„Brexit“: Mögliche Folgen für Niederösterreich

Großbritannien zählt auch zu den zehn wichtigsten Handelspartnern Niederösterreichs. Daher sind negative Folgen durch den „Brexit“ für die heimische Wirtschaft nicht auszuschließen, aber es gäbe auch Chancen, hieß es.

Wenig Erfreuliches für die heimische Wirtschaft sieht der Wirtschaftsexperte Gottfried Haber von der Donau-Universität Krems. „Generell führt dieser ‚Brexit‘ zu großen Unsicherheiten und Turbulenzen, auch in Niederösterreich kann das dann mittel- und langfristig dazu führen, dass der Wirtschaftsaufschwung, der jetzt zögerlich begonnen hat, weiter gedämpft wird. Also, es kann zu Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt und auch in der Wirtschaftsleistung führen“, sagte Haber.

Viele Chancen für heimische Betriebe trotz „Brexit“

Neben aller Verunsicherung findet man hingegen in der Landesregierung auch positive Worte. Denn der jetzt beschlossene „Brexit“ könne aus niederösterreichischer Sicht auch durchaus als Chance gesehen werden, sagte Wirtschaftslandesrätin Petra Bohuslav (ÖVP). „Wir haben erst letztes Jahr eine Delegationsreise nach Großbritannien durchgeführt, weil wir gesehen haben, dass gerade in Großbritannien noch viele Chancen und viele Potenziale für niederösterreichische Unternehmen bestehen.“

Bohuslav: „Exportvolumen soll auf 700 Mio. steigen“

„Wir haben jetzt etwa ein Exportvolumen von 530 Millionen Euro und wollen dieses Exportvolumen auf circa 700 Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren steigern. An diesem Plan werden wir auch weiterhin festhalten. Natürlich gibt es Verunsicherungen, wie wird sich dieser Austritt Großbritanniens auswirken“, so Bohuslav.

Man werde das in den nächsten Monaten sehr genau beobachten, aber „ich sehe für uns auch eine Chance darin, dass einige internationale Unternehmen überlegen werden, ob sie nicht ihren Standort von UK verlagern wollen, wenn sie die europäischen Märkte weiterhin bearbeiten wollen. Und da würde sich natürlich schon Niederösterreich anbieten“, sagte die Wirtschaftslandesrätin.

Mikl-Leitner: „Entscheidung soll eine Chance sein“

„Jetzt sind die echten Europäer gefragt“, sagte Landeshauptmann-Stellvertreterin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), die Europäische Union schlage sich unter ihrem Wert. Die Entscheidung in Großbritannien „sollte jetzt die Chance sein, dass auch die letzten in Europa begreifen: Es braucht Tempo und Entschlossenheit bei den entscheidenden Zukunftsfragen“, so Mikl-Leitner.

Man müsse sich innerhalb der EU im Wesentlichen auf zwei deutliche Offensiven verständigen: „Es braucht zum einen eine Entbürokratisierung-Offensive, die ihren Namen verdient hat, und zum anderen endlich mutige Entscheidungen zum Stopp der Migrationsströme, bereits außerhalb der EU. Die Vorschläge dazu liegen seit zwei Jahren auf dem Tisch“, so die Landeshauptmann-Stellvertreterin. Jetzt sollte auch den Letzten klar sein, es sei an der Zeit zu handeln.

Renner: „Kein guter Tag, aber Chance auf Relaunch“

Als „keinen guten Tag für Europa, aber auch eine Chance für einen Relaunch des Einigungsprozesses“, bezeichnete Landeshauptmann-Stellvertreterin Karin Renner (SPÖ) das Abstimmungsergebnis. „Der Weg zu einem sozialen und gerechten Europa, wo die Menschen im Mittelpunkt stehen, ist noch längst nicht bewältigt, noch immer dominieren die Interessen von Großkonzernen, des Kapitals und von tausenden Lobbyisten“, so die Sozialdemokratin. Die EU habe keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken, sich in Selbstmitleid zu üben oder ängstlich auf so manche populistischen Anti-EU-Kräfte zu schielen.

Ganz im Gegenteil gelte nun der Grundsatz „Packen wir’s an, es gibt genug zu tun.“ Im Vordergrund müsse die Wiedererlangung des Vertrauens der Menschen in das Friedensprojekt Europa, das bereits mehr als 70 Jahre Frieden auf dem Kontinent brachte, stehen: „Nicht einfach, aber machbar.“

Schwarz: „Ein deutliches Warnzeichen“

„Mit großer Sorge“ nahm die unter anderem für EU-Regionalpolitik zuständige Landesrätin Barbara Schwarz (ÖVP) das Ergebnis des britischen Referendums zur Kenntnis. „Die mehr als überraschenden Ergebnisse sind ein deutliches Warnzeichen und müssen sehr ernst genommen werden. Innerhalb der EU stehen wir im Moment vor den größten unerwarteten Herausforderungen in der Geschichte und die gilt es jetzt gemeinsam zu lösen“, teilte Schwarz in einer Aussendung mit.

„Für Parteien, die beharrlich einen Ausstieg aus der EU fordern, wurde mit dem Abstimmungsausgang Großbritanniens Öl ins Feuer gegossen“, meinte die Landesrätin. Damit seien sie jedoch „auf dem Holzweg“.

Zwazl: „Eine zweijährige Phase der Unsicherheit“

"Wir gehen nun auf eine zweijährige Phase der Unsicherheit zu, da der ‚Brexit‘ erst in zwei Jahren schlagend wird“, erklärte Sonja Zwazl, Präsidentin der Wirtschaftskammer Niederösterreich. Sie hoffe, dass nun möglichst rasch die Weichen für die konkreten Austrittsmodalitäten gestellt werden, um die angesprochene Phase der Unsicherheit möglichst kurz zu halten. „Erst, wenn genau feststeht, wie künftig die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien geregelt sind, wird man auch Klarheit über die konkreten Auswirkungen haben.“

Für Niederösterreich sieht Zwazl sehr unterschiedliche Auswirkungen, manche Unternehmen könnten massiv betroffen sein, andere praktisch gar nicht. Abgesehen von Wirtschaftsfragen sieht Zwazl mit dem britischen Abstimmungsergebnis das „Friedensprojekt EU in seiner Gesamtheit erschüttert“.

Salzer: „Unerfreulich und ein bitteres Ergebnis“

Das Abstimmungsergebnis sei unerfreulich, müsse aber akzeptiert werden, so die Reaktion von Thomas Salzer, dem Präsidenten der Industriellenvereinigung Niederösterreich. „Wenn die verbleibenden EU-Mitgliedstaaten im weltweiten Wettbewerb ihren Wohlstand halten möchten, kann die Devise nur lauten: Zusammenhalten bei jenen Themen, die nicht alleine gelöst werden können.“

Besonders bitter sei der „Brexit“ für jene Betriebe, die stark exportorientiert sind, „zumal Großbritannien aufgrund des Baubooms in der Hauptstadt London erst im Vorjahr als Hauptzielmarkt für die Exportoffensive des Landes definiert wurde.“

Links: