Scheitern und Hoffen: Homers „Odyssee“ in Melk

Leidenschaft und Hingabe, Scheitern und Hoffen, Verirren und Ankommen, Heimatlosigkeit und Geborgenheit: Die „Odyssee“ greift Themen auf, die aktueller nicht sein können. Homers Epos ist bei den Sommerspielen Melk zu sehen.

Die Odyssee ist Abenteuerroman, Liebesgeschichte und Familiendrama gleichermaßen, geschrieben vor fast 3.000 Jahren. „Odysseus selbst gilt als der modernste Mensch in der Mythologie: neugierig und listenreich, auf der Suche nach Wissen, Erfahrung und zugleich ein immer wieder Scheiternder. Er begegnet uns als Heimatloser, als ein vom Schicksal Getriebener“, sagt Alexander Hauer, Intendant der Sommerspiele Melk. Gemeinsam mit Stephan Lack schrieb er eine „Odyssee“-Fassung, die am 16. Juni in der Wachauarena Melk uraufgeführt wird.

Aufwühlend, hoffend, berührend

Die beiden Homer-Bearbeiter sehen Odysseus als einen Liebenden, der kaum ankommen, geschweige denn verweilen kann. „Ein sehnsuchtsvoller Mensch und zugleich gierig. Erschreckend und liebenswert, scharfsinnig, durchtrieben und doch geprägt von Zerbrechlichkeit und Fürsorge“, so Stephan Lack.

„Mit Homer begann vor gut 3.000 Jahren die abendländische Literatur, seine Motive wie die Sirenen, der einäugige Kyklop, einzigartige Wunder- und Fabelwesen prägen bis heute unsere Vorstellungskraft. Zugleich präsentieren die Sommerspiele Melk mit Homers Odyssee einen Stoff von spürbarer Aktualität und Sprengkraft, aber auch der Phantasie und des Hoffens. Theater voll von Gefühlen, literaririscher Wucht und Poesie. Eine packende und bewegende Geschichte vor der einzigartigen Kulisse des Welterbes Stift Melk“, ist auf der Website der Sommerspiele Melk lesen.

Hauer: „Opulentes literarisches Gegenwartstheater“

Intendant Alexander Hauer sieht Melk als jenen innovativen Spielort, der im Sprechbereich große Stoffe angeht und durch die Uraufführungen auch ein literarisches Gegenwartstheater im Sommer anbieten will, das aber dennoch „süffig und opulent“ ist.

noe.ORF.at: Warum haben Sie sich für dieses Stück entschieden?

Alexander Hauer: Die Sommerspiele Melk suchen unter dem Leitmotiv „Suche und Versuchung, Macht und Ohnmacht“ nach großen Stoffen der Literatur und Mythologie. Da kommt man am prägendsten Werk der europäischen Kulturgeschichte nicht vorbei. Die „Odyssee“ spiegelt unsere Spielplangrundsätze am deutlichsten wider. Zugleich bietet sie unzählige Reflexionsmöglichkeiten für gesellschaftspolitisch relevante Fragen. Und man muss dazu sagen, sie passt auch äußerlich perfekt zu unserem Spielort.

Alexander Hauer Intendant in Melk

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Alexander Hauer

Wo sehen Sie Ihren Spielort im Gesamtauftritt des Theaterfests positioniert?

Hauer: Aus der Geschichte heraus und erst recht durch die gegenwärtige Dramaturgie sind wir sicher der Spielort, der im Sprechbereich große Stoffe angeht und durch die Uraufführungen auch ein literarisches Gegenwartstheater im Sommer anbieten will, das aber dennoch süffig und opulent ist. Ich glaube, wir haben uns da wirklich auch österreichweit als innovativer Spielort einen Namen gemacht.

Wie sehen Sie Ihren Spielort in drei Jahren? Wie wollen Sie ihn entwickeln?

Hauer: Wir versuchen immer wieder innovativ zu sein und neue Wege zu beschreiten. Das wollen wir logischerweise weitermachen. Irgendwie kann ich offenbar nicht anders. Und wir haben das Glück, auf einer guten Basis weiterarbeiten zu können. War vieles oft herausfordernd in den letzten Jahren, so konnten wir auch die Zuschauerzahlen so steigern, dass wir jetzt einer der größten Spielorte sind.

Warum glauben Sie, dass die Besucherinnen und Besucher zu Ihnen kommen? Wegen des Stücks, der Inszenierung, des Ambientes oder der Region?

Hauer: Wie so oft ist es ein Gesamtpaket. Die Kulisse mit dem Stift Melk ist natürlich einzigartig, gleichzeitig geht das Publikum unseren künstlerischen Anspruch sehr mit, es gibt einen wunderbaren Dialog mit dem Publikum. Und wir versuchen, gute Gastgeber zu sein. Das spüren und mögen unsere Gäste.

noe.ORF.at: Was ist die Botschaft des Stücks?

