Historische Ausfahrt mit Marcus-Wagen

Siegfried Marcus war vor 150 Jahren ein Autobau-Pionier. Der Originalwagen steht im Technischen Museum und wird nicht mehr bewegt. Nun wurde im Auftrag der Marcus-Gesellschaft in Stockerau ein exakter Nachbau angefertigt.

Mehr als zehn Jahre hatten Professoren und Schüler der verschiedensten Jahrgänge der HTL Steyr im Auftrag der Siegfried-Marcus-Gesellschaft aus Stockerau an dem Nachbau getüftelt. Jede Schraube, jede Stange wurde aus Plänen oder durch Messungen am Original im Technischen Museum in Wien ermittelt und nachgeformt.

Das erste Automobil der Welt?

Nach Ansicht der Siegfried-Marcus-Gesellschaft ist der so genannte „zweite Marcus-Wagen“ aus dem Jahr 1875 das erste Automobil der Welt, doch diese Ansicht ist sehr umstritten. Andere Motorhistoriker sowie die Firma Daimler Benz datieren ihn auf das Jahr 1888/89, und somit hinter die Entwicklung des Automobils von Gottlieb Daimler.

Die Marcus-Gesellschaft argumentiert, dass bis zur Herrschaft des Dritten Reiches in allen Büchern Marcus als der Erfinder des Autos galt. Da Marcus ein Jude war, seien diese Einträge getilgt worden und Daimler die Ehre des Erfinders zuteil geworden. Das Original des zweiten Marcus-Wagens, das im Technischen Museum in Wien steht, gehört seit mehr als 100 Jahren dem ÖAMTC und wurde während des Zweiten Weltkrieges zum Schutz eingemauert.

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Erste Ausfahrt mit Marcus-Wagen

Der originalgetreue Nachbau des Marcus-Wagens absolvierte seine erste Ausfahrt. Ab Mitte Jänner kann er in Stockerau besichtigt werden.

Eine erste Ausfahrt mit dem von der HTL Steyr nachgebauten Wagen in Stockerau verlief nun relativ erfolgreich. Der Motor - das von Marcus erfundene Prinzip des „Spritzbürstenvergasers“ - brauchte enorm viel Vorbereitung, damit an einen Start, zumal bei Minus-Temperaturen, überhaupt zu denken war. Konzentriert wurde geschraubt und geölt. Die Spannung wuchs bei den Beobachtern wie vor dem Start eines Formel-1-Boliden.

Wie schnell wird der Nachbau unterwegs sein? Wie laut wird Geräusch des Motors mit seinen 0,75 Pferdestärken? Denn vorhandene Filmaufnahmen der „Wochenschau“ aus dem Jahr 1950 sind ohne Ton, als der Ingenieur Alfred Buberl in Wien mit dem originalen Marcus-Wagen rund um das Technische Museum fuhr.

Sendungshinweis

„Niederösterreich heute“, 28.12.2016

Doppelte Schrittgeschwindigkeit

Der Nachbau wurde schließlich ins Freie, auf den geräumten Parkplatz hinter dem Automobilmuseum in Stockerau, gerollt. Etliche Startversuche mit der Drehkurbel waren notwendig, bis der Motor ansprang. Dann erklang ein vielversprechendes, konstantes Nageln zwischen „Kutschbock“ und der Gastsitzbank. Nach dem Lösen der Handkupplung setzte sich der Marcus-Wagen in Bewegung und tuckerte los.

Mit etwa doppelter Schrittgeschwindigkeit legte sich der Chauffeur in die Kurve. „Es pfeift und kracht und man wird durchgeschüttelt“, schildert Philipp Malek, der Leiter des Museums seine erste Ausfahrt, „Kein Wunder, es gibt ja keine Federung und keinerlei sonstigen Komfort. Es ist die pure Form der Fortbewegung.“

Marcus Wagen bei der Ausfahrt

ORF

Die Replik des Marcus-Wagens im Automobilmuseum Stockerau

Obwohl die Fahrt nach zwei halben Runden wegen der winterlichen Temperaturen abgebrochen werden musste, ist Fritz Nagl, der Präsident der Marcus-Gesellschaft, zufrieden. „Nun ist der Beweis erbracht, dass der Wagen auch bei Minus-Temperaturen fahren kann“, lautete sein Fazit. Der Nachbau aus Stockerau ist ab Anfang Jänner auf einigen Austellungen im Ausland unterwegs und kann ab Mitte des Monats in Stockerau besichtigt werden.

Hannes Steindl, noe.ORF.at

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