Radikalisierung: Gefahr nimmt weiter zu

Immer mehr Menschen, vor allem Jugendliche, fühlen sich von radikalen Gruppen wie dem „Islamischen Staat“ angezogen. In St. Pölten haben am Montag Experten über Maßnahmen gegen Radikalisierung und Dschihadismus diskutiert.

Bei der Staatsanwaltschaft St. Pölten habe man seit etwa zwei Jahren vermehrt mit Straftaten, die in Zusammenhang mit Terrorismus stehen zu tun, sagte die Leiterin Michaela Schnell. Einer der aufsehenerregendsten Fälle war wohl jener eines verurteilten 14-jährigen Dschihadisten, der einen Anschlag am Wiener Westbahnhof geplant hatte. In zwei Fällen habe man sich auch schon mit Syrien-Heimkehrern befasst, die nach der Teilnahme an Kampfhandlungen zurückgekehrt waren, berichtete Schnell.

Von Mitte 2014 bis heuer im Frühjahr habe die Zahl der terroristischen Straftaten kontinuierlich zugenommen, heißt es. Derzeit ist die Tendenz leicht sinkend. „Die Staatsanwaltschaft St. Pölten ist im Zusammenhang mit terroristischen Straftaten insbesondere mit dem Thema Postings beschäftigt. Wir haben zahlreiche Postings auf Facebook und in anderen sozialen Netzwerken, die entsprechende Texte beinhalten. Insbesondere vermehrt nach Attentaten wie Paris und Brüssel“, sagte Schnell. Gerade diese Taten stellen die Staatsanwaltschaft vor Probleme, denn bei radikalen Postings im Internet müssten sehr viele Daten sichergestellt werden, deren Auswertung mitunter relativ lange dauert. Ein weiteres Problem sei laut Schnell zur „wahren Identität des Posters“ zu kommen, weil viele im Internet nicht mit ihrem richtigen Namen auftreten würden.

Dschihadismus-Diskussion in St. Pölten

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Bei einem Symposium des Bewährungshilfe-Vereins Neustart wurde das Thema Dschihadismus von Experten diskutiert

Was den Umgang mit Dschihadismus angeht, plädiert man von Seiten der Staatsanwaltschaft St. Pölten dafür, lieber einmal zu oft als einmal zu wenig die Polizei einzuschalten. „Es ist durchaus anzuraten, für den Fall, dass man einen Hinweis auf eine allfällige terroristische Straftat hat, die Sicherheitsbehörden zu kontaktieren“, empfahl Schnell.

Radikalisierung durch viele Faktoren bedingt

Der Bewährungshilfe-Verein Neustart betreut derzeit zwölf Menschen, die wegen einer Straftat im Zusammenhang mit Terrorismus verurteilt wurden. Seit etwa zwei Jahren setzt man in der Betreuung von Personen, die dem Dschihadismus nahe stehen, speziell geschulte Experten ein. Hier spricht man von zunehmender Radikalisierung, auch wenn es das Problem an sich immer schon gegeben habe, wie Neustart-Abteilungsleiter Alexander Grohs erklärte: „Radikalisierung ist kein neues Phänomen. Was sich aber jetzt zeigt ist, je mehr in einer Gesellschaft polarisiert wird, desto mehr ist eine Radikalisierung vorhanden, quasi als Antwort darauf.“ Radikalisierung passiere aber nicht über Nacht, sagte Grohs, sondern es würden mehrere Faktoren eine Rolle spielen. „Es ist zum Beispiel Arbeitslosigkeit ein Thema, es ist soziale Ausgrenzung ein Thema, fehlende Identität. Wenn diese Faktoren zusammen kommen und dann kommt noch das Wirken durch eine radikalisierte Person oder Gruppe dazu, dann kann Radikalisierung relativ schnell stattfinden“, so Grohs.

Da es sich bei Radikalisierung um einen Prozess handelt, ist auch die Betreuung oft schwierig. Es gibt kein Allheilmittel, sagte Grohs. Vielmehr müsse man sich bei jeder radikalisierten Person individuell ansehen, wodurch diese Radikalisierung ausgelöst wurde und wie man dem entgegen wirken kann, indem man Gegenangebote setzt. „Jemandem, der in der Radikalisierung Geborgenheit gesucht hat, in einer Gruppe, dem kann man nicht einfach sagen, verzichte auf diese Geborgenheit. Dann schaut man, ob es vielleicht die Möglichkeit gibt, dass er dieses Gefühl der Geborgenheit woanders hernimmt.“

Beratung bei Neustart

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Der Verein Neustart betreut derzeit 12 verurteilte Dschihadisten in Niederösterreich und dem Burgenland

Ein Teufelskreis, der durchbrochen werden muss

Radikalisierung ist ein Phänomen, das vor allem viele Jugendliche betrifft. Die Autorin und Terrorismus-Expertin Petra Ramsauer spricht in diesem Zusammenhang von der „Post-9/11-Generation“. Gerade nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hätten sich die Vorurteile gegen den Islam massiv verstärkt, viele muslimische Jugendliche würden sich schwer tun, mit diesen Vorurteilen umzugehen. „Bei der Radikalisierung kommt es dann dazu, dass man diese Vorurteile gegen den Islam massiv ausnutzt, um sie zu bewegen, sich einer Gruppe anzuschließen, die sozusagen den Islam verteidigt“, erklärte Ramsauer.

Die Expertin ortet eine gefährliche Dynamik und einen Teufelskreis, der in Gang gesetzt wurde: „Zum einen gibt es immer mehr Vorurteile und ganz massive Angriffe gegen Menschen muslimischen Glaubens, und zum anderen gibt es diese radikalen Gruppen aus dem muslimischen Milieu, die sich dem bedienen, die sagen, ihr müsst euch dagegen wehren.“ Das würde wiederum mehr Vorteile gegenüber dem Islam und somit auch wieder mehr Hass und Gewalt schüren, so Ramsauer. Sie plädiert dafür, Muslimen mit Respekt und Vertrauen gegenüber zu treten. Der Teufelskreis könnte durchbrochen werden, „wenn es uns gelingt zu verstehen, dass Terrorismus und Dschihadismus ein Phänomen sind, das nichts mit dem Glauben des Islams, wie ihn die Mehrheit der Bevölkerung pflegt, zu tun hat“, führte Ramsauer aus.

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