40 Jahre „Gemischtwarenladen“ der Fantasie

Seit 40 Jahren rollt der Circus Roncalli durch Europa. Er wurde von dem gebürtigen Lilienfelder Bernhard Paul gegründet, der sich noch heute auf seinen „täglichen Urlaub in der Manege“ freut, wie er im ganz persönlichen Interview verriet.

Auch 40 Jahre nach der Gründung des Circus Roncalli begeistert Direktor und Gründer Bernhard Paul noch immer als Clown Zippo das Publikum. Der gebürtige Niederösterreich wuchs in Wilhelmsburg auf, wo er sich schon als Kind in die Welt des Circus verliebte. Heute rollt sein eigener Circus nicht nur mit mehr als 100 Jahre alten Wägen durch Europa, sondern betreibt auch ein Apollo-Varieté in Düsseldorf oder ein Roncalli-Café in Hamburg. „Wir sind ein Gemischtwarenladen in Sachen Fantasie“ sagt Bernhard Paul, dessen Frau aus einer italienischen Circus-Familie stammt und drei Kinder ebenfalls in der Manege stehen. Im Circus sei er zuhause und hier wolle er eine Welt schaffen, in der sich junge und alte Kinder wohl fühlen, sagt er im Gespräch mit Anne-Maria Neubauer.

Bernhard Paul als Clown

Circus Roncalli GmbH 2012

Als Clown Zippo begeistert Bernhard Paul noch immer das Publikum

noe.ORF.at: Vorhang auf für Bernhard Paul! Den Direktor des Circus Roncalli. Aber eigentlich sind Sie ja viel mehr als nur Direktor, Sie sind die Seele des Circus Roncalli.

Bernhard Paul: In einem Circus braucht es viele Berufe. Wir sind eine Spedition und bringen 200 Wagen von A nach B. Wir sind ein Logistikunternehmen, ein Marketingunternehmen, eine Reklamefirma und ein Schauspielhaus, das wir immer mitführen. Licht, Ton, Ballett, Live-Orchester, Technik und Gastronomie - also da gibt´s viele Berufe, die bei uns eine Rolle spielen. Aber natürlich haben wir dieses Jahr auch Artisten aus 22 Nationen, die sich alle gut verstehen, weil sich Politik und Religion nicht einmischen bei uns und das ist eine wunderbare Großfamilie, die hier zusammen ein Produkt in die Welt setzt, wo die Leute raus gehen und sagen „Schön war´s!“

noe.ORF.at: Und dabei ist Ihr wichtigster Job der des Papas - nicht nur für Ihre drei Kinder, die ebenfalls das Circus-Gen geerbt haben - auch von der Mama, einer italienischen Artistin. Sie sind für die ganze Circus-Familie hier der Papa.

Bernhard Paul

Circus Roncalli GmbH 2012

Bernhard Paul

Bernhard Paul: Ja, man ist natürlich auch Beichtvater, Bürgermeister, Rechtsanwalt - alles in einer Person. Wichtig ist, dass man sein Ohr leiht, wenn jemand Probleme hat. Zu mir kann man 24 Stunden am Tag kommen, wenn der Schuh wo drückt.

noe.ORF.at: Abgesehen davon, dass Roncalli ein Riesen-Erfolg ist, auch wirtschaftlich, haben Sie einmal gesagt: „Man darf nicht Circus machen, um Geld zu verdienen, sondern...“

Bernhard Paul: Nein, man muss Geld verdienen, um Circus zu machen. Und wenn das Budget nicht reicht, muss man nebenbei arbeiten gehen. Wir machen noch sehr viele andere Sachen: das Apollo-Varieté in Düsseldorf mit 500 Sitzplätzen. Wir machen ein Roncalli-Café in Hamburg, wir machen Events für Autofirmen - alles mögliche. Wir sind ein Gemischtwarenladen in Sachen Fantasie.

noe.ORF.at: Alleine im Circus haben Sie derzeit 150 Mitarbeiter...

Bernhard Paul: ... und im Apollo noch einmal 100 Leute, im Winterquartier 20 Handwerker, die alles bauen und restaurieren, und dann im Büro auch ungefähr 20 Leute. Also es hängt schon viel dran.

noe.ORF.at: Sie sind der einzige Circus-Direktor, der nicht in Frack und Zylinder auftritt, sondern als Clown. Auch als Zippo sind Sie eine Autoritätsperson im Circus. Wie schafft man das mit roter Nase?

Bernhard Paul: Ich habe drei Kinder groß gezogen mit roter Nase. Immer wenn ich etwas gesagt habe, haben sie gelacht. Autorität ist eine Frage der Kompetenz. Und für die Circusleute ist ein Clown ein völlig normaler Mensch. Es ist natürlich schon gut, wenn man dann nicht nur Schreibtischtäter ist, sondern auch selber in der Manege steht. Und wenn man weiß, wie sich das anfühlt, wenn man jemandem etwas sagt.

noe.ORF.at: Derzeit stehen Sie weniger in der Manege...

