„Offener“ Unterricht im Trend

Immer mehr Lehrer in Niederösterreich absolvieren eine Zusatzausbildung im Bereich des „offenen Unterrichts“, der Montessoripädagogik. Die Plätze sind begehrt, doch die Unterrichtsmethode ist nicht unumstritten.

Der Gang in der Karl-Stingl-Volksschule in Mödling, der zu den beiden Montessoriklassen führt, ähnelt eher einer Kindertagesstätte als einer traditionellen Schule. Dort befinden sich Tische mit Material zum Experimentieren, an der Wand hängen große Bögen aus Packpapier, die von den Schülerinnen und Schülern bemalt werden können, und in einer Ecke steht ein großer Käfig, in denen sich die beiden Ratten „Flecki“ und „Stuppsi“ aufhalten. „Wir sind da, um sie zu füttern, und wir kuscheln mit ihnen“, erzählt eine achtjährige Schülerin.

Montessori-Schule in Mödling

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Die Ratten werden von den Kindern gefüttert

Daneben sitzt ein Schüler, der mit einer Feder schreibt, die er zuvor in ein Tintenglas getaucht hat. Während andere Schulkinder um diese Uhrzeit bereits an den Schulbänken sitzen, dürfen Kinder in Montessorischulen ausprobieren, was immer sie möchten. Der Großteil des Schultages besteht aus der sogenannten „Freiarbeit“, das heißt, die Kinder können selbst entscheiden, ob sie sich dem Fach Mathematik, Deutsch, dem Sachunterricht oder etwa der Kunst widmen. Die Pädagoginnen und Pädagogen sollen nur dann helfen, wenn ihre Hilfe vom Kind auch gewünscht wird.

Montessori: „Hilf mir, es selbst zu tun“

Dieses Bildungskonzept wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der Italienerin Maria Montessori, einer Medizinerin, ins Leben gerufen. Zunächst war diese Form der Pädagogik ausschließlich für sozial benachteiligte Kinder gedacht, die von ihren Eltern kaum bis gar nicht gefördert wurden. Montessoris Methoden wurden jedoch schnell auch in höheren sozialen Schichten populär.

Im Jahr 1924 öffnete die erste Montessorischule in Österreich, auch Kindergärten übernahmen zunehmend die Lehrmethoden. Der Satz „Hilf mir, es selbst zu tun“ ist noch immer eine der essentiellsten Aussagen Montessoris. Das Kind und seine Individualität werden in den Mittelpunkt gestellt, Kinder sollten völlig frei und nur auf Grund ihrer Motivation lernen wollen.

Montessori-Schule in Mödling

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In den Klassen hängen große Bögen aus Packpapier, die bemalt werden können

In den beiden Montessoriklassen in Mödling scheint der freie und selbstständige Unterricht nicht dazu zu führen, dass die sechs- bis zehnjährigen Kinder laut und unruhig sind. Die Kinder sitzen durchwegs konzentriert vor der Arbeit, die sie sich für den jeweiligen Tag ausgesucht haben. „Wir bekommen keine Zettel vorgesetzt wie andere Kinder in der Volksschule“, erklärt die neunjährige Pauline, „wir sind komplett frei in dem, was wir machen. Und das ist schön.“

Kinder müssen Lehrplan erfüllen

Trotz aller Freiheiten müssen sich die Kinder an einen zu absolvierenden Tagesplan halten. „Die Kinder erfüllen das, was vom Lehrplan vorgegeben wird. Manche ‚übererfüllen‘ den gewünschten Lehrplan. Jedes Kind arbeitet in seiner eigenen Geschwindigkeit, und das soll auch so sein“, sagt Katharina Karrer, die Lehrerin.

Montessori-Schule in Mödling

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In der Klasse macht jeder etwas Anderes - „Freiarbeit“ heißt das Konzept

Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in der Otto-Glöckel-Volksschule in St. Pölten. Auch hier wählen die Kinder selbst ihre Aufgaben. Sie müssen nicht aufzeigen, um die Aufmerksamkeit der Lehrerin zu bekommen. „Ich habe jetzt zwei Tage nur Mathematik gemacht. Das ist in Ordnung“, sagt der Schüler Alexander, „jetzt muss ich halt zwei Tage Deutsch machen.“

Sendungshinweis

„NÖ heute“, 1.2.2016

In Niederösterreich hat der Trend zur Montessori-Pädagogik in den vergangenen zwei Jahren zugenommen. Doch diese spezielle Lehrmethode hat auch ihren Preis: Eltern müssen oft lange Schulwege in Kauf nehmen, weil es nicht überall Montessoriklassen gibt, und die Schulen kosten in der Regel viel Geld. „Selbstverständlich will jeder sein Kind hier unterbringen. Das geht aber leider nicht“, sagt die Leiterin der Volksschule Mödling.

Montessori-Pädagogik nicht unumstritten

Die Montessori-Pädagogik hat aber auch viele Kritiker. Die meisten Montessoriklassen enden nach der vierten Schulstufe und dem Übertritt ins Gymnasium. Kinder, die zuvor Montessoriklassen besuchten, werden plötzlich mit Frontalunterricht konfrontiert, mit dem sie aber nicht umgehen könnten, so die Kritik. Außerdem sei die Art des „offenen Unterrichts“ nicht für jedes Kind geeignet.

Montessori-Schule in Mödling

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Die Kinder dürfen ausprobieren, was immer sie möchten: ein Konzept, das nicht für jedes Kind geeignet ist, so die Kritik

Die Montessori-Klassen in Mödling und St. Pölten sind übrigens keine „reinen“ Montessorischulen. Es wird zwar dort nach den Methoden Montessoris gearbeitet, aber es gibt auch normale Regelunterrichtseinheiten in Fächern wie zum Beispiel Mathematik, Lesen oder Sachunterricht. Trotz allem scheinen die Kinder mit der ungezwungenen Unterrichtsform sehr zufrieden zu sein - vermutlich ist es auch das, was Maria Montessori vor über 100 Jahren erreichen wollte.

noe.ORF.at, Barbara Tschandl

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