Menasse: „Werden vor Trümmerhaufen stehen“

Robert Menasse, der Gewinner des Deutschen Buchpreises, hat am Donnerstag in Krems aus seinem Roman „Die Hauptstadt“ gelesen. Im Gespräch mit noe.ORF.at. spricht er über Europa, den Rechtsruck und dessen Auswirkungen.

Es war die erste Lesung des Wahl-Niederösterreichers seit der Preisverleihung. Die Veranstaltung im unabhängigen Literaturhaus Krems war ausverkauft. Im Interview mit noe.ORF.at begründete der Romanautor die Wahl seines Themas für sein preisgekröntes Buch „Die Hauptstadt“. Es gäbe dafür sehr gute, triftige Gründe, wie er sagte.

Robert Menasse

Rafaela Präll

In seinem neuen Roman „Die Hauptstadt“ setzt sich Menasse kritisch und pointiert mit der Brüsseler Bürokratie auseinander

noe.ORF.at: Herr Menasse, viele fragten sich, wie man eine Institution, ein System zum Gegenstand einer Erzählung machen kann. Wie lässt sich die Brüsseler Bürokratie erzählen und vor allem, was hat Sie daran interessiert?

Robert Menasse: Was mich fasziniert hat: Zum ersten Mal in der Geschichte werden in einer Stadt die Rahmenbedingungen für einen ganzen Kontinent gemacht. Man muss sich nur einmal diesen Satz vorsagen und versuchen zu verstehen, welche Bedeutung das hat. Es geht in kleinen Schritten voran, als Anspruch stehen dabei die Rahmenbedingungen für einen ganzen Kontinent im Fokus. Das ist eine schleichende Revolution.

noe.ORF.at: Vier Jahre lang haben Sie sich in Brüssel umgehört, haben dort gelebt, sind in die Welt der Beamten eingetaucht. Das alles haben Sie mit Ironie, Witz und Sarkasmus beschrieben - ein vielschichtiges Bild von Brüssel. Welche Schlüsse ziehen aus dem Erlebten?

Menasse: Ich weiß heute, dass es dumm ist die EU zu verteufeln, aber es ist auch dumm, sie schön zu reden. Man muss die Idee verteidigen und die gegenwärtigen politischen Akteure und die gegenwärtige Form, wie Europapolitik gemacht wird, kritisieren, und zwar unnachgiebig kritisieren.

Menasse

ORF

noe.ORF.at: In Europa ist ein Rechtsruck festzustellen, macht Ihnen das Angst?

Menasse: Es wundert mich nicht, dass das so passiert, weil die Menschen sehen die EU und sehen, es funktioniert nicht. Sie verstehen aber nicht, dass die EU deshalb nicht funktioniert, weil die Nationalstaaten immer ein Veto einlegen. Dann sehen sie riesige Probleme durch die Globalisierung, durch die Migrationsbewegungen, durch die Fluchtbewegungen der Menschen. Sie fürchten sich und sagen „Grenzen dicht“.

Wir müssen das ganz dringend national lösen. Das geht aber nicht und so wird die Spirale immer mehr beschleunigt, die Politik rückt immer mehr nach rechts, die Nationalisten werden immer stärker bis wir wieder vor einem Trümmerhaufen stehen. Es wundert mich nicht.

noe.ORF.at: Sehen Sie nur diese Möglichkeit einer Entwicklung in der Europäischen Union als denkbar oder gibt es nicht auch eine positive Perspektive?

Menasse: Man darf auch nicht zu pessimistisch sein, denn es gibt ja auch sehr viele aufgeklärte, engagierte, Empathie begabte Demokraten im besten Sinn und eine aufgeklärte Zivilgesellschaft. Entscheidend wird sein, wie sich in nächster Zeit das Kräfteverhältnis entwickelt.

noe.ORF.at: Sie sammeln, wie sie sagen, mit Leidenschaft Eindrücke, egal wo Sie sind. Gibt es auch Orte, an die Sie sich gerne zurückziehen, wo Sie dann sozusagen all das, was Sie beschäftigt, verarbeiten können?

Menasse: Meine Familie mütterlicherseits kommt aus dem nördlichen Waldviertel. Dorthin ziehe sich mich zum Schreiben immer wieder zurück. Ich habe das Haus meiner Großmutter adaptiert. Da bin sich sehr, sehr gerne und schreibe dort und kann dort auch das empfinden, was man Heimatgefühl nennt.

Otto Stangel, noe.ORF.at

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