Auf den Spuren eines Stararchitekten

Von Montreal über München und Brasilia bis St. Pölten: Seine Werke gelten als Ikonen der Architektur. Heuer wäre Karl Schwanzer 100 Jahre alt geworden. In St. Pölten kann man sich im Stadtmuseum nun auf seine Spuren begeben.

In den 1960er Jahren gefeiert, in den 1970er Jahren als zweckmäßig angesehen, in den 1980er und 1990er Jahren hinterfragt und belächelt und im 21. Jahrhundert schließlich der Abrissbirne zum Opfer gefallen. Dieses oder ein ähnliches Schicksaal ereilte viele der nackten Betonbauten der Nachkriegszeit. So auch Karl Schwanzers WIFI-Turm in der Mariazellerstraße, der optisch stark an die Bauklotztürme des Geschicklichkeitsspiels Jenga erinnerte und im St. Pöltner Stadtbild stets wie ein Fremdkörper wirkte.

Karl Schwanzer

Stadtmuseum St. Pölten

Karl Schwanzer mit dem Modell des WIFI St. Pölten

Für Schwanzer zeugte der 54 Meter hohe Betonkoloss vom Fortschrittsglauben eines sich wirtschaftlich im Aufschwung befindlichen Österreichs. Die Ausstellung „Gebaute Zukunft – Karl Schwanzer in St. Pölten“ beschäftigt sich bis 26. August mit der Schaffenszeit des Architekten. Der Wiener, der die plastische Qualität des „gegossenen Steins“ schätzte, beschränkte sich in seiner Karriere keineswegs ausschließlich auf brutalistische Betonarchitektur. Im Gegenteil - seine Gebäude lassen sich kaum einem einheitlichen Stil zuordnen.

Funktion bestimmt Konstruktion

Gemein haben seine Werke lediglich den modernistischen Anspruch, das Streben nach bester Bau- und Materialqualität sowie ein hohes Maß an Umsetzbarkeit. Ein Paradebeispiel dafür ist das Philips-Haus an der Triesterstraße. An den südlichen Toren Wiens ragt das heizkörperähnliche Firmengebäude aus dem Boden und begrüßte dort mit seinen „offenen Armen“ – eine nach zwei Seiten ragende Längsfassade aus Sichtbeton – bis zum Umzug 2013 die Philips-Mitarbeiter.

Schwanzer stimmte die Konstruktion des Philips-Hauses auf dessen Funktion ab. Dabei ergab sich ein für die 1960er Jahre untypisches, quaderförmiges Konstrukt mit markanten Seitenteilen. Gestützt von nur vier tragenden Betonpfeilern – so konnte zusätzliche Bürofläche gewonnen werden – wurde der Bürobau auf ein schwimmendes Fundament gestellt, um auf weichem Lehmuntergrund die Stabilität zu garantieren.

WIFI Sankt Pölten Karl Schwanzer

Stadtmuseum St. Pölten

WIFI in St. Pölten

Ebenfalls lösungs- und funktionsorientiert setzte Schwanzer den WIFI-Auftrag in St. Pölten um. Während der Turm mittlerweile Architekturgeschichte ist, finden im ebenfalls von Schwanzer entworfenen und heute denkmalgeschützten Lehr- und Werkstättengebäude des WIFI nach wie vor Schulungen statt.

Bei der Eröffnung 1972 sollte es den technischen Entwicklungen der Zeit Rechnung tragen und symbolisch für innovativen Ausbildungscharakter stehen. Dass die bröckelnde Betonfassade und das beengende Innenleben bald als Relikt vergangener Tage gelten würden, ist heute nicht mehr als eine Randnotiz, denn an Schwanzers wahrem Meisterstück wurde zeitgleich bereits in München gebaut.

Vom Bierkrug zum „Vierzylinder“

Der Vielreisende, der in vergleichsweise kurzer Zeit an mehr als 600 Projekten scheinbar unermüdlich arbeitete, holte sich seine Inspiration vor allem im Ausland. Nach längeren Aufenthalten in Südamerika, Asien oder den USA kam er immer wieder mit unkonventionellen Ideen zurück nach Europa. Den Höhepunkt seines kreativen Schaffens erreichte er mit dem Bau der BMW-Zentrale in München.

BMW Center München Karl Schwanzer

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BMW-Zentrale in München

Genau genommen war es wohl schon ein Erfolg, dass Schwanzer es als einziger nichtdeutscher Architekt in die engere Auswahl der Ausschreibung schaffte. Doch planen ohne zu bauen war seine Sache nicht, sodass Schwanzer von da an nichts mehr dem Zufall überließ. Seine Vision eines Komplexes bestehend aus vier runden in Kleeblattform angeordneten Bürotürmen, bot ideale Lichtverhältnisse sowie alle Voraussetzungen für Großraumbüros. Um die BMW-Bosse zu überzeugen, ließ er in den Bavaria-Filmstudios eine gesamte Etage im Originalmaßstab nachbauen. Zusätzlich präsentierte der rhetorisch geschickte Schwanzer die Idee eines eigenen BMW-Museums.

Die finale Zusage für die österreichische Einreichung – so eine Anekdote – soll dann aber bei einem Geschäftsessen gefallen sein, als Schwanzer vor den BMW-Entscheidungsträgern vier Maßkrüge im Kleeblattgrundriss zusammenschob und so die Form seines Hochhauses verdeutlichte. Kurz darauf begannen die Arbeiten an dem knapp 100 Meter hohen Gebäude. Dessen Rohbau sollte nämlich in nur eineinhalb Jahren zu Beginn der Olympischen Spiele 1972 in München stehen.

Karl Schwanzer Philips Haus

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Philips-Haus in Wien

Mit Schwanzer hatten die Bayern den perfekten Mann für diese Herkulesaufgabe gefunden. Mehr als 2.000 Fassadenelemente ließ er aus Japan importieren, auf der Baustelle implementierte er parallel seine außergewöhnliche Bautechnik, bei der das Gebäude nicht steht, sondern hängt. An einem Trägerkreuz ließ der Visionär vorgefertigte Stockwerksblöcke nach oben hieven, wodurch viele der zeitaufwändigen manuellen Verfahren auf herkömmlichen Baustellen abgekürzt werden konnten. Die BMW-Zentrale wurde rechtzeitig fertig und aufgrund ihrer Form im Volksmund bald auf „Vierzylinder“ umgetauft.

Stadtmuseum zeigt Erbe des Ausnahmearchitekten

Der „Vierzylinder“ gilt mittlerweile als eines der Münchner Wahrzeichen und das dazugehörige BMW-Museum zieht jährlich zahlreiche Besucher aus dem In- und Ausland an. Karl Schwanzer konnte viel davon nicht mehr miterleben, denn er nahm sich 1975 am Höhepunkt seiner Karriere das Leben. Vergessen sind seine Bauten deshalb aber lange nicht. Das Stadtmuseum St. Pölten beschäftigt sich bis Ende August mit der jüngeren Stadtgeschichte und somit auch mit Karl Schwanzer und dessen Erbe - bestehend aus viel Beton und noch mehr Vision.

Markus Strohmayer, noe.ORF.at

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