Derflinger: „Habe meine Komfortzone verlassen“

Sabine Derflinger inszeniert Nestroys „Der Zerrissene“ am Landestheater St. Pölten. Premiere ist am 17. März. Mit dem Ausstieg bei den „Vorstadtweibern“ hat sie ihre „Komfortzone verlassen“, wie sie im Interview sagt.

Sabine Derflinger wurde als Filmregisseurin mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt inszenierte sie für den ORF die Fernsehserie „Vorstadtweiber“. Nun wagt sich Derflinger an eine neue Herausforderung: Theater. Sie bringt Johann Nepomuk Nestroys Verwechslungskomödie „Der Zerrissene“ auf die Bühne des Landestheaters St. Pölten.

Sabine Derflinger

Petro Domenigg/filmstills.at

Die mehrfach preisgekrönte Filmregisseurin Sabine Derflinger

noe.ORF.at: Die dritte Staffel der „Vorstadtweiber“ ist soeben gelaufen. Sie machen bei der Serie nicht mehr weiter. Haben Sie andere Projekte vor? Die Rede ist unter anderem von einer Dokumentation über Johanna Dohnal.

Sabine Derflinger: Genau. Die produzieren wir jetzt. Und in Deutschland mache ich jetzt auch eine Serie. Zu den „Vorstadtweibern“: Es war schön, es war erfolgreich, es war gut, das alles zu kreieren, die Figuren aus der Taufe zu heben, und es ist toll, dass jetzt mit Mirjam Unger eine andere Frau statt mir kommt. Ich habe nie gedacht, dass ich bis an mein Lebensende dabei bleibe. Und so habe ich jetzt meine Komfortzone verlassen. Darum bin ich ja hier.

noe.ORF.at: Wie hat es sich überhaupt ergeben, dass Sie nun am Theater gelandet sind?

Derflinger: Marie Rötzer hat mich einfach gefragt und mir dieses Stück angeboten. In meinem Film „Anna Fucking Molnar“ gibt es eine Szene, die auf der Bühne des Theaters in der Josefstadt spielt. Ich hab’ mir gedacht: Mein Gott, es wär’ schon einmal super, Theater zu machen, und drei Wochen später kam der Anruf. Das war jetzt für mich auch genau das Richtige, mich damit länger zu beschäftigen, mit einer anderen Art von Arbeit und Arbeitsprozess, und ganz woanders wieder von vorne zu beginnen.

noe.ORF.at: Was ist nun speziell das Reizvolle am „Zerrissenen“? Ist es die Klassenfrage? Das Beziehungsgeflecht?

Derflinger: Es gibt natürlich schon auch die Klassenfrage, aber prinzipiell finde ich das Beziehungsgeflecht interessanter. Für die Klassenthematik gibt es geeignetere Stücke. Ich habe mich sehr an den Stücktext gehalten, einiges reduziert und die Sprache behalten. Aber es ist schon eine Mischung zwischen Damals und Jetzt.

noe.ORF.at: Ist das nun ein Ausflug in den Theaterbereich oder der Start in ein neues Genre?

Derflinger: Das kann ich noch gar nicht sagen. Noch ist es nicht gelaufen. Es ist einfach spannend und interessant.

Der Zerrissene, Gerald Votava, Michael Scherff, Haymon Maria Buttinger, Josephine Bloeb

Alexi Pelekanos

Gerald Votava, Michael Scherff, Haymon Maria Buttinger und Josephine Bloeb (v.l.) stehen in „Der Zerrissene“ im Landestheater auf der Bühne

noe.ORF.at: In ihrer Arbeit zeigt sich eine große thematische Bandbreite. Könnte man sagen, dass es oft Themen von gesellschaftlicher Brisanz sind, wo man sonst nicht so genau hinschaut?

Derflinger: Der Ausgangspunkt bei meinen Dokumentarfilmen war es sicher, mit Filmen etwas zu bewegen. Ich habe eine klare Haltung, die habe ich einfach, da kann man gar nichts machen. Die kann ich nicht ablegen. Aber ich stell’ mich nicht hin und sage: Ich mache jetzt einen feministischen Film. Selbst jetzt bei Johanna Dohnal mache ich einen Film über Johanna Dohnal und widme mich ihrer Geschichte. Dass ich Feministin bin, wird man dem Film schon anmerken.

noe.ORF.at: Was muss ein Stoff überhaupt an sich haben, damit Sie sagen: Das interessiert mich jetzt, das will ich machen?

