Kampusch: Zehn Jahre Freiheit und Spekulationen

Am Dienstag ist es zehn Jahre her, dass der damals 18-jährigen Natascha Kampusch nach ihrer Entführung und acht Jahren Gefangenschaft in Strasshof die Flucht gelungen ist. Bis heute ist der Fall nie ganz aus den Schlagzeilen verschwunden.

Am 23. August 2006 steht die Marchfelder Gemeinde Strasshof an der Nordbahn (Bezirk Gänserndorf) von einem Tag auf den anderen im Blickpunkt der internationalen Öffentlichkeit. Nachdem dort eine verwirrt wirkende, junge Frau aufgetaucht war, die sich als die acht Jahre zuvor entführte Natascha Kampusch entpuppte, wurde das Haus von Journalisten aus aller Welt bestürmt.

Haus von Natascha Kampuschs Gefangenschaft

ORF

Heute wirkt das Haus in Strasshof wie ein Geisterhaus. Es gehört mittlerweile Natascha Kampusch, nachdem es ihr als eine Art Wiedergutmachung überschrieben worden war. Wohnen will die heute 28-Jährige nicht in dem Haus. Sie kommt nur selten her, „vielleicht einmal alle zwei Monate, immer wenn irgendetwas ist, zum Beispiel der Wasserzähler, der getauscht werden muss“, erzählte sie vor Kurzem in einem Interview für die ORF-Sendung „Thema“ - mehr dazu in Natascha Kampusch: Zehn Jahre danach (noe.ORF.at; 17.7.2016).

In dem Haus blieb in den vergangenen zehn Jahren alles nahezu unverändert. „Es ging eher darum, das Ganze noch weiter so zu lassen, damit man sich noch besser erinnern kann. Als Gedächtnisstütze, damit es ein bisschen noch da ist, um es zu bewältigen“, sagte Kampusch. Nur das Verlies, das im Keller hinter einer Montagegrube eingerichtet war und in dem sie den Großteil der acht Jahre eingesperrt war, ließ sie auf eigene Kosten zuschütten.

Der Fall, der nicht zur Ruhe kommt

Bis heute ist die Causa Kampusch nie ganz aus den Schlagzeilen verschwunden. Immer wieder melden sich private Ermittler zu Wort, die nicht glauben wollen, dass ihr Entführer Wolfgang Priklopil alleine gehandelt hat. Selbst Kampuschs Vater bezweifelt das bis heute. Das habe sie „sehr verletzt“, sagte Kampusch im „Thema“-Interview. Sie bleibt bis heute dabei, dass es damals nur ein Täter war. Und auch am Suizid Wolfgang Priklopils werden immer wieder Zweifel laut. Erst heuer wurde diesbezüglich ein neues Gutachten eingereicht - mehr dazu in Kampusch: Zweifel an Priklopils Suizid (wien.ORF.at; 19.4.2016).

Kampusch

ORF

Das Haus, in dem Natascha Kampusch mehr als acht Jahre lang gefangen gehalten wurde, gehört heute ihr

Doch nicht nur Natascha Kampusch selbst wies eine etwaige „Mehrtätertheorie“ zurück, auch sämtliche Ermittlungsverfahren kamen bisher zu dem Schluss, dass Priklopil keine Hintermänner hatte. Zuletzt wies 2013 eine Evaluierungskommission unter Beteiligung des FBI und des deutschen Bundeskriminalamtes alle Verschwörungstheorien zurück: „Die Evaluierung hat ergeben, dass Wolfgang Priklopil die Entführung mit hoher Wahrscheinlichkeit alleine durchgeführt hat“, sagte damals der Präsident des deutschen Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke. Verbindungen des Entführers zur Rotlicht-, Sado-Maso- oder Pädophilenszene „konnten trotz umfangreicher Ermittlungen nicht festgestellt werden“. Sehr wohl festgestellt wurden von der Kommission aber „Ermittlungspannen“ und „Fehleinschätzungen“ bei den Ermittlungen.

Einer der lautstärksten Kritiker ist der ehemalige Präsident des Obersten Gerichtshofs (OGH), Johann Rzeszut, der seit 2010 schwere Vorwürfe gegen die mit dem Fall Kampusch betraut gewesenen Anklagebehörden erhebt. Rzeszut verfasste nun auch ein Buch mit dem Titel „Der Tod des Kampusch-Kidnappers: Wahrheitsfindung im Würgegriff“. Der Leiter der Evaluierungskommission im Fall Kampusch, der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), Ludwig Adamovich, landete vor Gericht, weil er in den Raum gestellt hatte, dass es Kampusch nach der Entführung „womöglich besser ergangen war als zuvor bei ihrer Familie“. Ihren Entführer Priklopil bezeichnete Adamovich als „Auftragstäter“.

Kampusch: „Der Wahnsinn lebt weiter“

„Es scheint einfach kein Ende haben zu dürfen. Aber gegen Verschwörungstheorien kann man sich weder mit Argumenten noch mit der Wahrheit wehren. Der Wahnsinn lebt einfach weiter“, schreibt Natascha Kampusch in ihrem Buch „Zehn Jahre Freiheit“, das anlässlich des zehnten Jahrestags ihrer Flucht am 12. August in den Buchhandel kam - mehr dazu in Kampusch präsentiert zweites Buch (wien.ORF.at; 18.8.2016).

Natascha Kampusch

APA / Herbert Pfarrhofer

„Ich wollte den Lesern einen Einblick in die Situation, wie sie damals war, geben. Und auch die Chance geben, irgendwie während des Lesens nachzuvollziehen, wie ich die Dinge verarbeitet habe“, sagte Kampusch bei der Buchpräsentation. Das Buch ist nicht ihr erstes, schon davor war Kampusch mehrmals in die Öffentlichkeit gegangen. 2012 kam ihr Buch „3096 Tage“ auf den Markt, das später auch verfilmt wurde.

Nach zehn Jahren Freiheit spricht Kampusch in dem neuen Buch auch von „neuen Mauern“ durch Medienberater, Psychologen oder Anwälte. Künftig will sie ihr Leben aber alleine bestimmen. „Ich möchte weiterhin an mir selbst arbeiten, an meiner Persönlichkeit. Menschen helfen, das ist mir auch sehr wichtig. Und ich möchte in zehn Jahren sagen, dass ich ein glückliches, zufriedenes Leben führe“, so Kampusch.