Politik

Der „weiblichste“ Gemeinderat

In Niederösterreich ist die Mehrheit der Wahlberechtigten weiblich, die große Mehrheit der Gemeinderäte aber männlich. Anders ist das nur in wenigen Orten. In Günselsdorf (Bezirk Baden) etwa sind zwölf von 19 Gemeinderatsmandaten weiblich besetzt. Der Bürgermeister ist allerdings ein Mann.

Dass die Mehrheit in der Minderheit ist, war in der 1.800-Einwohner-Gemeinde Günselsdorf vor einem Jahr auch noch der Fall. Im März 2019 schieden drei Männer jedoch aus dem Gemeinderat aus – zwei aus Altersgründen, einer war verstorben –, drei Frauen rückten an ihrer Stelle nach. „Die drei Frauen waren die nächstgereihten Kandidatinnen auf der Liste, die 2015 so aufgestellt war. Daher sind sie in den Gemeinderat eingezogen“, sagt Bürgermeister Alfred Artmäuer (SPÖ), der bei der Wahl am 26. Jänner wieder als Spitzenkandidat antritt.

„Frauen tun sich mit Kommunikation leichter“

Die Politik in Günselsdorf ist seit März somit so weiblich wie kaum in einer anderen Gemeinde. „Ich glaube, dass Frauen mehr Empathie aufbringen, sich die Leute anhören, Lösungen anbieten und versuchen zu helfen. Das ist bei Frauen sicherlich ausgeprägter als bei Männern“, sagt Vizebürgermeisterin Elisabeth Roggenland (SPÖ). „Ich glaube, dass sich Frauen mit der Kommunikation, mit der Diskussion und damit, Probleme anzusprechen, leichter tun“, so Beatrix Schmidt (SPÖ), seit 2018 geschäftsführende Gemeinderätin in Günselsdorf.

Eine weibliche Mehrheit ist aber auch für den kleinen Ort neu. 1987 – damals gehörte man noch zur Großgemeinde Steinfelden – war nur eine Frau im Gemeinderat vertreten. Im Jahr 2000 waren es immerhin schon drei, darunter auch die heutige Vizebürgermeisterin. Seit März 2019 engagieren sich zwölf Frauen im Günselsdorfer Gemeinderat. „Wir arbeiten seit Jahren gut miteinander, die Beschlüsse fallen nahezu einstimmig“, so Bürgermeister Alfred Artmäuer. „Viele Arbeitsausschüsse werden von Frauen geführt, das funktioniert blendend.“

Gemeinderat in Günselsdorf
ORF/Thomas Koppensteiner
Gemeinderat Harald Hubi, Bürgermeister Alfred Artmäuer, Vizebürgermeisterin Elisabeth Roggenland und Gemeinderätin Beatrix Schmidt (v.l.)

Als der Gemeinderat noch männerdominiert war, hat es laut Harald Hubi, dem geschäftsführende Gemeinderat von der ÖVP-nahen Liste „Unser Günselsdorf“, oft „hitzige Diskussionen“ gegeben. „In einer kleinen Ortschaft, wo man jeden kennt, gehen manchmal schon die Emotionen hoch.“ Mit der Mehrheit der Frauen habe sich das aber geändert. „Man merkt das schon in der Gesprächskultur. Es geht gediegener zu. Man merkt, dass mehr Frauen im Gemeinderat sind“, sagt Hubi.

Auch Wahlplakate werden weiblicher

Immer weiblicher werden in Günselsdorf auch die Wahlplakate. Der Bürgermeister wirbt gemeinsam mit seiner Vizebürgermeisterin für die SPÖ-nahe Liste um Stimmen. „Das hat Tradition, das machen wir schon bei der dritten Wahl so. Scherzhaft werden wir oft auch als Trachtenpärchen von Almdudler bezeichnet“, sagt Artmäuer. Die ÖVP-nahe Liste hat sich für die Wahl am 26. Jänner ganz bewusst für eine Frau an der Spitze entschieden. Sabine Zöchling wird auf den Plakaten als „Bürgermeister-Kandidatin“ bezeichnet. „Das hat nichts mit einem Trend zu tun“, sagt Hubi. „Ein Mann hat oft Kommunikationsprobleme, eine Dame ist oft kooperativer und diskussionsfähiger.“

Sendungshinweis

„NÖ heute“, 18.1.2020

Dennoch: Seit 1945 gab es in Günselsdorf sieben Bürgermeister – alle sieben waren und sind Männer. „Warum der Mann ein Bürgermeister ist, das ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit“, sagt der aktuelle Bürgermeister, Alfred Artmäuer, der nach der Wahl am 26. Jänner aber jedenfalls weitermachen möchte. „Meine Vermutung ist, dass das Bürgermeisteramt mit sehr viel Verantwortung verbunden ist“, so Vizebürgermeisterin Elisabeth Roggenland. „Der Bürgermeister steht mit einem Fuß im Kriminal, das wird oft zu wenig geschätzt. Frauen haben ein bisschen eine Scheu davor.“

Bis zur ersten Bürgermeisterin in Günselsdorf könnte es jedenfalls noch etwas dauern. Die SPÖ-nahe Bürgermeister-Liste hält derzeit 16 Mandate im Gemeinderat, die ÖVP-Liste drei. Der Anteil von Frauen im Gemeinderat könnte jedoch steigen. Mehr als 50 Prozent der Personen auf der SPÖ-nahen Liste sind weiblich, auf der ÖVP-nahen Liste beträgt der Anteil der Frauen etwas mehr als 30 Prozent.