Bernhard Paul: Dieses Jahr, im Jubiläumsjahr, gibt es viel Bürokratie, es passiert viel und wenn man verantwortlich ist, muss man an einem Tag an vier Orten sein. Ich bin schon oft an einem Tag in vier Ländern gewesen. Und so ein Circus braucht natürlich eine unheimliche Pflege von oben. Vorausdenken an die Tournee, neue Programme, neue Artisten verpflichten, und und und. Aber ich freu mich schon auf meinen - wie ich es immer nenne - täglichen Urlaub in der Manege.

noe.ORF.at: Brauchen Sie das?

Bernhard Paul: Das ist der einzige Ort, wo mir niemand mit Unterschriftenmappen und Handy nachläuft. Da bin ich sicher, in der Manege.

Historisches Bild Roncalli Circus

Circus Roncalli GmbH

„Der Circus Roncalli ist ein rollendes Museum“, sagt Bernhard Paul

noe.ORF.at: Wie ist das mit den Gags, als Clown. Da geht wahrscheinlich nicht jeder auf?

Bernhard Paul: Mit einer 40-jährigen Erfahrung ist man nicht so mutig zu sagen „jetzt probier ich einfach mal was aus, egal wenn es schief geht“. Das ist tödlich, wenn bei einer Pointe 1.500 Leute nicht lachen würden, schlimmer geht´s nicht. Der Clown ist im Circus der einzige Beruf, den man nicht üben kann. Man kann es nur wachsen lassen.

noe.ORF.at: Man hat das Gefühl im Circus bleibt die Zeit stehen? Ist das eine Reise in die Vergangenheit hier?

Bernhard Paul: Der Circus Roncalli ist ein rollendes Museum. Wir haben viele Wagen, die sind über 100 Jahre alt. Und das Bühnenbild ist ein Circus der Jahrhundertwende bis in die 30er Jahre. Die Technik ist von morgen und die Atmosphäre dieser guten, alten Zeit ist mir für diese Gefühlsoper wichtig. Wir sprechen Emotionen an und wollen, das Publikum begleiten, sodass die Menschen, wenn sie raus gehen, fünf Zentimeter über dem Boden schweben und sagen „Hach, war das schön!“

Bernhard Paul Kindheit

Privat

Bernhard Paul im Alter von 12 Jahren als Artist im Internat

noe.ORF.at: Eigentlich interessieren sich die Kinder ja heutzutage eher für Computer, Tablets oder Handys...

Bernhard Paul: Am Bildschirm eine Trapezkünstlerin zu sehen - das ist es nicht. Live ist durch nichts zu ersetzen. Es gehört dazu, dass es nach Popcorn und Zuckerwatte riecht, wenn man rein geht. Nach Parfum, nach Pferden und Sägespänen - diese Circusluft ist unglaublich wichtig. Man geht rein und dann sieht man diese Dimension dieses Zeltes und da ganz oben ist eine Trapezkünstlerin und die spüre ich dann. Wenn sie durch die Luft fliegt, dann bekomme ich einen Windhauch mit und dann riecht es nach Parfum. Und da ist man mitten drin, im Applaus, der Nachbar freut sich, die Kinder klatschen - das kann man am Bildschirm nicht erleben.

noe.ORF.at: Ihnen gelingt es tatsächlich, dass sich die Circusbesucher wieder wie Kinder fühlen.

Bernhard Paul: Es ist ja jeder ein Kind. Ein Erwachsener ist nichts anderes als ein altes Kind und bleibt immer Kind. Es gibt Ausnahmen: es gibt Menschen, die sind humorlos, die sind mir sehr suspekt und oft in der Politik anzutreffen. Es gibt Menschen, die keinen Humor haben, die waren aber schon als Kind kein Kind. Ich liebe Kinder, die haben ein viel besseres Gerechtigkeitsgefühl und können viel besser fühlen und sich freuen und lachen. Wir werden ja deformiert im Lauf des Lebens - seelisch und überhaupt. Deswegen ist das eine Welt, wo junge und alte Kinder sich wohl fühlen.

noe.ORF.at: Sie sind das ganze Jahr über unterwegs, aber wo fühlen Sie sich zuhause?

Bernhard Paul: Wo die Blumenvase steht. Man muss sich das wie ein Dorf vorstellen, in dem ich zuhause bin. Das Dorf steht immer an derselben Stelle, nur die Aussicht ist anders. Also demnächst schau ich auf den Wiener Rathausplatz und kann gegenüber ins Café Landtmann Frühstücken gehen. Und in der Nacht setze ich mich mit einem Glas Wein vor den Wohnwagen und schau auf das Wiener Rathaus. Und nächstes Jahr vielleicht in Barcelona oder wo auch immer.

noe.ORF.at: Als einziger Circus leistet sich Roncalli ein eigenes Café...

Bernhard Paul: Das ist wegen mir, wegen dem Heimweh. Wenn wir in der ganzen Welt unterwegs sind, fehlt mir das Wiener Caféhaus. Deshalb hab ich eines gemacht: das ist ein alter Salonwagen mit Bänken aus einer alten Pariser Metro, die Lampen sind aus dem Café Central...

