Ohnsorg-Schau mit Wiederentdeckungseffekt

Das NÖ Dokumentationszentrum für moderne Kunst zeigt im Stadtmuseum St. Pölten die Ausstellung „Kurt Ohnsorg. Keramik aus Leidenschaft“. „Damit wurde ein Wiederentdeckungseffekt ausgelöst“, sagt Kurator Carl Aigner.

Die Ausstellung wird anlässlich der 90. Wiederkehr des Geburtstages des 1970 verstorbenen Künstlers präsentiert. Der Kunstsammler Ernst Ploil spricht von Kurt Ohnsorg als „Wegbereiter und Revolutionär“, Ausstellungskurator Carl Aigner sieht den 1927 in Sigmundsherberg (Bezirk Horn) geborenen Ohnsorg als den wohl bedeutendsten österreichischen Keramiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Mit der Gründung des Josef-Hoffmann-Seminars (gemeinsam mit Alfred Seidl) 1961, dem 1964 gestarteten Internationalen Sommerseminar für Keramik in Gmunden und in engem Zusammenhang damit der 1969 an der Linzer Kunstschule etablierten Professur und Meisterklasse für Keramik „setzte er in den 1960er Jahren institutionelle Meilensteine für die österreichische Keramik“ (Aigner).

Kurt Ohnsorg im Jahr 1970

H.G. Prillinger

„Wegebereiter und Revolutionär“: Kurt Ohnsorg (1927-1970)

In Österreich ist zum ersten Mal seit fast 40 Jahren wieder eine große Retrospektive von Kurt Ohnsorg zu sehen. Anhand von etwa 100 Werken wird „ein prägnanter Einblick in das faszinierende Schaffen von Kurt Ohnsorg gegeben“, so Kurator Aigner. Die Initiative zu dieser Ausstellung kam von Paul Twaroch, dem Präsidenten des Niederösterreich-Fonds.

noe.ORF.at: Am 17. März wurde im NÖ Dokumentationszentrum für moderne Kunst die Ausstellung „Kurt Ohnsorg. Keramik aus Leidenschaft“ eröffnet. Sie sind der Kurator der Schau, wie waren denn die bisherigen Reaktionen?

Carl Aigner: Außerordentlich gut und vielfältig. Es ist ein erstaunliches Interesse an Keramik vorhanden, das sehen wir übrigens auch bei der Parallel-Ausstellung „Günter Praschak und Schülerinnen“. Es liegt in vielem allerdings brach, weil kein öffentlicher Diskurs mit Keramik stattfindet.

noe.ORF.at: Haben sich Besitzer von Ohnsorg-Werken bei Ihnen gemeldet?

Aigner: Ja, permanent. Wir haben seit der Drucklegung der Ohnsorg-Publikation rund 30 weitere Werke auf den Tisch bekommen und schätzen, dass zu den rund 500 von Claudia Mayer-Rieckh und Elisabeth Baumgartner bisher dokumentierten Werken wohl noch etwa 150 Werke im Laufe der nächsten ein, zwei Jahre dazukommen werden. Wir recherchieren laufend weiter und ersuchen um diesbezügliche Hinweise, die wir natürlich diskret behandeln.

noe.ORF.at: Sind Werke aufgetaucht, die Sie noch nicht gekannt haben?

Aigner: Ja, eine ganze Reihe und außerordentlich spannende Werke aus den 1950er und 1960er Jahren. Trotz der damals ästhetischen Herausforderung seines Werkes gab es viele Fans und Interessenten, die Arbeiten erworben haben. Darüber hinaus hat Kurt Ohnsorg immer wieder Freunden oder anderen Menschen Werke geschenkt, oft sehr spontan, wie uns etwa Friedrich Cerha und andere erzählten.

noe.ORF.at: Was könnte durch die Ausstellung und durch die Werkmonographie ausgelöst werden?

