen, dass ich seinerzeit, vor der letzten Landtagswahl, darauf hingewiesen, was von Frank Stronach und seiner politischen Arbeit zu halten ist, aber so einfach ist es nicht. Die Conclusio, die schließlich zurück bleibt, ist eine relativ einfache. Die Wählerinnen und Wähler sollten sich vielleicht in Zukunft noch genauer anschauen, wen sie wählen und wem sie das Vertrauen geben.

noe.ORF.at: Sehen Sie eine Bereicherung für den ÖVP-Klub?

Pröll: Eine Bereicherung glaube ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass das letztendlich die Zielsetzung war. Farbenwechsel hat es immer gegeben. Allerdings, bei jedem Farbenwechsel war es so, dass man nicht darauf gesetzt hat, dass jene, die gewechselt haben, Bäume ausreißen.

noe.ORF.at: Kommen wir nach Niederösterreich. Die Konjunktur wächst derzeit nur langsam, springt nicht an, oder nicht so stark, dass dem Arbeitsmarkt aus der Krise geholfen wird. Parallel dazu beklagt die Wirtschaft ein recht schwieriges Umfeld. Wie wird man hier im Herbst von Seiten der Politik eingreifen? Kann man eingreifen?

Pröll: Wir sind ja gerade innerhalb der ÖVP-Regierungsmannschaft dabei, unsere Klausur im Herbst vorzubereiten. Natürlich ist das auch, neben anderen strukturellen Maßnahmen, die wir präsentieren werden, ein ganz wesentlicher Punkt. Wir haben eine unterschiedliche Ausgangssituation. Auf der einen Seite haben wir die Situation, dass wir heuer in Niederösterreich die 600.000-Grenze bei den unselbstständig Beschäftigten überschritten haben. Auf der anderen Seite kämpfen wir mit der Arbeitslosigkeit. Das ist in erster Linie verursacht durch die konjunkturelle Situation, die wir nicht alleine beeinflussen können. Aber auch durch das Faktum, dass Gott sei Dank immer mehr auf den Arbeitsmarkt drängen.

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Landeshauptmann Pröll

über die aktuelle Wirtschaftslage in Niederösterreich

Auf der dritten Seite muss man auch die Struktur der Arbeitslosen sehen. Wir haben ungefähr 30 Prozent der Arbeitslosen, die über 50 Jahre alt sind. Und 40 Prozent haben nur - unter Anführungszeichen - einen Pflichtschulabschluss. Da merken wir, dass wir in dieser Struktur eine entsprechende Aufgabe haben. Zum einen müssen wir danach trachten, die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Arbeitsprozess zu halten und auf der anderen Seite sehr intensiv darauf zu drängen, dass immer mehr und mehr die Ausbildung im Fokus bleibt.

Ich weiß, das ist ein mittel- und längerfristiger Weg. Auch wir, von Seiten der Politik, müssen einiges dazu tun. Und ich kann Ihnen gleich sagen, wir haben ja mittlerweile eine niederösterreichische Wirtschaftsstruktur, die sehr stark auf den Export ausgerichtet ist. Im Schnitt der letzten Jahre haben die österreichischen Unternehmen etwa 20 Milliarden Euro an Export geschafft. Das wollen wir nicht nur aufrecht erhalten, sondern auch weiter steigern. Wir analysieren immer wieder die internationalen Märkte und der Fokus derzeit liegt auf England und Amerika. Wir merken, dass dort für eine Vielzahl an niederösterreichischen Unternehmen Möglichkeiten liegen und das ist natürlich auch ein entsprechender Arbeitsmarktfaktor.

noe.ORF.at: Ein Schwerpunkt ist auch das Vorantreiben des Forschungs- und Entwicklungsbereichs. Inwieweit kann auch der unterstützend sein? Nützt dieser Bereich auch der breiten Masse an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern?

Pröll: Das eine ist natürlich Forschung und Entwicklung. Wir haben in Niederösterreich die sogenannte FTI-Strategie entwickelt, mit ungefähr 450 Experten, wo wir einen sehr klaren Fokus auf die nächsten Jahre und Jahrzehnte legen. Auch der Infrastrukturausbau ist ein wesentlicher Faktor. Darum haben wir einen Schwerpunkt bei der Verkehrsinfrastruktur, viele Umfahrungen etwa. Ein ganz wesentlicher Punkt ist die moderne Kommunikationstechnologie im Bereich der Breitbandtechnologie, wo wir jetzt schon langsam Fahrt aufnehmen, um tatsächlich auch in extremeren Regionen den internationalen Anschluss nicht zu verpassen.

noe.ORF.at: Eine Frage noch zur Bundespolitik. Hat die ÖVP schon einen Kandidaten für die Bundespräsidentschaftswahl nächstes Jahr?

Pröll: Soweit ich informiert bin nicht. Allerdings, um Sie genau zu informieren, würde ich Sie bitten, mit dem Bundesparteiobmann zu reden.

noe.ORF.at: Ihre Lebensplanung in dieser Hinsicht hat sich nicht verändert?

Pröll: Das können Sie mir wirklich glauben, dass sich daran wirklich nichts geändert hat. Alleine, wenn Sie das Arbeitsumfeld anschauen, das wir in Niederösterreich zu bewältigen haben, werden Sie sicher verstehen, dass ich andere Sorgen habe als diese Frage.

Das Gespräch mit Erwin Pröll führte Werner Fetz, noe.ORF.at.