Bernhard Paul Kindheit

Privat

Der erste Circus-Besuch im Alter von sechs Jahren weckte die Leidenschaft des heutigen Circus-Direktors

noe.ORF.at: Man hat das Gefühl, Sie haben sich hier wirklich eine eigene Welt geschaffen. Sie leben Ihren Traum. Wie schafft man das, was braucht es dazu?

Bernhard Paul: Der Traum muss nur groß und intensiv genug sein. Ich habe als Kind einen Circus gesehen, da war ich sechs Jahre alt und als Kind hin und weg. Der österreichische Circus Rebernigg - das war für mich der schönste Circus der Welt. Und weil es damals noch keine Handys gab, musste man das in den Kopf packen und drinnen bewahren. Und über die Jahre wuchs die Sehnsucht, wieder so einen Circus zu sehen, ins Unermessliche. Ich habe so einen nie wieder gesehen, aber der Eindruck, wie der Circus ausgesehen hat, wurde in meinem Kopf immer schöner. Also alles, was da so angepinselt war, war plötzlich Blattgold, aber so war es gar nicht. Ich habe später einmal Fotos von dem Circus gefunden und so richtig perfekt war der nicht. Aber als ich den Circus Roncalli gegründet habe, habe ich nicht den Circus meiner Kindheit realisiert, sondern den aus meinem Kopf. Und der war dann so.

noe.ORF.at: Und Sie haben ja auch Ihre Familie begeistern können. Ihre drei Kinder sind dem Circus treu geblieben...

Bernhard Paul: Ich bin ja später Vater. Mir hat das ja ganz gut gefallen: neue Stätdchen, neue Mädchen und Herumreisen und es war schön. Aber eines Tages kam ich in den Circus, wo meine Frau war, und sagte zu meinen Kollegen: „Die heirate ich einmal!“ Und die haben gelacht, aber alles, was ich sage, mach ich auch. Und dann haben wir noch drei Kinder gemacht. Also ich habe nicht nur den Circus gründen müssen, sondern auch die Familie. Und unsere drei Kinder wollen das unbedingt weiter machen. Ich hab sie nicht gezwungen oder gedrängt, das haben sie von alleine gewollt. Weil das ihre Heimat ist, ihr Biotop, wo sie drin leben. Und wenn sie raus gehen und sehen, wie furchtbar die Welt draußen ist, sagen sie, dass sie wieder heim wollen, in die heile Welt des Circus. Und deswegen wollen sie diese Welt auch retten.

Bernhard Paul Kindheit

Privat

Bernhard Pauls erster Auftritt als Clown

noe.ORF.at: Trotzdem braucht es viel Mut, sich für dieses Leben zu entscheiden, oder?

Bernhard Paul: Ich glaube, es braucht mehr Mut, aus diesem Leben raus zu gehen, wenn ich mir anschaue, wie die Welt heute ist. Hier ist man in einer Großfamilie in einer Kleinstadt und realtiv gut aufgehoben. Es ist für einen Circusdirektor nicht immer einfach, das Ganze zusammen zu halten, aber es lohnt sich.

noe.ORF.at: Heuer läuft die 40-Jahre-Tournee. Ab 15. September gastiert Roncalli ein Monat lang am Rathausplatz in Wien...

Bernhard Paul: Besser geht´s nicht. Das ist wie ein Orden und ein Bundesverdienstkreuz - alles zusammen. Ich danke der Stadt Wien, dass sie es möglich gemacht hat. Wir machen es gut, indem wir den Familien aus Wien und Umgebung drei Stunden schenken, in denen sie ihren Probleme vergessen können.

noe.ORF.at: Wie schaut das Programm aus? Was erwartet die Besucher nach 40 Jahren. Da hat man doch alles gezeigt?

Bernhard Paul: Vergessen Sie alles, was Sie über Circus wussten, es ist ganz anders. Es gibt auch keine Tierschau, keine Tiere außer Ponys und einem Riesenpferd. Und es gibt viel Clowns, viel zum Lachen, viel zum Staunen. Und das Ganze ist keine Nummernabfolge, sondern es geht eines ins andere über. Es passiert viel und es gibt immer Überraschungen. Circus muss nicht Erwartungshaltungen erfüllen - das ist eine Selbstverständlichkeit - sondern diese übertreffen, dann ist es ein Wunder.

40 Jahre Reise zum Regenbogen

Circus Roncalli

Die Jubiläumstournee „40 Jahre Reise zum Regenbogen“ gastiert im September in Wien

noe.ORF.at: Kann man 40 Jahre in einem Wort zusammen fassen?

Bernhard Paul: Ich ringe nach Worten, aber es ist sehr intensiv. Wir erleben in einer Saison den Abenteuerbedarf eines Buchhalters für ein ganzes Leben. Bei uns ist immer irgendwas los. Wir kennen alle Emotionen außer Langeweile. Es macht immer Spaß. Und das Schöne ist, die Menschen können daran teil haben, sie können rein kommen, sich verzaubern lassen und eine schöne Zeit erleben.

Das Gespräch mit Bernhard Paul führte Anne-Maria Neubauer, noe.ORF.at

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