Das Gulasch und die Landeshauptstadt

Wien hat sein Schnitzel. Salzburg seine Nockerl. Und St. Pölten? Das Gulasch. 1986 leitete der Slogan „Ein Land ohne Hauptstadt ist wie ein Gulasch ohne Saft“ die Schaffung einer Landeshauptstadt für Niederösterreich ein.

Der Slogan, den Mitte der 1980er-Jahre die Agentur Schretter für die ÖVP Niederösterreich entwickelt hatte, schaffte den seltenen Sprung zum geflügelten Wort. Der damalige Landeshauptmann Siegfried Ludwig (ÖVP) zog damit eine landesweite Werbekampagne für die Schaffung einer eigenen Landeshauptstadt an. Eine Kampagne, die erfolgreich war.

Plakat der ÖVP zur Landeshauptstadtfrage, vor der Volksbefragung

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Die ÖVP war 1986 für die Schaffung einer Landeshauptstadt, die SPÖ dagegen

Am 1. und 2. März 1986 kam es zur Volksbefragung, bei der 1,2 Millionen Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher zur Urne gerufen waren. Einerseits sollten sie darüber abstimmen, ob sie eine eigene Landeshauptstadt wollen, und im selben Wahlgang auch gleich, wo diese Hauptstadt entstehen sollte. Zur Wahl standen St. Pölten, Krems, Baden, Tulln und Wiener Neustadt.

56 Prozent für eigene Hauptstadt

Das Votum fiel klar aus – wie ein Gulasch ohne Saft konnte sich die Mehrheit der Niederösterreicher ihr Land offensichtlich nicht vorstellen, 56 Prozent entschieden sich für eine eigene Landeshauptstadt, 44 Prozent dagegen. Wobei es ein West-Ost-Gefälle gab: Im Wald- und Mostviertel war die Zustimmung deutlich stärker als im Wein- und Industrieviertel, was nachvollziehbar ist, denn bis dahin war Wien Niederösterreichs Verwaltungszentrum.

Die Teilnehmer an der Volksbefragung – immerhin 61 Prozent der Wahlberechtigten – stimmten mehrheitlich für St. Pölten. Die spätere Landeshauptstadt kam auf 44,6 Prozent, Krems auf 29,3 Prozent, Baden auf 8,2 Prozent, Tulln auf 5,3 Prozent und Wr. Neustadt auf 4,1 Prozent.

Volksbefragung am 1. März 1986

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56 Prozent entschieden sich bei der Volksbefragung am 1. und 2. März 1986 für eine eigene Landeshauptstadt für das Bundesland Niederösterreich

Diese Entscheidung war Grundlage für einen Landtagsbeschluss am 10. Juli 1986, bei dem die Landesverfassung geändert und St. Pölten zur neuen Landeshauptstadt ernannt wurde. Diesem Beschluss gingen allerdings langwierige Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ voraus, denn SPÖ-Chef Ernst Höger hatte sich gegen eine Landeshauptstadt und für ein Regionalkonzept ausgesprochen. Letztendlich war es ein Kompromiss, der den Weg öffnete: Landeshauptstadt und Regionalförderung sollten kommen.

Ende einer jahrzehntelangen Diskussion

Damit wurde eine 65 Jahre dauernde Diskussion beendet. Seit dem Jahr 1921, als Wien und Niederösterreich als Bundesländer getrennt wurden, war sie immer wieder aufgeflammt. Landeshauptmann Andreas Maurer (ÖVP) hatte 1974 ernsthafte Verhandlungen begonnen, sie aber dann um zehn Jahre verschoben.

Landeshauptmann Siegfried Ludwig läutete die Entscheidung im Jahr 1984 beim Landesparteitag der ÖVP mit der Ansage ein, eine eigene Landeshauptstadt sei eine „kühne, aber durchaus realistische Vision“. Wäre die Volksbefragung gegen die Landeshauptstadt ausgegangen, so betonte Siegfried Ludwig später, wäre er noch am selben Abend zurückgetreten.

Aber die Abstimmung vor 30 Jahren ging für eine Landeshauptstadt St. Pölten aus und damit für den Bau eines Regierungsviertels zwischen 1992 und 1997, der zu dieser Zeit größten Baustelle Europas. Der Rest ist Geschichte. Geschichte, die auch mit Gulasch geschrieben wurde.

Robert Salzer, noe.ORF.at

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