Waltz’ „Continu“ eröffnete Festspielhaus-Saison

Mit der Österreich-Premiere des Tanztheaterstücks „Continu“ von Sasha Waltz hat am Freitagabend im Festspielhaus St. Pölten die neue Saison begonnen. Erstmals wurde das Stück mit einem Live-Orchester gezeigt.

Die Live-Mitwirkung des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich unter der versierten Leitung von Pietari Inkinen bedeutete für die Berliner Choreografin „die Erfüllung eines Traums“. Brigitte Fürle, künstlerische Leiterin des Festspielhauses, war seinerzeit bei den Berliner Festspielen (spielzeit’ europa) mitbeteiligt an der Produktion des Stücks, das auf Projekte anlässlich der Eröffnung des Neuen Museums Berlin und Zaha Hadids MAXXI in Rom (2009) zurückgeht. Für sie schließt sich gleichsam ein Bogen, wenn „Continu“ nun in der aktuellen Fassung in St. Pölten zur Aufführung gelangt.

Wie eine Sehnsucht oder Erinnerung

Sehr effektvoll beginnt der Abend zu perkussiven Soli von Iannis Xenakis, mit nachdrücklicher Intensität von Schlagwerkerin Robyn Schulkowsky interpretiert, und dem Auftritt eines reinen Frauenensembles. Musik von Edgard Varèse („Arcana“, „Hyperprism“ und „Ionisation“) bildet dann den Background für eine teils abstrakte, teils bildhafte Inszenierung interaktiver Verhaltensweisen.

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„Continu“

Mit der Österreich-Premiere von „Continu“ von Sasha Waltz hat am Freitag im Festspielhaus St. Pölten die Saison 2015/16 begonnen.

Spannend ist stets die Darstellung der Ambivalenz von Beziehungen: Annäherungen, die sich im Handumdrehen in Abwehr und Abstoßung kehren, intendierte Umarmungen, die zu aggressiven Attacken mutieren, Begegnungen, die in Verbiegungen und Behinderungen ausarten. Kämpfe, Amokläufe, eine Exekutionsszene, aber auch lange Passagen in der Stille als Pro- und Epiloge - starke Momente mit Assoziationspotenzial.

Der zweite, „weiße“ Teil - zu „Zipangu“ von Claude Vivier - wirkt selbstbezogener als der expressive „schwarze“ zuvor und mündet in einen Pas de deux zu einem berückenden Mozart-Adagio aus dem Off, laut Waltz wie eine Sehnsucht oder Erinnerung. Schon am 15. Oktober gibt es die nächste österreichische Erstaufführung von Sasha Waltz & Guests: „Körper“ im Tanzquartier Wien.

Ewald Baringer, Austria Presse Agentur

Continu von Sasha Waltz

Sebastian Bolesch

Sasha Waltz: „Eine unglaubliche Wucht“

Im Zentrum der 2010 entstandenen Arbeit „Continu“ steht eine der gewaltigsten Kompositionen des 20. Jahrhunderts: „Arcana“ von Edgar Varèse, die Partitur verlangt 120 Instrumentalisten. Die weltbekannte Choreografin Sasha Waltz hat das Stück für zwei 2010 neu eröffnete Museen in Berlin und Rom entworfen. Die Musikstücke von Xenakis, Varèse und Vivier wurden damals vom Tonband zugespielt. Ein Wunsch von Waltz war jedoch stets, dass dieses gewaltige Tanzstück von einem Orchester begleitet wird, wie sie im Gespräch mit Hannes Steindl verrät. In St. Pölten kann der Orchestergraben so erweitert werden, dass die 120 Musiker und Musikerinnen Platz finden.

noe.ORF.at: Hat sich das Stück in den letzten Jahren oder durch die Live-Zusammenarbeit mit den Tonkünstlern weiterentwickelt?