Hauer: Die „Odyssee“ ist voll von Assoziationen, Themen, Botschaften. Die kann man gar nicht alle aufzählen. Die „Odyssee“ ist nicht umsonst das prägendste Werk der europäischen Kulturgeschichte. Sie zeigt aber vor allem, dass alle – gleich, ob große Helden oder einfache Mägde – große Herausforderungen haben, ihren Platz im Leben suchen und dort ankommen wollen, wo sie ein Zuhause haben.

noe.ORF.at: Wie setzen Sie Ihren Spielort bzw. die Bühnenmöglichkeiten in Ihrer Inszenierung ein?

Hauer: Schon im Prolog gibt es gleichsam eine Anrufung der Götter bzw. eine Auseinandersetzung mit ihnen, Odysseus ist einer, der den Göttern die Stirn bieten will. All das passt zur Kulisse des Stiftes. Und wir spielen auf einer Halbinsel, von Wasser umgeben und haben wieder eine tolle Bühnenlandschaft als Kontrast zu Stift und Natur hingestellt. Dieses Spannungsfeld wollen wir nutzen.

noe.ORF.at: Wovor haben Sie Angst? Vor Regen, dem Publikum, kranken Hauptdarstellern, Kritikern oder als Sommertheaterregisseur bezeichnet zu werden?

Hauer: Als Verantwortlicher fiebert man bis zum letzten Spieltag, vor Krankheiten, vor Unwettern wie Hochwasser etc., aber man stellt sich in diesem Beruf immer diesen Unwägbarkeiten, da zählen Kritiken nicht dazu; das Einzige, was wirklich nervt, ist Respektlosigkeit und Oberflächlichkeit. Davor habe ich nicht Angst, aber dies ärgert mich wirklich – aber nicht nur im Theater!

Das schreibt die Kritik über die „Odyssee“

„Am Ufer der Donau wurden Container angespült. Von Graffitis überzogen, eine Rückwand durchschlagen, haben sie keine leichte Reise hinter sich. Im Gegenteil. Aus einem rutscht zwischen Rettungswesten und Lumpen ein Zerrissener, Verdreckter in die Wachauarena und fordert Gastrecht: ‚Woher kommst du?‘ - ‚Aus dem Krieg.‘ - ‚Das sagen alle!‘ Erst Kriegsverweigerer, dann Kriegsheld gegen Troja, dann Irrfahrer, ist Homers Odysseus eine der großen tragischen Figuren der Weltliteratur. ... Erfreulich gelingt den Sommerspielen Melk so ein weit ins Aktuelle greifender Abend."
Michael Wurmitzer, "Der Standard“

„Das Besondere dieser Aufführung ist nicht ihr Zuschnitt auf aktuelle Ereignisse, sondern die kluge Gesamtkomposition. Odysseus kehrt nach dem Krieg in Troja und langer Irrfahrt heim nach Ithaka. Seine größte Sehnsucht ist, sein Leben wie vorher wieder aufzunehmen. Doch das will ihm nicht gelingen, nicht nur, weil die Freier seine Frau, Penelope, und sein Haus belagern. Die Welt hat sich verändert - und auch Odysseus. ... Starker Applaus: Das schöne Wachauer-Land hat diesen Sommer wieder eine Theaterattraktion, die es mit der Konkurrenz in der Großstadt mühelos aufnahmen kann.“
Barbara Petsch, „Die Presse“

„Da ist den Sommerspielen Melk gleich zum Auftakt des Theaterfestes ein Volltreffer gelungen: Passenderes zum Zeitgeschehen als die Homer’sche Erzählung vom abenteuerlichen Heimkehrer Odysseus lässt sich kaum auf die Bühne hieven. Flüchtlinge, Fabulierer und Freier im ausweglosen Geflecht aus Tätern und Opfern, Rache und Schuld - Stephan Lack und Intendant Alexander Hauer, der auch Regie führt, haben eine stringente, vielschichtige Fassung des Mythenstoffes in einprägsamen Bildern gestaltet."
Ewald Baringer, "Niederösterreichische Nachrichten“

Sendungshinweis

„Theaterfest“, 16.6.2016

Mehr über „Odyssee“

Die Premiere von „Odyssee“ war am 16. Juni 2016. Weitere Vorstellungen sind am 24. und 25. Juni, am 1., 2., 8., 15., 23., 29. und 30. Juli sowie am 5. und 6. August. Beginn ist jeweils um 20.15 Uhr. Auch die Musikrevue „Proud Mary - Ein Schiff wird kommen“ greift Motive aus der griechischen Mythologie auf. Premiere ist am 5. Juli, weitere Aufführungen gibt es bis 14. August.

Mitwirkende: Nicki von Tempelhoff, Doris Schretzmayer, Dagmar Bernhard, Terry Chladt, Thomas Dapoz, Kajetan Dick, Batrice Fago, Valerie-Anna Gruber, Christian Preuss, Tanja Raunig, Guiseppe Rizzo, Merten Schroedter und Lena Weiss.
Intendanz und Regie: Alexander Hauer
Bühne: Daniel Sommergruber
Kostüme: Julia Klug
Musik: Boris Fiala

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