Aigner: Mit der Ausstellung und der Publikation wurde ein Wiederentdeckungseffekt ausgelöst, denn Ohnsorg ist in der Öffentlichkeit völlig in Vergessenheit geraten, sieht man von wenigen, aber verdienstvollen Sammlern und Vermittlungsaktivitäten ab, wie sie etwa Gustav Schörghofer 2010 mit einer Ausstellungsbeteilung in der Zacherlfabrik in Wien gemacht hat und in diesem Kontext damals Elfriede Jelinek im Feuilleton der Tageszeitung „Die Presse“ und der Sammler Ernst Ploil in der Kunstzeitschrift „Parnass“ Essays publizierten.

noe.ORF.at: Welchen Stellenwert hat Ohnsorg für die österreichische Keramik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts?

Aigner: Er ist die herausragende Künstlerpersönlichkeit und hat mit seinem radikalen Werk eine eminente Zäsur geschaffen. Der renommierte Kunstkritiker Otto Breicha hat ihn bereits Anfang der 1960er Jahre als den „Picasso und Wotruba der Keramik“ bezeichnet! Für viele war er schon damals das „Ass“ der österreichischen Keramik. Hinzu kommt, dass er mit der Mitbegründung des Josef-Hoffmann-Seminars 1961, des Internationalen Sommerseminars für Keramik in Gmunden ab 1963 und der Meisterklasse und Professur für Keramik für die damalige Kunstschule der Stadt Linz (heute Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung) 1969/70 institutionelle Meilensteine für die Keramik in Österreich setzte.

noe.ORF.at: Was machen ihn und seine Kunst so einzigartig und außergewöhnlich?

Aigner: Sein künstlerisches Selbstverständnis als jemand, der mit dem Material Keramik arbeitete. Er brach mit allem, was bis in die 1950er Jahre als Kunstkeramik galt, egal ob mit der Augarten-Tradition oder der Tradition der Wiener Werkstätte, indem er mit allen ästhetischen Gegebenheiten und Vorstellungen von Keramik vehement aufräumte. Form und Glasur waren sein künstlerischer Brennpunkt, hier schuf er einmalige, avancierte Werke. Er ist dabei der „Aktionist“ und „informelle Gestiker“ der österreichischen Keramik. Aber es lassen sich auch eine Reihe von Bezügen zur Art Brut oder zur Arte Povera finden.

Gleichzeitig aber versuchte er unentwegt Wege zu finden, mit und in der damals vorhandenen Keramikindustrie künstlerische Strategien für neue, künstlerische Formen einer industriellen Serienproduktion zu finden. Er war immer ein Grenzgänger zwischen angewandter Keramik, Bildhauerei und sogar ganz früh Grafik. Seine Auseinandersetzungen mit dem, was wir als „Gefäß“ bezeichnen, war bahnbrechend. Sein Werk besitzt eine existenzphilosophische Dimension!

Kurt Ohnsorg Ausstellung NÖ Dokumentationsstelle für moderne Kunst Stadtmuseum Sankt Pölten

ORF/Reinhard Linke

„Kurt Ohnsorg. Keramik aus Leidenschaft“, NÖ Dokumentationszentrum für moderne Kunst, St. Pölten

noe.ORF.at: Warum ist Kurt Ohnsorg nach seinem Tod 1970 in Vergessenheit geraten?

Aigner: Nun, zunächst vor allem deshalb, weil er sehr früh mit 42 Jahren aus dem Leben geschieden ist und sein Werk in vieler Hinsicht unvollendet blieb, wenn man an seine Visionen denkt, die er hatte. Aber auch, weil seit den 1970er Jahren Traditionelles wie Keramik, Tapisserie, ja auch damals Malerei und Zeichnung für tot erklärt wurden. Und mit dem vermehrten Aufkommen neuer synthetischer Materialien und vor allem auch der digitalen Bilderwelten gab es für die damals junge Generation neue Herausforderungen und Kunstwelten.

