Mordprozess: Sachverständige am Wort

Im Landesgericht Korneuburg ist am Dienstag der Prozess gegen einen Wiener Banker fortgesetzt worden, der seinen Stiefbruder mit einem Kopfschuss getötet hat. Am zweiten Prozesstag waren die Sachverständigen am Wort.

Als mögliches Mordmotiv gilt Eifersucht. Der Angeklagte könnte laut Staatsanwaltschaft vermutet haben, dass seine Ex-Frau, in die er nach wie vor verliebt gewesen sein soll, ein Verhältnis mit seinem Stiefbruder hatte. Dieser soll der Frau zumindest eine schlüpfrige Textnachricht auf ihr iPhone zukommen haben lassen. Ein EDV-Sachverständiger nahm nun am zweiten Prozesstag zur Frage Stellung, ob der Angeklagte Gelegenheit gehabt hätte, diese Nachricht auf seinem iPhone mitzulesen.

Angeklagter könnte SMS gelesen haben

Obwohl sie getrennt waren, nutzten der Banker und seine Ex-Frau, eine bei der Wiener Anklagebehörde tätige Staatsanwältin, dieselbe Apple-ID. Sie hatten damit Zugriff auf iTunes und konnten auf ihren Geräten Musik hören. Allerdings wurden auch Anrufe zwischen den Geräten synchronisiert. Auf die Frage, ob der Angeklagte darüber hinaus Gelegenheit gehabt hätte, bei der Staatsanwältin eingehende iMessages oder SMS mitzulesen, meinte der Gutachter: „Ich würde davon ausgehen, dass er es konnte. Auch mit dem beschränkten Wissen eines Endnutzers.“

Ob der Angeklagte das tatsächlich getan hatte - er bestreitet das - , konnte der Sachverständige nicht klären. Fest steht, dass es dem Banker im Tatzeitraum rein theoretisch sogar möglich gewesen wäre, über die iCloud Fotos auf dem Smartphone seiner Ex anzusehen und ihre Location zu tracken. Apple hat mittlerweile die Standardeinstellungen geändert, sodass diese Funktion iPhone-Besitzern nicht mehr ohne Weiteres zur Verfügung steht, wie der Gutachter erklärte.

Mordprozess

APA/Herbert Pfarrhofer

Verteidigung spricht von Schießunfall

Der Angeklagte verantwortete sich am Montag, dem ersten Prozesstag, mit fahrlässiger Tötung vor Gericht. Laut seinem Verteidiger soll es sich um einen Schießunfall gehandelt haben, als der Banker 2015 seinen um zwei Jahre jüngeren Stiefbruder mit einem Kopfschuss tötete. „Ich hab ihn geliebt. Er war mein Bruder, mein bester Freund. Das Letzte, was ich hätte tun wollen, war ihn zu verletzen“, gab der Angeklagte zu Beginn seiner Einvernahme zu Protokoll - mehr dazu in Stiefbruder erschossen: Banker bestreitet Mord (noe.ORF.at; 20.3.2017).

Bereits am Montag trat auch die Ex-Frau des Bankers in den Zeugenstand. Die bei der Staatsanwaltschaft Wien tätige Staatsanwältin, der ein Entschlagungsrecht zugestanden wäre, war zu einer Zeugenaussage bereit - allerdings erst nach Ausschluss der Öffentlichkeit. Nach kurzer Beratung leistete der Dreirichtersenat einem entsprechenden Antrag Folge. Bis auf rund ein Dutzend Rechtspraktikanten mussten sämtliche Zuhörer den Gerichtssaal verlassen, weil die Staatsanwältin ihren höchstpersönlichen Lebensbereich nicht coram publico darlegen wollte. Ein paar Tage zuvor hatte die Frau noch in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „News“ gesagt, sie sei „davon überzeugt, dass es ein Unfall war“.

Auch Ballistiker und Chemiker gaben Urteil ab

Mit dem Ballistiker Ingo Wieser und dem Chemiker Reinhard Binder gaben am Dienstag zwei weitere Sachverständige ihre Gutachten ab. Sie stellten fest, dass der tödliche Schuss aus einer Entfernung von 50 bis 70 Zentimetern abgegeben wurde. Der Chemiker hielt es anhand der Schmauchspuren für wahrscheinlicher, dass der Schütze dabei vor und nicht hinter der Küchentheke positioniert war. Der Angeklagte hatte sich auch dahingehend verantwortet - er behauptet, er wäre auf einem Barhocker direkt seinem Stiefbruder Eric J. gegenüber gesessen. Die Blutspurenanalytikerin Silke Brodbeck kam dagegen in ihrer schriftlichen Expertise zu dem Schluss, dass sich der Angeklagte bei der Schussabgabe auf der gegenüberliegenden Seite der Kücheninsel befunden haben muss und seine Angaben nicht stimmen können.

Beschmauchungsspuren fanden sich vor allem im Bauchbereich des T-Shirts des Schützen. Wie der Schießsachverständige Wieser erläuterte, wäre bei der Spurenlage grundsätzlich eine Distanz von 135 Zentimeter zum Opfer möglich gewesen. Von der Lage der Patronenhülse, die auf dem Sideboard rechts von der Küchentheke sichergestellt wurde, sei ein Schluss auf den Ort der Schussabgabe „nicht möglich“, betonte Wieser. Brodbeck hatte in ihrer Expertise auch aufgrund der Lage der Hülse die vom Banker behauptete Unfallversion angezweifelt.

Urteil am Mittwoch erwartet

Auch Brodbeck und der Gerichtsmediziner Christian Reiter werden am Dienstag noch ihre Gutachten darlegen. Am Mittwoch sind die Schlussvorträge von Staatsanwältin Gudrun Bischof und Verteidiger Rudolf Mayer angesetzt. Anschließend werden sich die Geschworenen zur Beratung zurückziehen.

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