Meissner-Blau: „Damals sind viele aufgewacht“

Für ihren Kampf gegen das AKW Zwentendorf wurde sie als „Staatsfeind“ bezeichnet: Die im Dezember 2015 verstorbene Freda Meissner-Blau hat für den Katalog der Ausstellung „Die 70er“ eines ihrer letzten Interviews gegeben.

Frau Meissner-Blau, was haben die 1970er-Jahre für Sie persönlich bedeutet?

Freda Meissner-Blau: Ich bin 1972 wieder nach Wien zurückgekehrt, davor habe ich in Paris gelebt. Es war eine sehr hoffnungsvolle Zeit; man hat die zu Beginn noch leisen und dann immer stärker werdenden Aufbrüche im politischen wie im akademischen Bereich gespürt. Man wusste, dass sich Dinge ändern müssen – und ändern werden.

Dieses versteinerte Parlament, in dem Vertreter von drei Parteien saßen… Zwei hatten das Land im Besitz, und die dritte konnte man nicht als Oppositionspartei bezeichnen, weil sie für sich dasselbe wollte wie die beiden anderen. Man hatte das Gefühl, dass nichts passiert, weil alles abgesprochen ist. Der einzige Trost war Bundeskanzler Bruno Kreisky, der dann sehr viel zur Veränderung und zum spürbaren Aufbruch beigetragen hat.

Was hat dieses Jahrzehnt in Österreich bewirkt?

Meissner-Blau: Es war die Zeit der beginnenden Umweltbewegung, die sich vor allem in der Anti-Atomkraftwerk-Bewegung manifestierte. Man diskutierte über die zunehmende Verschlechterung des Zustandes heimischer Flüsse und Seen, in deren Sanierung zwar Geld investiert wurde, aber nur wegen des Tourismus – Stichwort Kärntner Seen und Salzkammergut. Das war der Anfang eines Prozesses der Bewusstwerdung, wie wichtig der Erhalt einer intakten Umwelt ist.

Freda Meissner-Blau, 2012

APA/Georg Hochmuth

Freda Meissner-Blau (1927-2015)

Am 5. Oktober 1978 sagte die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung bei einer Volksabstimmung Nein zur Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf. Sie waren eine der Galionsfiguren dagegen.

Meissner-Blau: Wir wollten den Menschen klar machen, dass es Alternativen zur Atomkraft gibt. Damals wurde viel Geld in die Panikmache investiert: Es gab Plakate wie „Bei Kienspan und Kerzen werden wir frieren“; die Menschen sollten glauben, dass wir ohne Atomenergie zurück in die Höhle müssen.

Sie wurden als „Staatsfeind“ und „Fortschrittsverweigerer“ bezeichnet, weil sie gegen das AKW Zwentendorf waren. Wie war die Stimmung 1978?

Meissner-Blau: Die Stimmung war furchtbar aufgeheizt. Millionen, wenn nicht Milliarden Schilling wurden investiert, um die Gehirne der Österreicherinnen und Österreicher zu waschen: In den Unternehmen drohte man den Menschen, dass sie ihre Arbeitsplätze verlieren, wenn sie mit Nein stimmten. Unser Slogan war: „Wenn nicht sicher, dann lieber Nein“, und das haben offenbar viele Leute begriffen – viel mehr, als wir erhoffen konnten.

50,47 Prozent haben bei der Volksabstimmung mit Nein gestimmt. War das Ergebnis eine große Überraschung für Sie?

Meissner-Blau: Es war der erste große Sieg für uns. In den Wochen davor sind wir gelaufen und haben versucht, die Menschen mit unseren Argumenten zu überzeugen. Am 5. November 1978 in der Früh fragte mich mein Mann Paul Blau, wie viele Nein-Stimmen ich erwartete. Ich habe nicht geglaubt, dass wir eine Mehrheit erreichen werden. Als das Ergebnis feststand, haben wir alle gejubelt. Wir waren überzeugt, einen großen Schritt weitergekommen zu sein. Erst das Engagement gegen Zwentendorf hat 1984 die Rettung der Donau möglich gemacht.

Es war das Jahrzehnt des Bruno Kreisky, des ersten Bundeskanzlers nach 1945, der nicht der ÖVP angehörte. Was für ein Mensch war er?

Meissner-Blau: Bruno Kreisky war ein Weltmensch. Er ist der einzige Politiker der Zweiten Republik, den ich als Staatsmann bezeichne. Kreisky war weltoffen, er war hochintelligent, hatte aber auch Intuition. Als er Skandalon Muammar al-Gaddafi einlud, war das zu seiner Zeit eine große und wichtige Tat. Denn Kreisky war überzeugt: Wenn es zu einer kriegerischen Situation kommt, wird es im Vorderen Orient zwischen Palästina und Israel explodieren.

Freda Meissner-Blau, 2004

APA/Hans-Klaus Techt

Freda Meissner-Blau, Galionsfigur gegen das Donaukraftwerk Hainburg, auf einem Foto aus dem Jahr 2004

„Unter den Talaren Muff von 1.000 Jahren“ war einer der bekanntesten Slogans der Studentenbewegung. Hat es diesen Muff auch in Österreich gegeben?

