Unkonventionell: Zürcher „Onkel Wanja“

Als Gastspiel des Schauspielhauses Zürich hat am Freitag im Landestheater in St. Pölten Karin Henkels Inszenierung von Anton Tschechows „Onkel Wanja“ recht unkonventionelle „Bilder aus dem Landleben“ auf die Bühne gebracht.

Eine durchaus gelungene Entstaubungsaktion: Aus hellen Fliesen scheint die Kulisse zu bestehen, klinisch fast wie in einer Prosektur. Ein schwarzes Kreuz ist erkennbar, das mit dem schräg darunter befindlichen roten Kreuz auf einem Erste-Hilfe-Kasten korrespondiert. In diesem Behältnis befinden sich jede Menge Medikamente, darunter Psychopharmaka, die von den agierenden Personen reichlich eingenommen werden. Erst im Verlauf des Geschehens wird klar, dass die Wand aus allmählich zerrinnendem Eis besteht, dessen Schmelzwasser den Boden flutet.

Zürcher Schauspielhaus Gastspiel Onkel Wanja Sankt Pölten Landestheater

Matthias Horn

Ein „Mosaik einer Depression“ mit Siggi Schwientek, Lena Schwarz, Carolin Conrad, Alexander Maria Schmidt und Markus Scheumann (v.l.)

Von der Langweile ist es nicht weit zur Verzweiflung

Karin Henkel löst die auf einem russischen Gut spielende Geschichte über familiäre Verstrickungen, Langeweile, falsche Hoffnungen, Enttäuschung und Verzweiflung aus jeglichem folkloristischen Kontext, kommt ganz ohne Samowar aus, nur die Wodkaflaschen kreisen. Skurrile, um ihr Leben betrogene Typen in unglaublich geschmackloser Seventies-Kleidung demonstrieren ihre grotesk anmutenden Verwindungen und Verrenkungen auch körpersprachlich und zeichnen zwar keine schlüssigen Charaktere, aber doch ein stimmiges Frustmilieu, wie es wohl auch heutzutage in vielen sozialen Etagen anzutreffen ist.

Siggi Schwientek in der Titelrolle gibt den versoffenen, verschlagenen, dann wieder seelenvollen Protagonisten in diesem „Mosaik einer Depression“, aus der es so gar keinen Ausweg gibt. Carolin Conrad ist eine sympathische, von Minderwertigkeitsgefühlen geplagte Sonja, Gottfried Breitfuss ihr rücksichtslos verbohrter Vater, Markus Scheumann der ebenso smarte wie überforderte Arzt Astrow, dessen grünbewegte Ansichten sehr heutig wirken. Ein Gitarrist setzt sich zwischendurch an den Flügel, liefert die Begleitmusik zum Abgesang einer perspektivlosen Community. Wanja bringt es auf den Punkt: „Ich esse, trinke und schlafe. Den ganzen Tag. Da stimmt doch was nicht.“

Ewald Baringer, Austria Presse Agentur

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