100 Jahre NÖ Korneuburger Eid Diktatur Heimwehren
Museumsverein Korneuburg
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„100 Jahre NÖ“

Korneuburger Eid ebnet Weg in die Diktatur

Die politische Lage in Österreich spitzt sich Ende der 1920er-Jahre zu. Der Korneuburger Eid sollte im Mai 1930 eigentlich die Heimwehr-Bewegung einen. Stattdessen ebnete das Gelöbnis den Weg in die Diktatur, der laut Historiker aber „keine Einbahnstraße“ war.

Vor allem in Niederösterreich waren die Heimwehren lange Zeit „politisch kein dominierender Faktor“, erzählt der Leiter der Zeitgeschichteabteilung des Niederösterreichischen Landesarchivs, Stefan Eminger. Das lag zum einen an wichtigen Funktionären im Bauernbund, die mit den Heimwehren nichts anzufangen wussten, viele waren sogar Gegner und sahen darin nur Unruhestifter, erklärt der Historiker.

Zum anderen wollte man in Niederösterreich keine paramilitärischen Organisationen, wie es etwa in Tirol der Fall war. Dort hatten sich süddeutsche Freikorps und Heimwehrbewegungen schon ab den frühen 1920er-Jahren gegenseitig unterstützt. „Das wollte man in Niederösterreich nicht bzw. war das Konfliktpotenzial nicht so groß“, so Eminger.

Heimwehr-Boom nach Justizpalastbrand

Doch das ändert sich ab 1927 – mit dem Brand des Wiener Justizpalastes, der von Sozialisten als Folge der sogenannten Schattendorfer Urteile angezündet wurde. Daraufhin spitzt sich die politische Lage in Österreich zu. Es bilden sich zunehmend neue Heimwehrgruppen, Christlichsoziale und Deutschnationale rückten enger zusammen, „weil man vor den Sozialisten Angst hatte“, sagt Eminger.

In ihrem Linzer Programm hatten die Sozialdemokraten bewusst wehrhaft festgehalten, die Republik gegen eventuelle Versuche einer faschistischen oder monarchistischen Gegenrevolution notfalls auch mit Gewalt zu verteidigen. Beide Lager meinen, gemeinsam gegen den roten Schutzbund kämpfen zu müssen, dem unterstellt wird, einen Umsturz vorzubereiten. „Das ist natürlich von den Christlichsozialen auch nach Kräften geschürt worden.“

Klares faschistisches Konzept

Doch es kommt zwischen den Heimwehren zu Unstimmigkeiten. Eminger beschreibt sie als „inhomogen, zersplittert, zerstritten“. Um länger anhaltende Richtungsstreitigkeiten innerhalb der antimarxistischen Wehrverbände zu beenden, sucht der damalige Bundesführer Richard Steidle mit einem klaren faschistischen Konzept die konkurrierenden Gruppen zu einen. Nach außen sollte gleichzeitig ein eindeutiges politisches Profil transportiert werden.

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Etwa 52.000 Mitglieder der Heimwehren nahmen im Mai 1930 bei der Versammlung in Korneuburg teil

Zugleich will man damit einzelne Heimwehrführer wie Julius Raab, zugleich Landesführer der niederösterreichischen Heimwehr und prominentes Mitglied der Christlichsozialen Partei, zur Entscheidung nötigen, sich entweder gänzlich der Heimwehr oder aber seiner Partei zu unterstellen. Auf diese Weise sollte auch ein seit längerer Zeit schwelender Richtungsstreit innerhalb des Heimatschutzverbandes Niederösterreich beigelegt werden.

Absage an Demokratie und Parlament

Die Verlesung des Korneuburger Eids erfolgt am 18. Mai 1930 anlässlich einer Generalversammlung des Heimatschutzverbandes Niederösterreich, der Landesorganisation der Heimwehrbewegung. Während eines Tumults unter den anwesenden Delegierten verschafft sich Steidle durch ein Hornsignal Gehör, hält eine kurze Ansprache, zieht anschließend einen Zettel aus der Tasche und verliest jene Sätze, die bald nur mehr als Korneuburger Eid bezeichnet wurden.

