Martina Leibovici Mühlberger im Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein
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Gesundheit

Leibovici-Mühlberger sieht CoV als Chance

Die bekannte Ärztin und Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger sieht in der Coronavirus-Krise „eine ganz besondere Aufforderung zum Aufbruch für uns alle“, sagt sie im Gespräch mit noe.ORF.at. In „Ganz persönlich“ erzählt die vierfache Mutter auch, wie sie selbst diese Zeit erlebt.

Martina Leibovici-Mühlberger ist Mutter von vier Kindern, praktische Ärztin, Gynäkologin, Ärztin für Psychosomatik, Erziehungscoach und Autorin. Ihre Kindheit verbrachte die Wienerin oft bei ihren Verwandten in Korneuburg. Vor kurzem erschien ihr Buch „Startklar. Aufbruch in die Welt nach Covid-19“. Sie beschreibt darin, was die Krise mit uns macht, wie wir ihr begegnen können und unsere Welt dadurch sogar besser werden könnte.

noe.ORF.at: Martina Leibovici-Mühlberger, angesichts der Krise sind wohl viele eher ängstlich oder verunsichert, wie es weitergehen wird. Sind Sie in Aufbruchsstimmung?

Martina Leibovici-Mühlberger: Ja, ich bin in Aufbruchstimmung, aber ich weiß nicht, ob ich repräsentativ bin. Aufbruch und Veränderung ist mein Lebensmotto. Covid19 war eine ganz besondere Aufforderung zum Aufbruch für uns alle.

noe.ORF.at: Sie sagen, wir stehen an einer Weggabelung. Unsere Gesellschaft müsse sich nun entscheiden, in welche Richtung es gehen soll. Wie schauen denn diese Wege aus?

Leibovici-Mühlberger: Wenn wir uns die Auswirkungen von Covid19 gesellschaftlich und wirtschaftlich anschauen, so ist das ein schweres Desaster. Das Virus kann jederzeit wiederkommen, es kann mutieren, es kann sich auf andere Organe schlagen als bisher angenommen. Das bedeutet, wir brauchen eine Lösung. Wie gehen wir also damit um? Es gibt letztendlich zwei Reaktionswege: Der eine geht in Richtung Kontrolle. Am besten wäre es dann, man pflanzt den Menschen einen Chip ein. Was folgt ist die totale Kontrolle um den Preis der Bürgerrechte. Mir graut vor so einer Gesellschaft. Ich plädiere daher für den zweiten Weg. Was uns als Gesellschaft so erfolgreich gemacht hat, ist die komplexe Gemeinschaftsfähigkeit und die Tatsache, dass wir radikal soziale Wesen sind und gemeinsam komplexe Probleme lösen können – und zwar besonders unter Druck. Ich glaube, da haben wir gute Karten.

noe.ORF.at: Sie haben vier Kinder zwischen 13 und 29 Jahren. Zwei ihrer Töchter wohnen nicht mit Ihnen in einem Haushalt. Wie haben Sie die letzten Wochen erlebt?

Leibovici-Mühlberger: Ja, das war ganz lustig, denn meine beiden älteren Töchter wohnen in London. Meine älteste Tochter hat dort eine Medienagentur, meine zweitälteste studiert in London Jus. Beide sind mit dem letzten Flieger nach Wien gekommen, weil sie gesagt haben: „Mama, wir wollen zuhause bei dir sein.“ Sie haben sich dann eine Wohnung ganz in der Nähe meiner Wohnung genommen. Am Anfang dieser Zeit der Selbstquarantäne hatten wir dann das lustige Phänomen, dass sie jeden Tag gekommen sind. Wir, mein Sohn und meine dritte Tochter, sind auf der einen Straßenseite gestanden, meine beiden großen Töchter auf der anderen Straßenseite und dann haben wir uns angenähert und haben mit Abstand Picknick auf der Straße gemacht.

Martina Leibovici Mühlberger
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Martina Leibovici-Mühlberger war zu Gast bei „Ganz Persönlich“ in „NÖ heute“

noe.ORF.at: Wie ist es Ihnen denn gegangen ohne Berührung?

Leibovici-Mühlberger: Das ist eine ganz wichtige Frage, die ich eigentlich gern jedem stellen möchte. Wir waren Teil einer gigantischen Feldforschung, die da gelautet hat: Isoliere Menschen und schick sie in ihre Hütten und lass sie möglichst wenig raus und schau was passiert. Ich glaube, nach meiner begrenzten Feldforschung, die ich betrieben habe, denn ich habe meine Freunde und Mitmenschen gefragt, was ihnen am meisten abgegangen ist, hat sich gezeigt: Es waren die Berührungen. Viele haben gesagt, sie haben die Freunde vermisst, dass sie ihre Familie nicht treffen konnten und dass sie niemanden umarmen konnten. So ist es mir auch ergangen. Das hat sich ganz, ganz, ganz deutlich gezeigt.

noe.ORF.at: Sie sind ja auch Erziehungscoach. Wie ist es Ihnen mit dem Heimunterricht gegangen?

Leibovici-Mühlberger: Ich muss sagen, ich hatte damit überhaupt nichts zu tun, weil das die Schule so großartig organisiert hat. Das wurde perfekt gemacht. Die Stunden waren sehr gut durchstrukturiert. Aber das hat natürlich nichts daran geändert, dass es meine Tochter als Zumutung empfunden hat, weil sie ihre Freunde nicht sehen konnte. Aber im Allgemeinen hat es gezeigt, dass wir nicht vorbereitet sind. Viele Schulen haben Einsatz gezeigt, viele waren aber auch sehr bequem. Diese Inhomogenität finde ich skandalös, auch dass es keine klaren Umsetzungsrichtlinien gab. Das ist nicht „Rocket Science“. Für die Eltern war es auch eine gute Anschauungssituation, dass der wirkliche Pädagoge keinen 20 Stunden-Vormittagsjob hat, sondern dass da viel mehr dahinter ist.

noe.ORF.at: Können Sie persönlich etwas aus der Krise mitnehmen?

Leibovici-Mühlberger: Ich habe die Lehre gezogen, die Dinge langsamer anzugehen. Auch, dass ich mir in Zukunft mehr Zeit nehmen will und zwar für die Menschen, die mir wirklich wichtig sind. Möglicherweise bedeutet das auch, den Kreis der Menschen in einem Leben einzuschränken.

noe.ORF.at: Was wird denn Ihre Bilanz in drei Jahren sein?

Leibovici-Mühlberger: Das ist sehr schwer zu sagen, aber wenn wir es schaffen, den zweiten Weg zu gehen, dann wird meine Bilanz sein, dass es schrecklich für die gesamte Welt war. Es hat viel Leid gebracht, aber wir haben Lehren daraus gezogen und es ist besser geworden. Wenn wir allerdings im Herbst die zweite Welle haben, Panik bei den Menschen ausbricht und die Politik nicht weiß, wie sie sich zwischen Gesundheit und Wirtschaft winden und drehen soll, dann schaut das schon ganz anders aus. Aber ich bin zuversichtlich. Ich hoffe, dass es gut geht.