Aber seit Jahren zeichnet sich hier eine Trendwende ab. Gerade junge Künstlerinnen und Künstler entdecken sogenannte alte Materialien und bildnerische Verfahrensweisen etwa bei der Photographie wieder, der Computer wird relativiert, selbst für Architekturentwürfe wird die Entwurfszeichnung wieder virulent, das sogenannte Handwerk erfährt zurzeit weit über eine Nostalgie und handwerkliche Romantik hinaus eine erstaunliche Renaissance, gerade angesichts des Aufkommens von 3-D-Druckern, die unser Verhältnis zur Objektwelt wohl ebenso grundsätzlich verändern werden wie das sogenannte „Internet der Dinge“.

noe.ORF.at: Wird es heuer noch zu weiteren Ausstellungen und Publikationen kommen?

Aigner: Ja, wir arbeiten daran weiter, es gibt schon konkrete Überlegungen, vor allem im Hinblick auf seinen 90. Geburtstag im kommenden Dezember. Dieser war ja für Paul Twaroch der Anlass, die Ausstellung in St. Pölten zu initiieren. Twaroch wohnt in der Porzellangasse in Wien-Alsergrund und hat in den 1960er Jahren Kurt Ohnsorg in dessen Atelier kennengelernt, das schräg gegenüber dem Wohnhaus Twarochs lag.

Es ist unglaublich, wie viele Verbindungen und personelle Tangenten die Recherchen zur Person und zum Werk zu Tage bringen. Der internationale Aspekt bei Kurt Ohnsorg ist etwa erst grundsätzlich zu erforschen, seine Internationalen Sommerseminare mit Gästen aus insgesamt rund 20 Staaten die Jahre über hatte auch oft auch eine Feedbackwirkung in den Herkunftsländern der Teilnehmer! Wir wissen, dass er in Amerika, Israel, Paris, Jugoslawien, Ungarn oder Tschechoslowakei war, Uta Prantl und ihre Tochter Katharina etwa können hier viel erzählen, aber auch andere Personen.

Ausstellungshinweis

„Kurt Ohnsorg. Keramik aus Leidenschaft“, NÖ Dokumentations-zentrum für moderne Kunst, Prandtauerstraße 2, St. Pölten. Geöffnet bis 16. April 2017, von Mittwoch bis Sonntag von 10.00 bis 17.00 Uhr.

noe.ORF.at: Was müsste nun geschehen, damit 2017 wirklich das Jahr der Ohnsorg-Wiederentdeckung wird?

Aigner: Vieles und gleichzeitig Naheliegendes, etwa dass wir alle weiter an der Vermittlung und Recherche zum Werk von Kurt Ohnsorg weiterarbeiten, dass wir das Vorhandene vernetzen und bündeln mit allen, die so viel Wissen und Kenntnis haben, was leider sehr unsichtbar für eine breitere Öffentlichkeit ist. Vor allem aber müssen wir die dafür vorhandenen Institutionen motivieren und herausfordern, wieder den Mut zu haben, sich jenen künstlerischen Werken in Form von Ausstellungen, Publikationen und anderem zu widmen, die mit dem Material „Keramik“ künstlerisch arbeiten.

Aber auch die Geschichte der Keramik generell in Österreich gehört weiter aufgearbeitet, hier hat René Edenhofer wichtige Basisarbeiten bereits geleistet, die intensiviert werden sollten. Da haben auch Keramikmuseen wie in Wilhelmsburg und Scheibbs Herausragendes geleistet. Das Gmundner Museum hat trotz der alljährlichen Internationalen Keramikwoche Ende August in Gmunden allerdings Nachholbedarf, es ist schon erstaunlich, dass etwa der 90. Geburtstag dort bis jetzt keine Wahrnehmung erfahren hat. Aber kommendes Jahr gibt es den 55. Jahrestag der Internationalen Sommerseminare in Gmunden - das wäre ein schöner Anlass, diese Meilensteine der österreichischen Keramikgeschichte zu präsentieren.

Das Gespräch mit Carl Aigner führte Reinhard Linke, noe.ORF.at.

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