Illegales Krebsmedikament im Umlauf

Ein niederösterreichisches Unternehmen soll ohne aufrechte Zulassung ein in der Blutkrebstherapie verwendetes Medikament in österreichischer Aufmachung auf den Markt gebracht haben. Ein Rückruf der Packungen läuft.

„Das Arzneimittel ‚Melphalan Koanaa‘ (50 mg i.v. Pulver des Wirkstoffs Melphalan und Lösungsmittel zur Herstellung einer Injektions- oder Infusionslösung; Anm.) verfügt in Österreich über keine aufrechte Zulassung, wurde jedoch durch die Firma ‚Koanaa Healthcare GmbH‘ (Fischamend; Anm.) mit augenscheinlich österreichischer Aufmachung und Gebrauchsinformation in Verkehr gebracht. Demgemäß besteht der dringende Verdacht der Arzneimittelfälschung im Sinne des Arzneimittelgesetzes“, sagte Christoph Baumgärtel (AGES) am Mittwoch gegenüber der APA. Ein sofortiger Rückruf der Packungen wurde in Österreich am Freitag verlautbart.

Das Produkt sei österreichischen Spitälern angeboten, geliefert und in den betroffenen Krankenhäusern wahrscheinlich auch verwendet worden. Es könne derzeit nur gehofft werden, dass die verwendete Wirksubstanz jener in legalen Melphalan-Produkten entsprochen habe, hieß es bei der Behörde. Der Sprecher der Niederösterreichischen Landeskliniken-Holding, Bernhard Jany, hielt in einer Stellungnahme fest, dass das Medikament in den Kliniken in Niederösterreich nicht verwendet wird. „Weder ist das Arzneimittel noch die genannte Firma in unserem SAP-System gelistet“, so der Sprecher. Auch das Wiener AKH erklärte auf APA-Anfrage, man habe das Produkt nicht verwendet.

Arzneimittel in Österreich „illegal“

Zwar gibt es keine Nebenwirkungsmeldungen zu dem Produkt, die Angelegenheit wird aber von den Experten sehr ernst genommen. „Es handelt sich um ein in Österreich illegales Arzneimittel“, sagte Baumgärtel. Wie die APA erfuhr, ist der Wirkstoff, der zum Beispiel zur Behandlung eines Multiplen Myeloms verwendet wird, wenn nicht sofort eine Stammzelltransplantation erfolgen soll, aus indischer Produktion gekommen. „Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass seitens des BASG als zuständige Behörde auch keine Einfuhrbewilligung gemäß Arzneiwareneinfuhrgesetz in der geltenden Fassung für betreffendes Arzneimittel ausgestellt wurde“, heißt es auf der Homepage der Behörde.

Das in die Affäre verwickelte Unternehmen mit Sitz in Fischamend (Bezirk Bruck an der Leitha) definiert sich auf seiner Homepage unter anderem so: „Die Koanaa Healthcare GmbH wurde im Juli 2016 von Vishnukant Bhutada (CEO Shilpa Medicare) und Dr. Walter Erber (CEO Koanaa Healthcare GmbH) als 100%-ige Tochter von Shilpa Medicare Limited (SML) gegründet.“ SML wiederum ist ein indisches Unternehmen mit Sitz in Raichur.

Laut der österreichischen Aufsichtsbehörde hat das Unternehmen zwar eine Zulassung für ein solches Produkt. Für das nun vom Markt zurückbefohlene Produkt mit aus Indien stammendem Wirkstoff ohne Zulassung sei aber offenbar eine „österreichische“ Verpackung geschaffen worden. Zusätzlich seien Fach- und Gebrauchsinformationen vom Originator (ursprünglichen Hersteller; Anm.) kopiert und verwendet worden. Die „österreichischen“ Packungen hätten bloß keine österreichische Zulassungsnummer aufgewiesen. Es gibt dafür keine. „Versehen“ oder sonstige Fehler dürften laut den vorliegenden Informationen ausgeschlossen sein.

Ministerium drängt auf volle Aufklärung

Das Gesundheitsministerium drängt auf „volle Aufklärung“ der Melphalan-Affäre. Daten aus einer Erstuntersuchung in Deutschland könnten laut AGES dafür sprechen, dass der Inhaltsstoff des Produkts in Ordnung sei, hieß es am Mittwoch. Das Unternehmen erklärte, einwandfrei vorgegangen zu sein. Beispielsweise das Wiener Hanusch-Krankenhaus (WGKK) habe das Melphalan bestellt.

