Tiefschwarze Horvath-Komödie in Reichenau

Erstmals steht heuer bei den Festspielen Reichenau ein Stück von Ödon von Horvath auf dem Spielplan. Das selten gespielte „Zur schönen Aussicht“ erweist sich als tiefschwarze Komödie und zeigt eine Welt am Abgrund.

„Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“ Diesen Satz spricht Ada, eine Baronin, erst am Ende des Stücks „Zur schönen Aussicht“. Aber dieser Satz steht repräsentativ für den charakterlichen Verfall und die Verkommenheit aller Figuren in dem Stück des Dramatikers Ödön von Horvath.

Heruntergekommenes Hotel als Schauplatz

Die Komödie wurde im Jahr 1926 geschrieben, aber erst 1969 in Graz uraufgeführt. Vorbild für die Pension zur Schönen Aussicht war nach einer Aussage von Horváths Bruder eine windige Pension in Murnau und die Figuren hätten reale Vorbilder. Das Stück spielt in einem heruntergekommenen Hotel, das kurz vor dem Bankrott steht. Hier sind mehrere Personen mit zweifelhafter Vergangenheit als Personal untergekommen, aber bis auf einen Dauergast gibt es schon lange keine zahlenden Hotelgäste mehr.

Festspiele Reichenau

ORF

Thomas Kamper und David Oberkogler in Horvaths „Zur schönen Aussicht“

In dieser Situation taucht Christine auf, die bereits im vorherigen Sommer die Geliebte des Hoteldirektors Strasser gewesen ist, von ihm ein Kind bekommen hat und ihn in vielen Briefen um Hilfe und Unterhalt bat. Von dem Hoteldirektor, den Gästen und dem Personal wird sie verächtlich behandelt und als Hure beschimpft. Die Handlung spielt an einem Tag.

Die Charaktere stehen vor dem Abgrund

„Zur schönen Aussicht“ ist eine bitterböse, schwarze Komödie über Hochstapler, Schurken und Charakterlumpen. Die Charaktere stehen durch Krieg und Wirtschaftskrise vor dem Abgrund. Regisseur Michael Gampe stellt genau diese charakterliche Verkommenheit in den Vordergrund seiner Inszenierung und zeichnet ein schwarzes Weltbild, das Horvaths Text ihm vorgibt.

In einer der Hauptrollen brilliert Therese Affolter als Ada, Freifrau von Stetten. Affolter, die schon mehrmals bei den Festspielen Reichenau auf der Bühne gestanden ist, spielt intensiv und überzeichnet, zeigt aber auch die Krusten und Wunden, die ihre Figur beschreiben. „Ich denke, dass Horvath immer die Menschen so gezeigt hat. Extrem in ihrer Bösartigkeit, Abartigkeit, Verlorenheit, aber darunter sitzt natürlich auch der Grund, woher es kommt“, sagt Affolter. Die Schweizer Schauspielerin spielt sehr gerne immer wieder außergewöhnliche Charaktere. „Mich interessiert schon, wie ein Mensch funktioniert, wo ist der Abgrund. Wir haben alle unsere Abgründe, auch wenn wir sie vielleicht nicht leben oder zeigen.“

Festspiele Reichenau

ORF

Therese Affolter und Peter Matić überzeugten das Premierenpublikum

Das ganze Ensemble in „Zur schönen Aussicht“ überzeugt. Neben Affolter stehen Nicolaus Hagg, Philipp Stix, Thomas Kamper, David Oberkogler, Peter Matić und Johanna Prosl auf der Bühne. Reichenau-Publikumsliebling Matić hat bereits 1986 im doch selten aufgeführten Horvath-Stück gespielt, im Schlossparktheater in Berlin. „Es ist ein Stück, das zu unrecht so selten gespielt wird“, so Matić.

Am Dienstagabend feierte „Zur schönen Aussicht“ bei den Festspielen Reichenau Premiere. Es war bereits die vierte Premiere der heurigen Festspielsaison. Außerdem stehen Ibsens „Baumeister Solness“, Schnitzlers „Im Spiel der Sommerlüfte“ und „Lady Chatterley“ von D.H. Lawrence in einer neuen Bühnenfassung von John Lloyd Davies auf dem Spielplan.

Benedikt Fuchs, noe.ORF.at

Links: