Antidepressiva oft zu leichtfertig verschrieben

Jeder Zehnte nimmt Antidepressiva - Tendenz steigend. Aber nicht immer ist die Behandlung mit Medikamenten die richtige Wahl, kritisieren Experten, vor allem dann, wenn es nur um leichte depressive Verstimmungen geht.

Depression, Angstzustände, Burn-out - mehr als zehn Prozent der Bevölkerung machen zumindest einmal im Leben ein solches seelisches Tief durch. Mehr als sechs Millionen Mal pro Jahr werden in Österreich Antidepressiva verschrieben. Vor zehn Jahren waren es noch vier Millionen.

Rezept vom Hausarzt

Den Großteil dieser Rezepte stellt der Hausarzt oder die Hausärztin aus - oft zu leichtfertig, so die Kritik. „Ganz sicher nicht notwendig - das wissen wir aus Studien - sind Antidepressiva bei leichter Depression“, sagt Gerald Gartlehner von der Donau-Universität Krems. „Aus den Studien wissen wir, dass sie nur bei schwerer Depression wirken.“

Verordnungen von Antidepressiva in Österreich

Die Zahl ist in den vergangenen zehn Jahren stark gestiegen:

  • 2005: 4.068.404 Verordnungen
  • 2010: 5.499.698 Verordnungen
  • 2014: 6.371.325 Verordnungen

Ein klassisches Beispiel, bei dem Antidepressiva zu schnell eingenommen werden, seien Stimmungsschwankungen, die nur wenige Tage dauern, sagt Friedrich Riffer, ärztlicher Leiter des psychosomatischen Zentrums Eggenburg, „wo der Volksmund sagt: ‚Ich bin heute nicht gut drauf.‘“ In diesem Fall ist ein Antidepressivum nicht die richtige Wahl. „Wenn das aber über viele Wochen andauert oder die Angehörigen und Freunde schon sagen, dass man sich verändert hat, dann könnte eine Depression vorliegen.“

Für eine erfolgreiche Therapie müssen die Medikamente außerdem über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. Vier von zehn Verschreibungen sind aber Einmalverordnungen über einen kurzen Zeitraum.

Symbolbild Depression/Schatten einer Frau

dpa/Julian Stratenschulte

Stimmungsschwankungen sind nicht gleich Depressionen. Experten kritisieren eine zu schnelle Verschreibung von schweren Medikamenten.

Informationsdefizit bei Patienten und Ärzten

Gartlehner von der Donau-Universität sieht hier ein Informationsdefizit nicht nur bei den Patienten, sondern auch bei den Hausärzten: „Man müsste Ärzte objektiv informieren. Das Problem derzeit ist, dass die Hauptinformation der Ärzte von der Pharmaindustrie kommt.“

Der Leiter des psychosomatischen Zentrums Eggenburg relativiert: Die Hausärzte wüssten über das Thema Depression gut Bescheid. „Da gibt es einen engen Austausch mit den Fachärzten, es werden sehr viele Fortbildungen gemacht, und unsere Erfahrung ist, dass die Hausärzte im Allgemeinen die Depression gut erkennen. Das Problem, das vielleicht besteht, ist, dass oft zu wenig Zeit ist, um mit dem Patienten ausführlich zu sprechen.“

Tabletten

dpa/dpaweb/dpa/C3625 Heiko Wolfraum

Psychotherapie kann eine Alternative zu Tabletten darstellen

Psychotherapie als Alternative?

Im Idealfall sollte die Erstverschreibung der Antidepressiva trotzdem durch einen Facharzt erfolgen. Grundsätzlich gebe es auch Alternativen, etwa Psychotherapie. „Das Einnehmen von Pillen ist natürlich die bequemste Art der Therapie, sowohl für den Arzt als auch für den Patienten“, begründet Gartlehner die Tendenz zur medikamentösen Behandlung, „Psychotherapien wirken - zumindest die kognitive Verhaltenstherapie - genauso gut wie Antidepressiva, aber sie werden manchmal nicht bezahlt von den Krankenkassen und sind auch wesentlich mehr Aufwand für den Patienten, weil er zumindest einmal wöchentlich zum Therapeuten gehen muss.“

In Niederösterreich gibt es derzeit 220 Therapeutinnen und Therapeuten mit Kassenvertrag. Bei der Gebietskrankenkasse betont man aber, dass Psychotherapie nur ein zweites Standbein einer Behandlung und keine Alternative sein kann. Zudem werden die Stundenkontingente laufend erhöht, heißt es.

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