„Das Unternehmen wurde umgehend angezeigt“, hieß es hingegen im Gesundheitsministerium und bei der AGES. Die österreichischen Behörden selbst werden laut diesen Auskünften aus dem Rückrufmaterial Proben ziehen und analysieren. Bei der AGES wurde auch eine Inspektion des indischen Herstellers ins Auge gefasst.

Unternehmen will Zulassung im Oktober beantragen

„Melphalan Koanaa 50 mg i.v. ist ein noch nicht zugelassenes Generikum (Nachahmepräparat; Anm.) zum Produkt ‚Alkeran 50mg Injektion‘ der Firma Aspen und wird zur Behandlung von Patienten, die eine Stammzellentransplantation erhalten, eingesetzt. Koanaa plant, eine Zulassung dieses bereits fertig entwickelten Produktes im Oktober 2017 in Österreich zu beantragen“, hieß es in einer Stellungnahme des Unternehmens in Fischamend. Das Produkt sei von Shilpa Medicare Ltd. in Indien „nach europäischen Standards“ hergestellt worden.

"Aufgrund der ständigen Lieferengpässe für Melphalan und der damit verbundenen Risiken für Patienten sind Ärzte und Krankenanstaltenapotheker an Koanaa mit der Frage herangetreten, ob es möglich wäre, das Produkt bereits vor Zulassung zur Verfügung zu stellen. Das Produkt wurde über sogenannte Klinikanforderungen gemäß § 8 Abs 2 AMG (Arzneimittelgesetz), welches die Verwendung „‚zu Heilversuchen zur Abwendung einer Lebensbedrohung oder schweren gesundheitlichen Schädigung‘ unter Verantwortung des Arztes erlaubt und daher an Krankenanstaltenapotheken abgegeben. Es wurden bereits neun Patienten ohne Komplikationen behandelt“, hieß es in der Stellungnahme. Bei der AGES wurde darauf hingewiesen, dass es derzeit in Europa keinen Lieferengpass für Melphalan gebe.

Geschäftsführer: „Wir haben nichts gefälscht“

Gegenüber der APA erklärte der gewerberechtliche Geschäftsführer des Unternehmens, Johannes Drexler, dass sein Unternehmen im Zuge seiner Tätigkeit mit einem Imatinib-Generikum (Medikament zur Behandlung von Patienten mit chronisch myeloischer Leukämie) mit erfolgter Zulassung in Österreich von Spitälern auf die Lieferbarkeit auch von Melphalan angesprochen worden sei. Das wegen anhaltender Engpässe bei diesem Medikament. Die Lieferung für individuelle Heilversuche unter dem Gesichtspunkt lebensbedrohlicher Erkrankungen falle nicht unter die Zulassungsnotwendigkeit für Arzneimittel und benötige auch nicht einer Importgenehmigung durch die AGES. Drexler: „Wir haben nichts gefälscht.“

Laut Drexler hätte das Wiener Hanusch-Krankenhaus (WGKK) über den „Vorstand“ und die hauseigene Spitalsapotheke das Produkt „für einzelne Patienten“ unmittelbar vor einer Stammzelltransplantation bestellt und erhalten. Für solche individuelle Heilversuche („named patient use“), hätte das jeweilige Krankenhaus an das Unternehmen direkt mit Auflistung der einzelnen Patienten herantreten müssen. In solchen Fällen dürfen nur einzelne Packungen/Fläschchen etc. zur Verfügung gestellt werden. Pharmaunternehmen bzw. Vertriebsunternehmen dürfen laut AGES deshalb nicht aktiv an Kliniken herantreten und mehr Mengen als für einzelne benannte Patienten liefern.

„Ich kenne dieses Unternehmen nicht. Was mich wundert, ist, dass es Leute gibt, die ein solches Produkt ohne das Erfüllen der Vorgaben in Österreich auf den Markt bringen. Mich wundert aber gleichzeitig, dass es Leute kaufen. In unserem System geht es auch um eine Gesamtverantwortung“, sagte zu der Affäre der Generalsekretär des Verbandes der österreichischen Arzneimittelhersteller (Pharmig), Jan Oliver Huber, gegenüber der APA. Hier seien auch die Krankenhausapotheker gefragt.