In diesem Eid heißt es, dass man „den demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat“ verwerfe und „an seine Stelle die Selbstverwaltung der Stände“ setzen und eine starke Staatsführung „aus den fähigsten und den bewährtesten Männern“ bilden wolle. Das Wort Faschismus kommt zwar nicht vor, „aber es geht eindeutig in die Richtung, und viele Heimwehrgruppen definieren sich auch als faschistische Gruppierungen“, stellt Eminger klar.

Die Heimwehren hatten laut Eminger von Beginn an zwei große Ziele: die völlige Ausschaltung der Sozialdemokratie sowie die Abschaffung der Demokratie und die Ersetzung durch einen „wie auch immer ausschauenden“ Ständestaat. Diese Demokratiefeindlichkeit sei ein Merkmal der Heimwehren gewesen, die ab 1918 immer stärker vom italienischen Diktator Benito Mussolini unterstützt wurden. Kritik an der Demokratie sei aber generell „ein Symptom der Zeit“ gewesen, sagt Eminger, die auch innerhalb der christlichsozialen Partei von Führungspersonen wie Ignaz Seipel immer wieder aufkam.

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Angesichts des stürmischen Beifalls der in Korneuburg Anwesenden legt Raab noch an Ort und Stelle vor Steidle den Eid ab. Seinem Beispiel folgen nun die übrigen Delegierten, darunter auch einige andere Abgeordnete der Christlichsozialen Partei und solche der Großdeutschen Volkspartei. Dieser Eid führt daraufhin auch zu heftigen Diskussionen im Landtag mit den Sozialdemokraten.

„Führende Abgeordnete für Faschismus“

„Das war aber noch keine Einbahnstraße in ein autoritäres System bzw. die Diktatur“, analysiert Eminger. Denn in der Bundesregierung, den Parteien und der Presse führt der Eid überwiegend zu Skepsis und Ablehnung. „Heimwehrprogramm: 100-prozentiger Faschismus“ titelt damals die eher kritisch eingestellte „Arbeiter-Zeitung“. Doch auch die „Freiheit“ schreibt: „Führende Abgeordnete gegen Abrüstung und für Faschismus“.

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anno/Der Abend
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Und sogar innerhalb der Heimwehrbewegung ist das Gelöbnis umstritten und führt zu Spaltungen. „Der Korneuburger Eid war das letzte Tröpfchen, das die Heimwehren zerbrechen hat lassen.“ Die christlichsozialen Heimwehrangehörigen, allen voran Julius Raab, unterteilen in eine christlichsoziale Heimwehr, die sich eng an Partei anschloss und einen anderen Teil, dem Heimatschutz, mit dem „wir nichts mehr zu tun haben wollen“, schildert der Historiker.

Anfang der 1930er-Jahre gibt es in Niederösterreich sogar vier Gruppierungen der Heimwehr-Bewegung. Doch die kleineren rund um den Heimatschutz wechseln schon bald ins Lager der Nationalsozialisten. Innerhalb der Raab-Heimwehr sei der Korneuburger Eid nicht mehr angesprochen worden. Dennoch läutet das Jahr 1930 in Österreich eine Radikalisierung der Heimwehrbewegung und des mit ihr sympathisierenden bürgerlichen Lagers ein.

Der „Bürger-Block“ zerbricht

Spätestens 1932 fallen auch die „Bürger-Block-Regierungen“ zwischen Großdeutschen, Landbund und den Christlichsozialen als weitaus stärkste Partei auseinander. Bis dahin hatten diese bürgerlichen Parteien seit Bestehen der Ersten Republik durchgehend die Regierung gestellt. Doch 1932 hatte die Großdeutsche Partei so viel Zuspruch verloren, dass sie den „Bürger-Block“ verließen.