Derflinger: Es muss eine Art von Herausforderung sein. Und das Formale im Erzählen interessiert mich schon sehr. Inhaltlich gesehen muss es einen Grundgedanken geben, der mich fesselt, der bewirkt, dass ich sechs Monate oder sechs Jahre dranbleibe. Ich habe einmal einen Film über Prostitution gemacht, mit einem anderen Blick, der weder moralisch noch tralala-is-eh-lustig ist.

Bei gängigeren Formaten waren es zunächst Beziehungsgeschichten. So wie auch bei den „Vorstadtweibern“, wo am Anfang eine Frau alles versucht, um eine Beziehung aufrechtzuerhalten. Dass jemand alles in Kauf nimmt, um etwas zu erreichen, fand ich ein interessantes Thema. Das Thema kenn’ ich: Als Regisseurin geht das ja oft auf, da kann man das hinbiegen, aber im Leben muss man oft aufgeben.

noe.ORF.at: Dabei geht’s aber offenbar weniger ums Moralisieren...

Derflinger: Das interessiert mich gar nicht. Moral interessiert mich überhaupt nicht. Natürlich habe ich eine Haltung in der Auseinandersetzung mit der politischen Lage und protestiere halt, so gut ich kann. Aber politische Arbeit ist etwas ganz anderes als kreative Arbeit. Wenn ich wirklich politisch tätig sein will, bin ich das kraft meiner Person. Das Werk selber ist wieder etwas anderes. Ich mache keine Propagandafilme. Man kann ja Propagandafilme machen, man kann das auch wertfrei sehen, aber ich will keine machen.

Sabine Derflinger

Petro Domenigg/filmstills.at

Sabine Derflinger: „Wenn meine Filme nicht gescheiter werden als ich selber, dann würde es mich langweilen“

noe.ORF.at: Was offenbar nicht ausschließt, auf die Verhältnisse einen kritischen Blick zu werfen...

Derflinger: Mir gefällt es aber auch, dass man immer wieder neue Blickpunkte gewinnt, dass man möglicherweise auch etwas revidiert. Es gibt ja so unterschiedliche Zugänge zu Kunst und Kreativität. Es gibt Menschen, die haben alles in ihrem Kopf vorgefertigt, und dann treffen sie auf andere Menschen, die müssen das dann möglichst genau umsetzen. Das ist ein Weg, aber der interessiert mich gar nicht.

Wenn meine Filme nicht gescheiter werden als ich selber, dann würde es mich langweilen. Kunst, die schon vorbestimmt ist, finde ich langweilig. Das kann schon auch sehr stark sein, aber bestätigt nur die Werte und bringt uns keinen Meter voran. Es gefällt mir, etwas auszuprobieren, auch in der Improvisation etwas zu finden, was man noch gar nicht gewusst hat.

noe.ORF.at: Wie gehen Sie selber mit Kritik um?

Derflinger: Wer ist denn Kritiker? Jemand, der sich vieles anschaut und daher den Vergleich hat. Möglicherweise auch eine gute Ausbildung. Was ich nicht mag: Wenn Kritik sich ausschließlich über persönliche Befindlichkeiten abwickelt. Und ich mag auch im Kritisieren nicht dieses moralische „hier ist Gut und hier ist Böse“.

Jemand kann mein Werk nicht mögen, das stört mich nicht, aber ich finde es interessant, wenn sich jemand damit auseinandersetzt und nicht irgendetwas hinrotzt. Da geht es gar nicht so sehr um mein beleidigtes Ego. Da wird ja ein Diskurs abgewürgt. Menschen, die über uns schreiben, sind ja Vermittler zwischen uns und dem Publikum.

noe.ORF.at: Und das Publikum?

Derflinger: Es gibt ja Leute, die schreiben mir, es ist ein Blödsinn, was ich gemacht habe, oder es ist super, und die mit mir dann reden wollen.

noe.ORF.at: Und das tun Sie dann?

Derflinger: Ja freilich! (imitiert) „Ja Frau Derflinger, ich wollt’ mit Ihnen reden, wieso haben Sie des so g’macht?“ Es war immer sehr direkt mit dem Publikum. Die einen: „Na, des hat mir jetzt net g’fallen“ und die anderen: „Des hat mir jetzt scho’ g’fallen“. Fertig ist ein Buch, ein Film oder ein Theaterstück erst im Kopf der einen und der anderen.

Kritik als Feedback ist schon interessant, um zu sehen: Aha, was funktioniert jetzt bei einer Mehrheit, wo hängt es von Herkunft, Bildung, politischem Denken ab? Oder davon, ob ich den Film in Amerika oder in China zeige. Ich forsche gerne. Und Kommunikation ist das, was mir am meisten taugt.

Das Gespräch mit Sabine Derflinger führte Ewald Baringer, Austria Presse Agentur

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