„Ungeduld des Herzens“ am Landestheater

Ein junger Mann fordert eine junge Frau zum Tanz auf. Und löst damit eine Kettenreaktion aus, die in die Katastrophe führt. Die Frau ist nämlich gelähmt. „Ungeduld des Herzens“ feierte am Freitag Premiere am Landestheater.

Die junge Frau ist zwar nicht die attraktivste an diesem Abend, doch sie ist die Tochter des Hauses. Der junge Leutnant weiß, was sich gehört: Er fordert sie zum Tanz auf. Und löst damit ein Wirrwarr der Gefühle und schließlich eine Katastrophe aus. Das ist die Schlüsselszene von Stefan Zweigs Roman „Ungeduld des Herzens“.

Mitleid ohne Masche

In der von ihm selbst am Freitag am Landestheater Niederösterreich zur Uraufführung gebrachten Bühnenfassung von Thomas Jongik ist das ein ganz und gar nachvollziehbarer und entschuldbarer Fauxpas: Swintha Gersthofer sitzt als Edith ein bisschen wie ein Mauerblümchen auf einem der Polstersessel, die neben einem im Bühnenvordergrund platzierten Pianino das einzige Mobiliar auf der von Lisa Däßler klug reduzierten, von einem alten Foto eines Pferdes in vollem Galopp dominierten Bühne darstellen. Kein Rollstuhl, keine Beinschiene, keine Krücke weist auf ihr Gebrechen hin, unter dem nicht nur sie, sondern die ganze Familie leidet.

Edith ist nämlich launisch geworden, terrorisiert ihre Mitmenschen. Gersthofer macht die Zerrissenheit der jungen Frau, die sehnlich ihre Heilung erhofft und sich über die sehr divergenten Gefühle ihrer ganz auf Beschwichtigen und Mut Machen eingestimmten Umgebung sehr wohl im Klaren ist, nachvollziehbar und transparent. Auch das tiefe Dilemma, in das der schneidige Soldat Anton Hofmiller gestürzt wird, kommt durch Moritz Vierboom (mit sehr heutiger Anmutung und einem Dreitages-Bart, der ihm in der k.u.k. Armee wohl nicht gestattet worden wäre) schön über die Rampe. Es geht um Empathie, um Mitleid mit und ohne Masche. Um die „Ungeduld des Herzens“, die der Arzt Doktor Condor (sehr forciert: Tobias Voigt) vom „schöpferischen“, wahrhaft liebenden Mitleid unterscheidet.

Thomas Jonigk (49), in den 1990ern am Wiener Schauspielhaus präsent und seither in Deutschland und der Schweiz als Dramaturg, Regisseur, Opernlibrettist und Autor (bei Droschl erscheint im Februar sein neuer Roman „Liebesgeschichte“) erfolgreich, hat zwar in Interviews die historische Parallelität der sich in vielem ankündigenden Wendezeit vor dem Ersten Weltkrieg zur Gegenwart betont, konzentriert sich aber in Inszenierung und Bearbeitung auf ein Kammerspiel, das sich zu einem Psychoduell mit tragischen Randfiguren (Michael Scherff als verzweifelter Vater, Magdalena Helmig als Ediths attraktive Cousine Ilona) zuspitzt. Die Dinge, die dabei in den knapp zwei pausenlosen Stunden dabei verhandelt werden, sind allgemeingültig und betreffen Kernfragen unseres Zusammenlebens.

Gastspiel im Stadttheater Baden

Mit einer hübschen Figurenerfindung nimmt sich Jonigk ein wenig jener Freiheit, von der dieser bei der Premiere lebhaft akklamierte Abend noch ein wenig mehr vertragen hätte können: Babett Arens kommentiert als Mischung aus Gouvernante und allwissender Erzählerin das Geschehen, greift gelegentlich ordnend oder helfend ein und warnt rechtzeitig vor kommendem Schrecken, um dessen Verstörung abzumildern. Dass sie in der 1914 kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs spielenden Handlung nicht nur um das Überleben des Leutnants und die Fakten des Zweiten Weltkriegs, sondern auch offenbar um den Ausgang des Dritten Weltkriegs Bescheid weiß, ist eine hübsche Pointe, die sie mit hintergründigem Lächeln serviert.

Die „Ungeduld des Herzens“, Zweigs einziger vollendeter Roman, beweist in St. Pölten drei Jahre nach Reichenau (Dramatisierung: Stefan Slupetzky, Regie: Michael Gampe) erneut seine Bühnentauglichkeit. Und schon bald kommt es zu einer weiteren Vergleichsmöglichkeit: Für seine eigene Fassung an der Berliner Schaubühne arbeitet der britische Regisseur Simon McBurney zum ersten Mal mit einem deutschen Schauspielerensemble. Premiere ist am 22. Dezember. Ein Gastspiel ist am 26. und 27. Jänner 2016 im Stadttheater der Bühne Baden geplant.

Wolfgang Huber-Lang, Austria Presse Agentur (APA)

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