Grenzregion: Annäherung mit Berührungsängsten

Aufgrund des Eisernen Vorhangs hatte Niederösterreich mit den Nachbarstaaten lange kaum Kontakt. Seit zehn Jahren sind Grenzkontrollen allerdings Geschichte. Die Regionen auf beiden Seiten der Grenze näherten sich seither langsam an.

„Achtung Staatsgrenze“ - Bis vor zehn Jahren führte dieses Schild am Grenzübergang Drasenhofen (Bezirk Mistelbach) oft zu stundenlangen Verkehrsstaus. Heute fließt der Verkehr problemlos und ohne große Beachtung daran vorbei. Durch den Beitritt Tschechiens und der Slowakei zum Schengen-Raum im Jahr 2007 wurde die europäische Außengrenze weiter nach Osten verlagert. Die Grenzkontrollen waren damit Geschichte.

Grenzkontrollen Abschaffung 10 Jahre Reportage

ORF

Bis vor zehn Jahren sorgten die Grenzkontrollen oft für stundenlange Staus

Die Grenze an sich ist in vielen Köpfen aber nach wie vor präsent. „Ich fahre heute genauso wenig hinüber wie früher, bei uns gibt es ja sowieso alles“, schildert Werner Klein aus Mailberg (Bezirk Hollabrunn). Für Margarete Abermayer aus Stronsdorf (Bezirk Mistelbach) sind die offenen Grenzen bereits Alltag: „Einige meiner Arbeitskollegen kommen aus Tschechien, das ist ein Miteinander.“

Grenzkontrollen Abschaffung 10 Jahre Reportage

ORF

Heute rollt der Verkehr problemlos über die Staatsgrenze

Eine gemeinsame Region ist derzeit aber noch eine Vision. Historiker Niklas Perzi, der sich seit 30 Jahren mit der österreichisch-tschechischen Grenze beschäftigt, überrascht das nicht: „Grenzen, die es so lange gegeben hat, und die zwischen Niederösterreich und Tschechien ist eine der ältesten überhaupt, können gar nicht verschwinden.“ Erfreulich sei allerdings, dass die Grenze immer durchgängiger werde.

Therme: Ein Viertel der Gäste kommt aus Tschechien

Am Parkplatz der Therme Laa (Bezirk Mistelbach) stehen neben den österreichischen auch immer mehr Autos mit tschechischem Kennzeichen, die offenen Grenzen machen sich hier deutlich bemerkbar. Ein Viertel der 320.000 Gäste pro Jahr kommt mittlerweile aus dem Nachbarland, sagt Geschäftsführer Florian Perteneder: „Wir haben sehr stark gemerkt, dass ab dem Zeitpunkt, wo es nicht mehr notwendig war den Reisepass zu zeigen, es einen sehr großen Zuwachs gegeben hat.“

Grenzkontrollen Abschaffung 10 Jahre Reportage

ORF

Ein Viertel der Gäste und ein Drittel der Mitarbeiter sind aus Tschechien

Das Einzugsgebit der Therme liege nicht nur südlich der Grenze, erklärt Perteneder: „Wenn wir von der Region ‚Land um Laa‘ sprechen, sehen wir auch immer Südmähren.“ Tschechisch sei deshalb heute nach Deutsch die zweitwichtigste Sprache.

Dieser Umstand wirkt sich auch auf das Personal aus. Ein Drittel der Mitarbeiter pendelt täglich über die Grenze. Die Staatsgrenze ist für sie verschwunden, schildert auch Jiri Hafner, der seit neun Jahren in der Therme arbeitet: „Optisch erinnert heutzutage kaum noch etwas an die Grenze, und spätestens als das Grenzgebäude zu einem Casino umgebaut wurde, wusste ich: es gibt keine Grenze mehr.“

Winzer: Tschechien ist zweitwichtigster Exportmarkt

Enge Kontakte über die Grenze hinweg bauen sich immer öfters auch in der lokalen Wirtschaft auf. In Poysdorf (Bezirk Mistelbach) nutzten vor allem Winzer den jahrelangen Durchzugsverkehr, um sich ein Netzwerk aufzubauen. Winzer Thomas Taubenschuss zählt heute private Weinliebhaber genauso wie Spitzengastronomie zu seinen Kunden: „Gerade nachdem die Schengen-Grenzen aufgehoben wurden, haben sich die Partnerschaften stark entwickelt und intensiviert.“ Für das Weingut ist Tschechien heut der zweitwichtigste Exportmarkt nach Deutschland.

Grenzkontrollen Abschaffung 10 Jahre Reportage

ORF

Winzer Thomas Taubenschuss (li.) baute sich in den vergangenen Jahren mehrere Partnerschaften mit Kunden aus Tschechien auf

Aber auch immer mehr tschechische Betriebe öffnen sich ihren Gästen aus Österreich, erzählt Simon Buchta, Gastronom und Hotelier aus Mikulov (Tschechien): „Wir können schließlich viele Sehenswürdigkeiten anbieten. Mikulov ist eine geschichtliche, große Stadt, das fasziniert die Österreicher.“ Allerdings gebe es durchaus noch Verbesserungspotenzial: „Das ist natürlich in der Gastronomie, wo wir noch mehr anbieten müssen, aber das schaffen wir schon.“

Im Sport gibt es keine Grenzen mehr

Das „Sport verbindet“ beweist wiederum der Fußballverein in Drasenhofen (Bezirk Mistelbach). Seit 10 Jahren kooperiert die Mannschaften mit dem Nachbarn in Mikulov, erklärt Präsident Thomas Schrempf: „Momentan haben wir etwa fünf Jugendspieler aus Tschechien, die bei uns spielen. Wir kennen uns jetzt schon seit Jahren, dadurch ist auch schon eine Freundschaft entstanden und es redet sich natürlich gleich viel leichter.“

Im Winter, wenn in Drasenhofen der Boden gefroren ist, nutzt man außerdem die modernen Kunstrasenplätze der Nachbarn: „Wenn die Witterung bei uns nicht mehr passt, fahren wir nach Mikulov und spielen dort unsere Trainingsspiele.“ Die Alternativen wären schließlich nur die Kunstrasenplätze in Wien, „wo wir aber eine Stunde Anfahrtsweg hätten.“

Barrieren in den Köpfen sterben aus

Langsam wächst die Region also zusammen. Bis aber auch die letzten Barrieren in den Köpfen verschwunden sind, wird es noch ein bis zwei Generationen dauern, glaubt Historiker Perzi: „Ich denke aber, je mehr sich das Wohlstandsgefälle angleicht, umso mehr werden auch die Bilder verschwinden.“

Grenzkontrollen Abschaffung 10 Jahre Reportage

ORF

Laut Perzi müssen sich die Tschechen künftig selbstbewusster vermarkten

Die nördlichen Nachbarn müssten dazu aber auch ihren Teil beitragen, mahnt Perzi, denn "wenn ich über der Grenze nur Casino-Werbung und ‚Billigramschgeschäfte‘ sehe, wird sich dieser Eindruck in den Köpfen der Menschen, die oft nur bis dahin fahren, verfestigen. Für die Tschechen sei deshalb notwendig, dass sie sich besser vermarkten.

Stefan Sailer, noe.ORF.at