Die Christlichsozialen müssen somit eine neue Mehrheit finden. Unter Bundeskanzler Carl Vaugoin, einem Niederösterreicher, gab es bereits zuvor eine Phase der Koalition mit den Heimwehren, die allerdings nicht lange hielt, „weil der Widerstand innerhalb der eigenen Partei zu groß war.“ Nachfolger Karl Buresch – ebenfalls aus Niederösterreich – will auf die Heimwehren verzichten und stellt stattdessen ein Minderheitenkabinett zusammen, doch auch er scheitert bald.

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Bibliothèque nationale de France via Wikimedia Commons
Die neue österreichische Regierung unter Karl Buresch (1932): in der ersten Reihe (v.l.) Vaugoin, Winkler, Buresch, Weidenhoffer, Heinl, in der zweiten Reihe (v.l.) Dollfuß, Schuschnigg, Czermak, Resch

Dollfuß koaliert mit Heimwehren

Daraufhin kommt ein dritter Niederösterreicher, Engelbert Dollfuß, zum Zug. Der bisherige Landwirtschaftsminister holt die Heimwehren erneut in die Regierung und bringt eine Mehrheit zustande. „Am Anfang war Dollfuß wohl noch nicht entschlossen, den autoritären Weg in die Diktatur zu gehen, aber im Laufe der Zeit, spätestens seit Regierungsantritt, entwickelte er sich immer mehr in diese Richtung“, sagt der Zeithistoriker Eminger.

Sendungshinweis

„NÖ heute“, 28.1.2022

Zudem lehnt sich Dollfuß zunehmend an Mussolini an, der die Ausschaltung der Sozialdemokratie immer befürwortet hatte, genauso wie Dollfuß’ Koalitionspartner, die Heimwehren. Der Landbund ist zwar ein weiterer Koalitionspartner, sei aber immer mehr an die Wand gedrückt worden und schließlich ganz aus der Regierung gefallen.

Anfang 1933 gelingt Adolf Hitler in Deutschland die Machtübernahme. Das gibt den einheimischen Nazis Auftrieb, die bereits bei den Landtagswahlen 1932 einen enormen Wahlerfolg feiern konnten. Gleichzeitig erreicht die Weltwirtschaftskrise ihren Höhepunkt, „mit einer Massenarbeitslosigkeit, die man sich gar nicht vorstellen kann“, skizziert Eminger die Gründe für die autoritäre Entwicklung.

Autoritärer Ständestaat

Von Machterhalt und Mussolini getrieben nutzen die Christlichsozialen im März 1933 eine Geschäftsordnungspanne des Nationalrates zu einem schleichenden Staatstreich, um mit einem klaren Verfassungsbruch den "autoritären Ständestaat“ zu etablieren. Zuvor war es bei der Nationalratssitzung am 4. März zu Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung gekommen.

Eine Debatte über die Geschäftsordnung führt schließlich zum Rücktritt der drei Parlamentspräsidenten und damit zur Beschlussunfähigkeit des Nationalrats. Die Wiederaufnahme der Sitzung wenige Tage später wird nicht erlaubt, in der Folge werden auch der Republikanische Schutzbund und die Kommunistische Partei aufgelöst.

Dollfuß verkündet am 11. September 1933 auf dem Trabrennplatz in Wien anlässlich des Deutschen Katholikentages als Ziel die Errichtung eines „sozialen, christlichen, deutschen Staates Österreich auf ständischer Grundlage und starker autoritärer Führung“. Österreich gliedert sich damit in ein in Europa bereits weit verbreitetes, autoritäres System ein, erzählt Eminger.

Nur gut drei Jahres nach dem Korneuburger Eid waren die Ziele also erreicht. Doch dabei blieb es nicht. In der Folgezeit gipfelte die zunehmende Polarisierung der politischen Lager schließlich in den Februarkämpfen des Jahres 1934, im Austrofaschismus und letztlich im Verlust der Souveränität Österreichs im März 1938.