Superintendent: „Zu allen Zeiten mit Gott leben“

Vor 500 Jahren hat Luther seine 95 Thesen veröffentlicht, die zur Glaubensreformation geführt haben. 44.000 Mitglieder zählt die evangelische Kirche in Niederösterreich. Seit einem Jahr steht Superintendent Lars Müller-Marienburg an der Spitze.

Vor 500 Jahren, am 31. Oktober 1517, veröffentlichte Martin Luther seine 95 Thesen und trug damit wesentlich zur Reformationsbewegung bei. Das Gedankengut der Reformation griff rasch um sich, und verbreitete sich über ganz Europa. Auch in Niederösterreich fanden sich viele Anhänger dieser neuen Auslegung des christlichen Glaubens. 1785 erlangten die evangelischen Holzfäller in Mitterbach (Bezirk Lilienfeld) von Kaiser Joseph II. endlich die Anerkennung ihrer „Toleranzgemeinde“.

In Mitterbach hatte damit im ausgehenden 18. Jahrhundert bereits jeder Glaubensfreiheit. Heute leben in 28 Pfarren 44.000 niederösterreichische Protestanten. Lars Müller-Marienburg ist seit einem Jahr Superintendent, ein Amt, das dem des katholischen Diözesanbischofs gleichzusetzen ist. Der 40-jährige Franke mit österreichischem Pass sprach im Interview mit noe.ORF.at über Glauben, Beruf und das Reformationsfest.

Lars Müller Marienburg

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noe.orf.at: Ist glauben heute noch zeitgemäß?

Lars Müller-Marienburg: Selbstverständlich! Es ist eine Möglichkeit, die nicht an ein Jahrhundert gebunden ist. Man konnte und kann zu allen Zeiten mit Gott leben. Was die Kirchen allerdings versäumt haben, ist eine Aktualisierung des Glaubens. Sie hätten die Menschen mehr ermutigen sollen, und ihnen zeigen, wie ein zeitgemäßes Leben im Glauben funktionieren könnte.

noe.orf.at: Was bringt der Glaube dem Menschen? Lässt sich die heute so beliebte Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen?

Müller-Marienburg: Das kann jeder nur selbst erfahren. Im Alltag kauft man Waren oder Dienstleistungen bewusst um Geld ein. Man entscheidet sich also sein Geld auszugeben. Der Glaube ist nichts, wofür man sich entscheiden kann. Ich habe mich nicht entschieden, zu glauben. Irgendwann war es klar, und dann habe ich mich entschieden, weiterzumachen und Theologie zu studieren. Das ist eine andere Kategorie als die Kosten-Nutzen-Rechnung.

noe.orf.at: Wofür steht der Reformationstag?

Müller-Marienburg: Da ist zuerst einmal das historische Ereignis: Luthers 95 Thesen. Sie waren eines der wichtigen Themen, die Martin Luther beschäftigten. Für uns bedeutet dieser Festtag: Uns Menschen wurde ein angstfreier Weg zu Gott gezeigt. Der Ablass, gegen den die 95 Thesen formuliert waren, war das Hauptthema. Luther sagte, es könne nicht angehen, dass man für Geld schneller in den Himmel kommt.

Aber das viel wichtigere Thema war, wie man in den Himmel kommen kann. Und es war Luther, der erkannte, dass es nicht die Taten der Menschen waren, sondern der Glaube allein. Nur die Gnade Gottes bringt in den Himmel. Nach dem Motto: „selbst wenn etwas schief geht, ich habe dich trotzdem lieb“. Und die damit verbundene Erkenntnis: „Nach dem irdischen Leben geht es weiter!“

Lars Müller Marienburg

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noe.orf.at: Wirkt die Reformation heute noch nach?

Müller-Marienburg: Die Reformation ist nie zu Ende. Schon Luther sagte, dass die Kirche immer wieder reformiert werden muss. Ich habe mich oft damit beschäftigt, wie wir unsere Organisation in einem guten Sinn aufrechterhalten. Wir müssen unsere Fehler erkennen. Die Reformation hat uns auch die Erkenntnis gebracht, dass die Kirche an sich nicht unfehlbar ist, sondern dass sie auch eine weltliche Organisation ist, die richtige aber auch falsche Entscheidungen trifft.

noe.orf.at: Wie begehen sie diesen Tag?

Müller-Marienburg: Es geht ja nicht um mich, sondern darum, dass ein Interesse an der evangelischen Kirche besteht. Ich bin heute Abend in Gmünd eingeladen, den Festgottesdienst zu feiern. Ich freue mich sehr, dass ich in einer unserer 28 Pfarrgemeinden sein werde, und mit diesen Menschen den Reformationstag begehe.

noe.orf.at: Warum sind Sie Pfarrer geworden?

Müller-Marienburg: Das erste Mal habe ich mit 13, 14 daran gedacht. Ich habe die Gottesdienste so schön gefunden, die Pfarrer haben so viel gesungen. Aber damals hatte ich mit Gott noch nicht so viel zu tun. Mit 18 ging ich für ein Jahr nach Kanada, und dort auf eine geistliche Schule. Da war mir innerhalb von ein paar Tagen ganz klar, dass es Gott gibt. Und damit kam dann nach kurzer Zeit auch der Wunsch, Pfarrer zu werden. Ich war aber noch nicht so klar in meinem Entschluss, also habe ich zuerst Jus studiert, und danach evangelische Theologie.

noe.orf.at: Wo liegt der Unterschied zwischen einer weltlichen und einer geistlichen Begegnung?

