1930er Jahre: Drei Kanzler aus Niederösterreich

In den 1930er Jahren hat es drei Bundeskanzler gegeben, die einen Bezug zu Niederösterreich hatten: Engelbert Dollfuß aus Texing (Bezirk Melk), dessen Vorgänger Karl Buresch aus Groß-Enzersdorf (Bezirk Gänserndorf) und Carl Vaugouin.

Carl Vaugoin (1873-1949) war von 30. September bis 4. Dezember 1930, also keine zweieinhalb Monate, Bundeskanzler der Republik Österreich. Davor war der ehemalige niederösterreichische Landesbeamte von 1921 an fast durchgehend Verteidigungsminister. Diese Funktion hatte der im Ersten Weltkrieg bis zum Rittmeister Beförderte in 15 Kabinetten. Davor war er in den Jahren von 1912 bis 1920 Gemeinderat in Wien, davon in den letzten beiden Jahren Stadtrat, von 1920 bis 1933 vertrat er die Christlichsoziale Partei im Nationalrat.

Carl Vaugoin: Bundeskanzler für zwei Monate

„Unter Carl Vaugoin wurde das Bundesheer ‚umgedreht‘, eine rote Organisation wurde zwar nicht zu einer schwarzen, aber doch zu einem Instrument, das in der Hand der Regierung verlässlich sein sollte“, sagt Ernst Bruckmüller, Historiker an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Kaserne Pinkafeld, Grundsteinlegung 21.7.1929 durch Carl Vaugoin

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Carl Vaugoin (M.) bei der Grundsteinlegung für die Kaserne Pinkafeld im Jahr 1929

Den autoritären Kurs des Ständestaates trug Vaugoin noch als Heeresminister mit, doch er übernahm 1933 aufgrund zunehmender Differenzen mit der Christlichsozialen Partei eine hohe Funktion bei den Bundesbahnen und wurde damit politisch faktisch entmachtet.

Auf Weisung der Nationalsozialisten musste Vaugoin seinen Wohnsitz nach Bayern verlegen, später nach Norddeutschland. Ende 1943 wurde der Herzkranke im Ausweichspital Litschau (Bezirk Gmünd) behandelt. Bis Kriegsende lebte er in Alt-Nagelberg (Bezirk Gmünd), dann im Stift Dürnstein (Bezirk Krems). Am 10. Juni 1949 starb er im Krankenhaus Krems.

Karl Buresch: Von der Herrengasse ins Kanzleramt

Karl Buresch (1878-1936) aus Groß-Enzersdorf (Bezirk Gänserndorf) war bereits neun Jahre lang Landeshauptmann von Niederösterreich, als er am 20. Juni 1931 für die Dauer von elf Monaten - bis zum 20. Mai 1932 - Bundeskanzler wurde. „Die Regierung Buresch ist besonders schwierig zu beurteilen, weil sie auch mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Er musste versuchen, die Creditanstalt irgendwie zu retten, was aber natürlich ohne fremde Hilfe nicht gelungen ist“, so Ernst Bruckmüller.

Buresch studierte in Wien Rechtswissenschaft und war als Rechtsanwalt in seiner Heimatgemeinde Groß-Enzersdorf tätig. 1909 kam das Mitglied der Christlichsozialen Partei in den Gemeinderat, von 1916 bis 1919 war er Bürgermeister von Groß-Enzersdorf. 1919 wurde Buresch in die konstituierende Nationalversammlung gewählt, 1920 bis 1924 war er Abgeordneter zum Nationalrat. Im Sommer 1922 wurde Buresch nach dem Rücktritt von Johann Mayer Landeshauptmann von Niederösterreich. Er hatte diese Funktion bis zu seiner Ernennung zum Bundeskanzler im Juni 1931 inne, sowie auch vom Mai 1932 bis zum Mai 1933. Bis 1935 war er Finanzminister unter Bundeskanzler Kurt Schuschnigg.

Karl Buresch

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Karl Buresch

Buresch hatte in den 1930er Jahren mit großen politischen Herausforderungen zu kämpfen. Er war Bundeskanzler zu jener Zeit, als die Weltwirtschaftskrise ihren Höhepunkt hatte. In seiner Regierungszeit kam es zum Bruch mit den Großdeutschen, die Christlichsozialen mussten bei Wahlen empfindliche Stimmenverluste hinnehmen.

