Kultur

Die „österreichische Seele“ in Reichenau

Mit einer Dramatisierung von Werfels „Eine Blassblaue Frauenschrift“ sind die Festspiele Reichenau am Montag in die neue Saison gestartet. In dem Stück wird die „österreichische Seele“ analysiert. Zuvor wurde Abschied vom kürzlich verstorbenen Peter Matic genommen.

In einer Gedenkansprache vor dem Premierenpublikum erinnerte sich das Intendantenehepaar Loidolt an Matic: „Sein plötzlicher Tod am Abend nach einer Probe hier auf dieser Bühne hat uns alle, die wir ihn über Jahre schätzten, sehr betroffen“, schilderte Peter Loidolt.

Seine Frau Renate ergänzte: „Peter Matic hat sei 1996 fast jeden Sommer bei den Festspielen Reichenau mitgewirkt. In vielen großen Rollen hat er sein Publikum begeistert. Auch in diesem Stück wäre er als Minister Spittelberger dabei gewesen.“ Doch das Leben gehe weiter und das Publikum solle dennoch versuchen, diesen und die weiteren Abende zu genießen, denn „Peter Matic hätte das sicher so gewollt“, sagte Renate Loidolt auf der Bühne.

Szenenfoto aus „Blassblaue Frauenschrift“ mit Peter Matic
Festspiele Reichenau, Foto: Dimo Dimov
Peter Matic (Mitte) mit Joseph Lorenz (l.) und Peter Moucka bei einer Probe in Reichenau kurz vor seinem Tod

Bei dem Auftakt des Premierenreigens handelte es sich um eine Dramatisierung von Franz Werfels Novelle „Eine blassblaue Frauenschrift“ – zum bereits zweiten Mal in Reichenau. Der österreichische Spitzenbeamte Leonidas steht darin im Mittelpunkt. Verheiratet mit seiner Frau Amelie, wird er plötzlich mit seiner ehemaligen Geliebten Vera Wormser konfrontiert, die er 18 Jahre zuvor verlassen hatte. Leonidas muss sich daraufhin auch der Frage stellen, wie er mit einem Sohn, von dessen Existenz er nie wusste, umgehen kann.

Historischer Stoff

Trotz der persönlichen Schicksale ist die Handlung der „blassblauen Frauenschrift“ eine höchst politische. Sie beschäftigt sich mit dunklen Aspekten der österreichischen Geschichte. Franz Werfel veröffentlichte den Text 1940 im Exil und verarbeitete darin Ständestaat und Nationalsozialismus. So wird Vera Wormser als Jüdin zunehmend ausgegrenzt und verfolgt.

Es sei schwer, Literatur zu dramatisieren, sagt Hauptdarsteller Joseph Lorenz, denn „Sätze auf Personen zu verteilen ist nicht immer Theater“. Für den Autor des Ursprungswerks findet er nur Bewunderung: „Werfel ist einer der Dichter – man kippt hinein in das Buch und es ist immer von einer unglaublichen Delikatesse und mit einer unheimlichen Wucht geschrieben. Das ist einfach hervorragende Weltliteratur.“

Szenenfotos 2019 Joseph Lorenz und Stefanie Dvorak
Festspiele Reichenau, Foto: Dimo Dimov
Leonidas (Joseph Lorenz) liest den Brief von Vera Wormser (Stefanie Dvorak)

Für Regisseur Julian Pölsler war es wichtig, in der Hauptrolle des Leonidas eine „österreichische Seele“ herauszuarbeiten. So zeige sich bei ihm, „dass er sich nach dem Wind dreht und dabei immer charmant bleibt. Er zeigt immer so etwas wie Haltung, auch wenn die Haltung innerlich nicht vorhanden ist“, erklärt Pölsler.

Abgesehen von dem politischen Aspekt sei die Geschichte „auch alleine aus dem Zwischenmenschlichen heraus aktuell“, sagt Burgschauspielerin Stefanie Dvorak, die in Reichenau die Rolle der Vera Wormser übernimmt. „Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen es derzeit gibt, die verlassen werden.“

Weitere Premieren folgen

Einen Tag nach dem Auftakt am Montag geht es in Reichenau bereits mit der nächsten Premiere weiter. Iwan Turgenjews „Ein Monat auf dem Lande“, eine Komödie in fünf Akten, wird am Dienstag erstmals zu sehen sein. Am Mittwoch und Donnerstag folgen dann die Premieren von „Der Ruf des Lebens“ (Arthur Schnitzler) sowie „Die Schönen und Verdammten“ (F. Scott Fitzgerald).