Sasha Waltz: Als ich das Stück 2010 gemacht habe, habe ich das Stück „Arcana“ von Edgar Verèse gewählt, weil es für mich eines der stärksten modernen Stücke ist, die ich kenne. Ich bin immer in der Hoffnung gewesen, dass ich irgendwann einmal die Möglichkeit habe, das auch mit Live-Musik zu erleben. Ich habe sehr viel mit Orchestern in den verschiedensten Opernhäusern gearbeitet, aber das ist eine sehr, sehr große Besetzung mit sehr viel Schlagwerk, und die passt oft in die Orchestergräben gar nicht hinein. Wir haben es schon oft versucht, das hat aber nie funktioniert. Jetzt hat Brigitte Fürle das angeregt, und es ist für mich wirklich ein großer Traum. Es hat eine ganz andere Dynamik, wenn diese Kraft der Tänzer, diese Energie, die auf der Bühne da ist, live unterstützt wird. Wenn aus dem Orchestergraben diese unglaubliche Wucht dringt, also das ist schon sehr eindrücklich. Insofern glaube ich, dass man das Stück anders wahrnimmt mit der Live-Musik.

Sasha Waltz

ORF

Sasha Waltz

noe.ORF.at: Wird es auch von den Tänzern anders erlebt?

Sasha Waltz: Es ist immer ein viel stärkerer Austausch, wenn man mit Live-Musik arbeitet. Wenn es geht, dann arbeite ich immer mit Orchester. Ich glaube, dass der einzelne Tänzer viel detaillierter das Stück wahrnimmt, man hört bestimmte Instrumente stärker heraus, weil es einfach viel differenzierter ist, wenn das Orchester spielt. Es gibt in „Continu“ auch sehr, sehr viel Stille. Das Orchester ist so dicht und kompakt, da muss man auch etwas Raum dazwischen haben, um die Musik wieder etwas verdauen zu können.

noe.ORF.at: Wie ist der Titel „Continu“ zu verstehen?

Sasha Waltz: Das bedeutet Weiterführung, etwas, das sich konstant verändert, entwickelt und ist auch eine Reverenz an den Kreislauf des Lebens. Es wurde für die Eröffnung des Neuen Museums Berlin konzipiert und dann noch für ein Museumsprojekt in Rom, das "MAXXI, das ist ein Museum des 21. Jahrhunderts. Auf die Architektur dieser Häuser bezieht sich das Stück. Es gibt einen schwarzen Teil, in dem es um gesellschaftliche Belange und Beziehungen geht, die Masse und den Einzelnen, mit großen, dynamischen und sehr dunklen und emotionalen Assoziationen, und dem weißen Teil, der dann sehr viel grafischer und kühler ist. Die Ratio bestimmt. Der Körper wird anders behandelt, daher ist das Stück in zwei unterschiedliche Teile gegliedert.

noe.ORF.at: Sie arbeiten mit großen Bewegungen und Menschengruppen.

Sasha Waltz: Im weißen Teil ist es der dekonstruierte Körper, wenn sich beispielsweise nur ein Arm quasi „verstelbstständigt“. Es gibt auch lyrische Abschnitte im weißen Teil, doch eigentlich nur im letzten Pas de deux auf Mozarts Musik, da gibt es einen Hauch von Lyrik. Das erweckt den Eindruck, dass es von weit weg herkommt. Im ersten Teil ist es wie eine Skulptur, die sich permanent verändert und verwandelt.

noe.ORF.at: Der erste Teil wurde als „archaisch“ beschrieben, trifft der Begriff zu?

Sasha Waltz: Ja, der Anfang beschreibt so etwas wie Evolution: Wo kommen wir her, welche Kräfte wirken auf uns ein. Es herrscht eine starke Gruppenenergie, die dann unterschiedliche Dynamiken entfaltet, die sowohl aggressiv sein können oder die Gruppe auseinandersprengt. Ich hatte dabei viele politische Assoziationen, gerade in der jetzigen Situation, in der wir uns befinden. Es ein Stück, das sehr viel mit unserem Leben zu tun hat, mit dem, was wir uns antun, wie unsere Welt geformt ist. Es gibt auch Bezüge zu Krieg, Verlust, Wollen und Begierde. Es gibt sehr viele unterschiedliche Aspekte, aber das Ganze wirkt auch deshalb archaisch, weil das Zentrum bei den tänzerischen Bewegungen ganz tief sitzt und die Kraft aus diesem Zentrum kommt.

Das Gespräch mit Sasha Waltz führte Hannes Steindl, noe.ORF.at.

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