Meissner-Blau: Die Talarträger wahrten den Besitzstand, von außen durfte ja keiner kommen. Als wir Anfang der 1960er-Jahre in Wien das Institut für Höhere Studien gründen wollten, war die Gemeinde Wien kooperativ – genau das Gegenteil mussten wir aber bei der Universität Wien feststellen. „Ach, jetzt kommen sie zurück, die Juden“, wurde über die Institutsgründer Paul F. Lazarsfeld und Oskar Morgenstern gesagt. Das hat mich sehr schockiert. Auch die Vorurteile waren noch da, in den Köpfen hatte sich damals nichts geändert gehabt.

Unter Kreisky wurden Gratis-Schulbücher eingeführt, und man musste keine Studiengebühren mehr bezahlen. Wurden damit neue Bildungsmöglichkeiten für neue Bevölkerungskreise geschaffen?

Meissner-Blau: Das ist passiert, aber nicht in dem Maße, in dem man es sich erhofft hatte – und heute geht der Anteil der Arbeiterkinder an den Universitäten ja noch weiter zurück. Es sind nicht alle Chancen ergriffen worden, die hätten ergriffen werden sollen, aber es ist trotzdem Positives passiert.

„Der Zorn ist eine der großartigsten Bewegungen im Menschen… Diese Empörung über Ungerechtigkeiten hatte ich ja schon als Kind – und er ist mir bis heute geblieben“, schreiben Sie in Ihrem Buch „Die Frage bleibt“.

Meissner-Blau: Wenn man überzeugt ist, dass eine Sache falsch und ungerecht ist, dann soll man aufstehen, um sie zu ändern. Zorn über unerträgliche Verhältnisse kann der Antrieb sein, sich zu engagieren.

War das jetzt ein Aufruf zur Revolution von unten?

Meissner-Blau: Sagen wir ein Aufruf zur Revolte. Ich proklamiere nicht Revolutionen, denn die sind meist sehr blutig verlaufen. Nein, ich will es friedlich, wenn es irgendwie geht.

„Die bereicherndste politische Arbeit war die Arbeit mit Frauen“, haben Sie einmal gesagt. Waren die 70er-Jahre das Jahrzehnt der Frau?

Meissner-Blau: Ja, es hat damals zumindest begonnen, und ich bin stolz auf die Frauenbewegung, die sich zu dieser Zeit etabliert hat. Zwar wurden nicht immer die wichtigsten Fragen behandelt, aber vor allem das Recht auf Selbstbestimmung, ob ich Kinder haben will oder keine, das war wohl das Wichtige in der Bewegung. Und natürlich die Bewusstseinsänderung bei den Frauen selbst. Dafür hat es einen langen Weg gebraucht, eigentlich bis heute, und er ist noch immer nicht ganz zu Ende.

Freda Meissner-Blau, Nationalrat, 17. Dezember 1986

APA/Robert Jäger

1986 schafften die Grünen den Sprung in den Nationalrat: Herbert Fux, Walter Geyer und Freda Meissner-Blau (2. Reihe v.l.) sowie Josef Buchner, Peter Pilz und Manfred Srb (3. Reihe v.l.)

Gab es gesellschaftliche Utopien, die man umsetzen wollte? War die Zeit reif dafür?

Meissner-Blau: Vielleicht war sie es in den frühen 70er-Jahren noch nicht, aber es gab doch Experimente wie zum Beispiel die Subsistenzwirtschaft in kleineren Gruppen. Da haben viele aber gemerkt, welche harte Arbeit es ist, sich selbst zu erhalten. Immer wieder wurden utopische Versuche gemacht; manche sind gescheitert, manche wurden zu einem Beispiel dafür, was wir in einer Notzeit tun müssten, um die ganz große Katastrophe abzuwenden.

Friedensreich Hundertwasser hat proklamiert, dass man in Großstädten auf den Flachdächern der Häuser Gärten anlegen könnte – jetzt, Jahrzehnte später, gibt es in Wien viele solcher Gärten, in denen die Menschen Blumen und Gemüse anpflanzen. Es geht nicht um ein paar Karotten, sondern auch darum, was an Gemeinschaftsarbeit und an gegenseitiger Hilfe geschieht.

Wichtig waren damals auch alternative Lebensformen wie Wohngemeinschaften oder Kommunen. Beim Wort Kommune fallen den meisten vermutlich der Friedrichshof und Otto Muehl ein. Das ist aber nicht das beste Beispiel für den Kommunengedanken der 70er-Jahre?

Meissner-Blau: Nein, nicht wirklich. Ich habe natürlich eine ganz andere Vorstellung von Gemeinschaft, und es entstehen ja auch Häuser, in denen alle Generationen zusammenleben. Ich halte das für ungeheuer wichtig, und es gibt immer mehr solcher Projekte, die sich sehr bewähren. Die Menschen sind dort alle ganz glücklich.

Konnte in den 70er-Jahren ein neues politisches Bewusstsein geschaffen werden, sind die Menschen offener, interessierter und politischer geworden?

Meissner-Blau: Ja, würde ich sagen. Manches sickert erst langsam, aber es sind viele aufgewacht.

Das Gespräch mit Freda Meissner-Blau führte Reinhard Linke, noe.ORF.at im September 2015. Freda Meissner-Blau starb am 22. Dezember 2015 im Alter von 88 Jahren. Das Gespräch ist dem Katalog der Schallaburg-Ausstellung „Die 70er – Damals war Zukunft“ entnommen.