„Historikerin der Gefühle“ in Heidenreichstein

Beim elften Festival von „Literatur im Nebel“, das am Freitag in Heidenreichstein (Bezirk Gmünd) eröffnet wurde, ist erstmals eine Nobelpreisträgerin zu Gast. Die weißrussische Autorin Swetlana Alexijewitsch gastiert im Waldviertel.

Alexijewitsch bevorzugtes Thema sind Kriege, aber auch die Atomkatastrophe von Tschernobyl, ihre Methode ist jene der dokumentarischen Prosa. Die 1948 geborene Schriftstellerin empfindet den Zweiten Weltkrieg noch heute als „riesigen Felsbrocken, der alles erdrückt hat“. Sie hat Gespräche mit Menschen geführt, die damals noch Kinder waren („Die letzten Zeugen“), aber auch mit Rückkehrern und Verwandten von im Afghanistan-Krieg Gefallenen („Zinkjungen“), und wurde dafür gerichtlich belangt.

Literatur im Nebel 2017

ORF

Die „Zerstörung der Propaganda“ sei für sie gar nicht das Wesentlichste, sagte die Schriftstellerin am Freitagabend bei „Literatur im Nebel“, sondern das „Durchbrechen des Kanons vom Erzählen über den Krieg aus männlicher Sicht“. Ihr Selbstverständnis definiert sie als „Historikerin der Gefühle“ und gelangt dabei zu Fragestellungen wie „Wenn man Menschen tötet, wird man nicht verrückt?“.

Alexijewitsch will Buch über die Liebe schreiben

Der Publizist Erich Klein würdigte die „dokumentarische Literatur“ von Alexijewitsch als „sehr kunstvolle Form“, in der sich eine radikale Personalisierung von Erinnerung ereigne: „Sie nötigt, nicht nur betroffen zu sein, sondern länger nachzudenken.“ Aus dem 1985 erschienenen Erstling „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“ und anderen Werken der Nobelpreisträgerin von 2015 lasen unter anderem Lily Epply, Sandra Gugic, Maria Köstlinger, Dimitrij Schaad, Bernhard Schir und David Bennent.

Literatur im Nebel 2017

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Mit ihrem bisherigen Themenkreis habe sie allerdings abgeschlossen, erklärte Alexijewitsch. Sie wolle ein Buch über die Liebe schreiben und ein weiteres über das Alter. Ob sie nicht auch ein Buch über das Waldviertel schreiben könnte? „Auf keinen Fall“, war die Antwort. „Da hätte ich hier geboren sein oder mit den Menschen hier leben müssen.“

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