Immer mehr Kinder sind kurzsichtig

Internationale Studien zeigen, dass immer mehr Kinder kurzsichtig sind. Diesen Trend bestätigen auch Augenärzte in Niederösterreich. Der Aufenthalt im Freien kann das Fortschreiten der Fehlsicht stoppen.

„Professoren tragen Brillen“ und die „Leseratte mit der Brille“: Dass hinter diesen Behauptungen nicht nur Klischees stehen, zeigen internationale Studien. Die Wissenschaft kann heute einen Zusammenhang zwischen Bildung und Kurzsichtigkeit nachweisen. Das Universitätsklinikum Mainz in Deutschland untersuchte in der Gutenberg-Gesundheitsstudie 15.000 Personen.

Das Ergebnis belegt, je länger ein Mensch in die Schule geht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit kurzsichtig zu werden. Mehr als die Hälfte (60,20 Prozent) der Untersuchten mit Matura waren kurzsichtig, aber nur ein Viertel (27,20 Prozent) jener mit Pflichtschulabschluss.

Augen

ORF / Anna Wohlmuth

Studien belegen: Je gebildeter, desto kurzsichtiger

Aufenthalte im Freien entscheiden über Sehkraft

Naharbeit für die Augen, dazu zählt Lesen ebenso wie Spielen am Handy oder dem Tablet, fördert die Augenerkrankung. „Eine australische Forschergruppe hat 2012 nachgewiesen, dass die Naharbeit durch Bildschirmspiele sicher ein Faktor ist, der die Kurzsichtigkeit verstärkt“, sagt Peter Gorka, Fachgruppenobmann der Augenärzte der Ärztekammer Niederösterreich. Zur Beruhigung der Eltern müsse er aber auch sagen, dass diese Naharbeit einen relativ geringen Anteil ausmache. Viel entscheidender sei hingegen, wie oft und wie lange man sich im Freien aufhalte.

Stubenhocker würden nach vorliegenden Studienergebnissen „ganz sicher stärker kurzsichtig“, so Gorka. Worauf das zurückzuführen ist, sei noch nicht eindeutig wissenschaftlich erwiesen. „Eine Theorie sagt, dass die Einstellung der Augen in die Ferne wichtig ist. Eine andere sagt, dass das Licht sehr wichtig ist. Im Freien ist das Licht erstaunlich viel stärker als im Innenraum. Wir haben in einem normal beleuchteten Innenraum 500 Lux Lichtstärke, an einem bewölkten Tag im Freien ungefähr 10.000 Lux und an einem hellen Sonnentag sogar 40.000 Lux.“

Durch das Licht könnte das Längenwachstum des Auges und somit die Kurzsichtigkeit gebremst werden. Schon 40 Minuten im Freien pro Tag können das Risiko für eine Kurzsichtigkeit um ein Viertel reduzieren, sagen Wissenschafter.

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Es gibt nur Studien, keine tatsächlich erhobenen Daten aus Österreich

Zahl der Kurzsichtigen laut Studien verdoppelt

Wieviele Kinder in Österreich kurzsichtig sind, dazu gibt es keine Zahlen, bestätigt das Bundesministerium für Gesundheit. „In meiner Ordination mache ich die Beobachtung, dass die Kurzsichtigkeit der Kinder deutlich zugenommen hat, das deckt sich auch mit internationalen Studien“, sagt Gorka. Der Mediziner nennt auch Studienergebnisse, wonach sich die Anzahl der kurzsichtigen Patienten in den vergangenen 50 Jahren verdoppelt habe.

Neben externen Faktoren, die die Kurzsichtigkeit verursachen können, spielen aber auch die Gene eine entscheidende Rolle. Das sei die erste Grundvoraussetzung, so Gorka. „Die genetische Veranlagung ist ganz klar. Man weiß, wenn ein Elternteil kurzsichtig ist, dass das Risiko für das Kind bei etwa 20 bis 30 Prozent liegt. Wenn beide Elternteile kurzsichtig sind, steigt das Risiko von vornherein auf 70 Prozent an.“

Jedes Neugeborene ist wegen der Kleinheit des Auges, so der Arzt, stark weitsichtig. „Da sprechen wir von fünf bis sieben Dioptrien.“ Das seien Werte, die laut dem Experten normal sind und sich im Laufe der Entwicklung auswachsen. Bereits im Kindergartenalter normalisiere sich das Auge des Menschen. „In welcher Geschwindigkeit das passiert, ist interessant, um abzuschätzen, wann der Punkt eintreten wird, an dem eine Kurzsichtigkeit entstehen kann.“ Typisch sei die so genannte „Schulkurzsichtigkeit“, die im frühen bis späten Volksschulalter eintritt.

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Forschung im Kampf gegen die Kurzsichtigkeit

Wer einmal kurzsichtig ist, der wird es bleiben. Allerdings forschen Augenärzte intensiv nach Methoden, um das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit zu stoppen. Gorka spricht von einer „aufregenden Entwicklung in der Medizin“, denn mehrere Methoden, die eine deutlichere Beeinflussung des Augenwachstums und somit das Aufhalten der Kurzsichtigkeit ermöglichen, werden angekündigt.

„Einerseits geht es um die Anwendung von Augentropfen, also pupillenerweiterndem Atropin, das in einer 100fachen Verdünnung wahrscheinlich regulierend auf das Augenwachstum einwirkt“, sagt der Arzt. Andererseits gebe es bestimmte Arten von Kontaktlinsen, die eine neue optische Charakteristik haben, wodurch das Auge ausgetrickst wird und das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit verlangsamt werden kann.

Anna Wohlmuth, noe.ORF.at