Er war im sogenannten Phönix-Skandal involviert: Die Versicherung Phönix brach 1936 wegen Überschuldung zusammen. Das Defizit betrug 250 Millionen Schilling, das waren fünf Prozent des österreichischen Volkseinkommens von 1936. Von Schmiergeldern und Bestechung hoher Politiker war die Rede, auch der Name Buresch wurde genannt. Buresch starb unerwartet am 16. September 1936. Bundespressechef Eduard Ludwig sprach in seinen Memoiren von einer Überdosis an Beruhigungsmitteln, die Buresch genommen hatte.

Engelbert Dollfuß: Von den Nazis erschossen

Nachfolger Bureschs wurde am 20. Mai 1932 Landwirtschaftsminister Engelbert Dollfuß (1892-1934), gebürtig aus Texing (Bezirk Melk). Der promovierte Jurist wurde 1927 Direktor der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer. Der anerkannte Agrarexperte setzte u.a. die Einführung der Sozialversicherung für Bauern durch sowie die obligatorische Arbeitslosenunterstützung für landwirtschaftliche Lohnarbeiter.

Am 18. März 1931 wurde Dollfuß als Landwirtschaftsminister in die christlichsoziale Regierung Ender aufgenommen, ab 20. Juni 1931 gehörte er in gleicher Funktion der Regierung Buresch an. Nach dem Rücktritt dieser Regierung wurde Dollfuß am 10. Mai 1932 von Bundespräsident Wilhelm Miklas als Bundeskanzler designiert und mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt.

Bei der Nationalratssitzung am 4. März 1933 führten Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung und eine Geschäftsordnungsdebatte zum Rücktritt der drei Parlamentspräsidenten und damit zur Beschlussunfähigkeit des Nationalrats. Die Wiederaufnahme der Sitzung wenige Tage später wurde nicht erlaubt, in der Folge wurden auch der Republikanische Schutzbund und die Kommunistische Partei aufgelöst.

Engelbert Dollfuß in Genf

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Engelbert Dollfuß 1933 in Genf

Dollfuß verkündete am 11. September 1933 auf dem Trabrennplatz in Wien anlässlich des Deutschen Katholikentages als Ziel die Errichtung eines „sozialen, christlichen, deutschen Staates Österreich auf ständischer Grundlage und starker autoritärer Führung“. Am 12. Februar 1934 kam es nach Verhaftungen von sozialdemokratischen Politikern und Hausdurchsuchungen zu einem bewaffneten Widerstand und bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zwischen Bundesheer und Heimwehr auf der einen, dem Republikanischem Schutzbund auf der anderen Seite.

Bei einem nationalsozialistischen Putschversuch am 25. Juli 1934 wurden in Wien die RAVAG-Zentrale und das Bundeskanzleramt besetzt. Dollfuß wurde dort von den Putschisten Otto Planetta und Franz Holzweber, vor denen er zu flüchten versuchte, je einmal angeschossen und verblutete, weil ihm die Putschisten ärztliche Hilfe verweigerten.

Heiliger oder Tyrann?

Seine Person und seine politischen Positionen sind bis heute nicht unumstritten. „Märtyrer der österreichischen Idee oder Arbeitermörder, Erwecker eines nationalen Selbstverständnisses oder Baumeister des Unterganges, Heiliger oder Tyrann“, schrieb der Zeithistoriker Gerhard Jagschitz über Dollfuß.

„Er war ein dünnhäutiger Politiker, er hat persönliche Verletzungen nicht leicht verwunden. Er hat schon relativ früh gesehen, dass das Parlament nicht sein Terrain ist und zog sich immer mehr aus dem Parlamentsgetriebe zurück. Er begann dann, Überlegungen in Richtung eines autoritäten Regimes anzustellen“, sagt Stefan Eminger über die politische Frühzeit Dollfuß’. „Eine gesunde Demokratie, wo nicht ein Großteil der Bevölkerung mit ihrer Gesinnung und ihren Idealen in die Illegalität gedrängt wird, wäre der beste Schutz gegen den Nationalsozialismus gewesen, aber auf keinen Fall ein diktatorisches Regime“, so Thomas Lösch, Leiter des Stadtarchivs St. Pölten.

Reinhard Linke, noe.ORF.at

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