Wie Fehlbildungen im Gehirn entstehen

Die Entwicklung von Gehirnzellen folgt einem präzise orchestrierten Programm. Kommt es dabei zu Störungen, drohen Fehlbildungen, berichten Forscher des Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg.

Im Fachjournal „Neuron“ wird über die entscheidende Rolle des Gens Lgl1 bei der Produktion von Neuronen und Gliazellen berichtet. „In dem Entwicklungs-Orchester ist es sowohl Dirigent als auch Solist“, heißt es in einer Aussendung des IST Austria.

Der Neurobiologe Simon Hippenmeyer vom IST Austria und sein Team entschlüsselten vor einigen Jahren das Programm, nach dem sich Gehirnzellen des Neocortex entwickeln. Beim Menschen ist das der größte Teil des Gehirns, der alle höheren kognitiven Funktionen wie Denken, Bewegungskontrolle oder Sinneswahrnehmung kontrolliert.

Gehirnförmige Bank von Peter Kogel am Campus IST Austria

Maria Cristina Travaglio

Das Bild zeigt die von Peter Kogel entworfene gehirnförmige Bank am Campus des IST Austria. Sie hilft bei der Illustration eines MADM-Gehirns. Die Schneeflocken, die die Bank bedecken, symbolisieren dabei die unzähligen nicht gekennzeichneten Zellen, die bunten Wasserballone dagegen zeigen das dünn gesäte genetische Mosaik aus Neuronen und Gliazellen. Die verschieden gekennzeichneten Zellpopulationen können Mutationen des untersuchten Gens enthalten

Warum das Gehirn auf seine normale Größe wächst

Am Beginn der Entwicklung stehen Stammzellen, sogenannte Radiale Gliavorläuferzellen (RGP). Sie produzieren die Mehrheit der Neuronen und Gliazellen im Neocortex. Nach einem präzisen Programm wird von jeder einzelnen RGP eine vordefinierte Menge an Neuronen und Gliazellen hergestellt. Das stellt sicher, dass das Gehirn zu seiner normalen Größe heranwächst.

Die Wissenschafter nutzen für ihre Untersuchungen eine Technologie namens „Mosaic Analysis with Double Markers“ (MADM). Mit dieser hochauflösenden Methode können sie im dichten Gehirngewebe einzelne Neuronen und ihre feinen Äste rot und grün einfärben und dann mit dem Fluoreszenzmikroskop ihre Entwicklung verfolgen.

Lgl1 hat entscheidende Rolle bei Neuronenproduktion

Mithilfe von MADM untersuchte Hippenmeyer mit Postdoktorand Robert Beattie und Kollegen nun, welche Mechanismen den exakten Output der RGP kontrollieren. „Wir haben dazu die Rolle des Gens Lgl1 analysiert, dessen Funktion bei der Maus bisher nicht erforscht war“, erklärte Hippenmeyer gegenüber der Austria Presse Agentur. In verschiedenen Phasen der Entwicklung eliminierten die Forscher das Gen in einzelnen RGP oder in allen.

Bei den Auswirkungen zeigten sich große Unterschiede: „In der ganz frühen Embryonalentwicklung gleicht Lgl1 dem Dirigenten, der das Orchester so im Takt hält, dass es die normale Anzahl an Nervenzellen produziert, nicht zu viele, nicht zu wenige“, so Hippenmeyer. Fehlt es in einzelnen Radialen Gliavorläuferzellen, können die anderen dies kompensieren. Nur wenn Lgl1 in allen RGP entfernt wird, kommt es zu Missbildungen wie dem „Double Cortex Syndrome“.

Rolle eines Gens muss künftig neu definiert werden

Anders stellt sich die Funktion des Gens im postnatalen Gehirn, also gleich nach der Geburt dar. Die RGP haben sich zu dieser Zeit bereits zu adulten Stammzellen weiterentwickelt, und zwar solche, die Neuronen produzieren, und solche, die Gliazellen bilden. „In dieser Phase ist die Funktion von Lgl1 sehr spezifisch, ähnlich dem Solisten eines Orchesters“, sagte Hippenmeyer. Nur in jenen Stammzellen, die gerade Neuronen oder Gliazellen produzieren, wird das Gen benötigt. Fehlt es dort, werden etwa viel zu viele Gliazellen produziert.

Hippenmeyer ist überzeugt, dass das Ergebnis Einfluss auf die zukünftige Analyse der Rolle von Genen während der Entwicklung haben wird. In Zukunft werde man präzise analysieren und trennen müssen, welche Rolle ein Gen quasi als Orchestermitglied und als Solist spiele.

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