Müller-Marienburg: Es gibt nur Menschen. Es ist kein Unterscheid, wann und wo ich ihnen begegne! Ich habe die Sicherheit, dass Gott alle Menschen in ihrer Verschiedenheit liebt. Die Frage ist, wie nehme ich das geistliche ins weltliche Leben mit und nicht umgekehrt! Mein Alltag ist von alltäglichen Zwängen bestimmt. Es jagt ein Termin den anderen. Meine Herausforderung ist, wann gebe ich dem Gebet Raum, wann dem Studium der Bibel, wie hat alles Platz? Das weltliche Leben ist präsent genug.

noe.orf.at: Was sind die Aufgaben eines Superintendenten?

Müller-Marienburg: Wenn es Feierlichkeiten gibt, weltliche und religiöse, komme ich hin, um zu zeigen, die evangelische Kirche Niederösterreichs interessiert sich dafür. Mir ist sehr wichtig, dass die evangelische Kirche für alle da ist, nicht nur für die Mitglieder. Die Gegenwart des Superintendenten zeigt: wir sind da! Dann gibt es die bischöflichen Aufgaben: Ich führe neue Pfarrer und Pfarrerinnen in ihr Amt ein und segne sie.

noe.orf.at: Sind Sie innerhalb der Kirche eine Autorität?

Müller-Marienburg: Innerhalb der Kirche wird dieser Funktion schon eine gewisse Autorität zugemessen. Der Superintendent muss auch entscheiden. Die Wahrheit aber ist, dass ich viele Probleme nicht lösen kann. Ich kann es mir anhören, mich dazu äußern, aber letztlich muss es jeder Mensch selbst klären. Es ist wie in allen anderen Leitungspositionen auch: Die Autorität muss man sich selbst erarbeiten - durch gute Arbeit.

noe.orf.at: Sie sind seit einem Jahr im Amt, welche ihrer Erwartungen haben sich erfüllt?

Müller-Marienburg: Ich habe erwartet, dass es eine schöne Aufgabe ist, aber wie schön es wirklich ist, das habe ich nicht gewusst. Es kommen auch ganz neue Anforderungen auf mich zu. Zum Beispiel wurde ich gerade in letzter Zeit sehr oft eingeladen, Vorträge zu theologischen Themen zu halten, damit habe ich nicht gerechnet. Ich freue mich sehr, dass ich als Theologe gefragt bin, das war eine Überraschung.

noe.orf.at: Sie sagten bei ihrem Amtsantritt, sie wollten Vielfalt und Freude ins evangelische kirchliche Leben bringen. Ist das gelungen?

Müller-Marienburg: Am Anfang hatten viele Menschen Angst, dass ich ihnen den Glauben nehme, weil sie dachten, ich bin nicht sehr gläubig. Das möchte ich zurückweisen, ich bin ein sehr frommer und sehr gläubiger Mensch. Wir müssen zum einen verstehen, dass es unterschiedliche Wege zu Gott gibt. Wozu ich die Menschen ermutigen möchte, ist es Menschen aller Glaubensgemeinschaften zuzutrauen, dass sie es auch ernst mit ihrem Glauben meinen.

Zum anderen möchte ich, dass wir diese Glaubensunterschiede schätzen lernen, dass wir die unterschiedlichen Zugänge zu Gott akzeptieren. Die Stile sind sehr verschieden, aber alles hat ein Recht zu existieren. Wir in Niederösterreich haben eine gute Kultur, indem wir uns das gegenseitig zutrauen. Das möchte ich weiter stärken. Innerhalb der Gesellschaft ist die Vielfalt eine Tatsache. Wir können es mögen oder nicht. Da möchte ich auch sagen, man kann Christ, katholisch, evangelisch oder Muslime sein. Niemand ist eine Bedrohung, der seiner Religion nachgeht, solange man selbst dem eigenen Glauben auch nachgehen kann.

noe.orf.at: Das heißt, sie sind ein Befürworter der Ökumene?

Müller-Marienburg: Die Ökumene hat jede Berechtigung. Für unsere Kirche ist das selbstverständlich. Wir sind so eine kleine Minderheit, es wäre ein Fehler, würde man nicht ökumenisch denken. Es wird unsere Aufgabe in der Zukunft sein, dass wir mit den anderen Religionen ein gutes Miteinander pflegen. Wir werden keine theologischen Kompromisse schließen, das ist ganz klar, aber dass wir uns einigen, dass wir in Frieden miteinander leben, dazu möchte ich meinen Beitrag leisten.

noe.orf.at: Wenn Sie ein Resümee über dieses Jubiläumsjahr ziehen, was kommt dabei heraus?

Müller-Marienburg: Ich habe vor Beginn des Reformationsjahres gesagt, das wichtigste ist das Jahr danach, 2018. Wir haben ein großartiges Jahr hinter uns, mit viel mehr Interesse als ich es zu hoffen gewagt hätte, mit großen Feierlichkeiten, mit Interesse von Seiten der katholischen Kirche, und auch von öffentlicher Seite. Jetzt müssen wir schauen, was es in Zukunft bedeuten wird, evangelische Christin, evangelischer Christ zu sein. Wir müssen weiter diskutieren. Meinen Weg sehe ich darin, noch mehr auf die Menschen zuzugehen, ihnen klar zu machen, dass die evangelische Kirche ein Ort ist, wo sie den Glauben leben und pflegen können.

Das Gespräch mit Lars Müller-Marienburg führte Karina Fibich, noe.ORF.at

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