Ferienmythen auf dem Prüfstand

Die Debatte um die Sommerferien kommt jedes Jahr so sicher wie das Zeugnis. Aber was bedeuten Ferien für jene, um die es geht, für die Schülerinnen und Schüler? noe.ORF.at hat mit Schulpsychologin Andrea Richter gesprochen.

Andrea Richter ist Leiterin des schulpsychologischen Dienstes beim Landesschulrat und sie warnt im Interview mit noe.ORF.at: „Ferien werden manchmal einfach übertrieben hoch bewertet. Was man jetzt nicht alles machen und erleben muss, wofür endlich Zeit ist. Das kann den Kindern auch Stress machen.“ Dass der Familienurlaub leicht überbewertet wird, haben schon viele Studien aufgezeigt. Ähnliches gilt auch für die Ferien, sagt Richter. Entspannung lasse sich nicht erzwingen. Wenn der (Schul-)Alltag wegfalle, könne das bei den Kindern auch Stress erzeugen - weil es keine Tagesstruktur und keine Regelungen gebe.

Schülerin vor Schultafel

APA/Roland Schlager

Dazu komme, dass die meisten Eltern trotz der Ferien der Kinder weiterarbeiten müssen, die Kinder deshalb in Feriencamps oder zu den Großeltern geschickt werden, obwohl sie darauf oft gar keine Lust hätten. Ein weiterer Punkt: Viele Kinder verlieren während der Ferien ihr soziales Umfeld, sprich, den Kontakt zu den Schulfreunden - auch das erzeuge Stress, sagt Richter.

Sinkender IQ und das Lob der Langeweile

Über Sinn oder auch Unsinn der Ferien gibt es viele Meinungen. So kursieren im Internet Studien, die belegen, dass der Intelligenzquotient der Schülerinnen und Schüler im Laufe der Ferien sinkt. Andererseits soll Langeweile wichtig sein, um überhaupt Kreativität entwickeln zu können. Die oberste Schulpsychologin Niederösterreichs kann beiden Theorien nur bedingt etwas abgewinnen.

Andrea Richter Schulpsychologin am Landesschulrat

ORF

Andrea Richter: „Entspannung lässt sich nicht erzwingen“

„Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass man im Lauf der Ferien beim Intelligenztest um einige Punkte hinunterfällt. Das heißt aber nicht, dass man dümmer wird, die Kinder sind einfach aus der Testlösungs-Praxis draußen und kommen mit Schulbeginn rasch wieder in Schwung“, erklärt Richter.

Die These, dass das Gelernte sich während der Ferien festige, unterstützt Richter nicht: „Man verarbeitet Gelerntes nur, indem man darüber nachdenkt.“ Wobei die Psychologin betont, dass es viele Formen von Lernen gebe, neben dem Auswendiglernen beispielsweise auch das Verstehenlernen.

Was das Lob der Langeweile betrifft, das Kinder zu Kreativität ansporne, warnt Richter vor falschen Erwartungen: „Kreativ werden nur Kinder, die es gewohnt sind, kreativ zu werden, die gelernt haben, selbst Spiele zu entwickeln. Wie haben Kinder spielen gelernt, wie weit sind sie selbstständig, wie weit vertrauen sie auf sich selbst, all das fließt hier hinein.“

Viele Kinder würden die Langeweile einfach nur vor dem Computer oder dem Fernsehgerät bekämpfen, sagt Richter und betont außerdem, dass nicht jede Form der Kreativität auch von den Eltern gewünscht wird. Kreativität heiße, neue Wege zu gehen, und das müssten nicht immer jene Wege sein, die den Eltern gefallen. „Auch Drogensucht ist ein Weg, der Langeweile zu entgehen“, bringt Richter ein bewusst drastisches Beispiel.

Richter: „Besser sind kürzere Ferien, dafür aber öfter“

Neun Wochen Ferien - das jährliche Highlight der Kinder ist der Alptraum der meisten Eltern. Aber was ist aus schulpsychologischer Sicht das Beste? Brauchen die Kinder so viel Zeit, um sich von der Schule zu erholen?

Andrea Richter spricht sich im Sinne der Kinder für eine Verkürzung der Ferien aus und könnte sich eine Aufteilung vorstellen: „Kürzere Sommerferien und dafür Herbstferien wären besser. Denn die Strecke von Schulbeginn bis Weihnachten ist sehr lang. Der einzige Vorteil von neun Wochen Ferien ist, dass sich die Kinder danach wieder auf die Schule und auf ihre Freunde freuen und sich denken ‚Schule ist vielleicht doch nicht so schlimm‘.“

Feriendebatte nicht aus Neid führen

Richter schränkt aber ein: Aus Lehrersicht sei das mitunter problematisch, weil die erste und die letzte Ferienwoche Fortbildungswochen seien. Natürlich gebe es immer noch Lehrerinnen und Lehrer, die die vollen neun Wochen frei nehmen, aber „das ist nicht der Großteil der Lehrer“. Vor allem in höherbildenden Schulen kommt auch der Aspekt dazu, dass die Schülerinnen und Schüler während der Ferienzeit mehrwöchige Praktika absolvieren (müssen) und dann gar nicht mehr so viel echte Ferienzeit bleibt.

Abschließend betont Richter: Die Feriendebatte sollte im Sinne der Schülerinnen und Schüler geführt werden und darf nicht von Neid geprägt sein, denn: „Wer Lehrerinnen und Lehrer um die Ferien beneidet, dem sage ich, dass er sich einfach einmal in so eine Klasse reinstellen soll.“

Ursula Köhler, noe.ORF.at