100 Jahre NÖ Nationalsozialisten Wahlen Krems Waldviertel
Archiv Robert Streibel
Archiv Robert Streibel
„100 Jahre NÖ“

Krems, die Hochburg der Nationalsozialisten

Krems ist mit dem Aufstieg der NSDAP von Beginn an eng verflochten gewesen. Die Stadt galt seit den 1920er-Jahren als Hochburg der Nazis, war sogar Gauhauptstadt. Gleichzeitig war Krems Schauplatz eines tödlichen Attentats, das 1933 zum Verbot der NSDAP führte.

„Krems ist in vielerlei Hinsicht historischer Boden“, erklärt der Historiker Robert Streibel, der sich in den vergangenen Jahren im Auftrag der Stadt mehrfach mit der Geschichte befasst hat. Zum einen war die Wachau Durchzugsgebiet der Nibelungen, „die als wirklich deutsch eingestuft wurde. Das hat dazu beigetragen, dass sich diese Gruppen dort sehr heimisch gefühlt haben“. Zudem war Krems immer schon eine Schulstadt und ein Zentrum eines Bürgertums.

Bereits 1887 fand in Krems ein Gauturnfest statt, bei dem etwa auch der Arierparagraph zur Anwendung kommen sollte, erzählt Streibel. Zudem sei es dabei bereits zu antisemitischen Übergriffen sowie Beschimpfungen gekommen. Trotzdem fühlten sich damals noch viele Juden, vor allem aus Böhmen, dem Deutschnationalen zugehörig, weshalb sie in deutschen Turnverein akzeptiert wurden.

Böse Beuge der Donau, bei Gottsdorf/Persenbeug
Die Wachau – als Durchzugsort der Nibelungen – war für Deutschnationale laut Historikern schon immer „heimischer Boden“

Schönerer, der Rassenantisemit

Doch gerade der Antisemitismus fasst in Krems bzw. generell im Waldviertel schon sehr früh Fuß. Das leitet sich laut Stefan Eminger, dem Leiter des Referats Zeitgeschichte im Niederösterreichischen Landesarchiv, aus dem Erbe von Georg Ritter von Schönerer (österreichischer Gutsherr und Politiker, Anm.) ab, der schon zu Ende des 19. Jahrhunderts im Waldviertel seine Hausmacht „als Rassenantisemit“ hatte, „und der Rassenantisemitismus war einer der tragenden Säulen der Nationalsozialisten aller Prägungen.“

Georg Ritter von Schönerer,
Österreichische Nationalbibliothek
Georg Ritter von Schönerer (1842-1921)

Das zeigte sich zunächst auch in Krems, wo die späteren Nationalsozialisten zwar auf verschiedene deutsch-nationale Gruppen aufgesplittert waren, durch den „kulturellen Background“ aber geeint waren, ergänzt Streibel. Politisch spielten sie damals noch keine Rolle. Zu Beginn der Ersten Republik waren die Nationalsozialisten „eigentlich so klein wie eine Sekte“, ergänzt Eminger.

NSDAP: Keine Partei „von Hitler’schem Zuschnitt“

Die Wurzeln der NSDAP in Niederösterreich finden sich in der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (DNSAP), „die noch keine Partei von Hitler’schem Zuschnitt war, sondern ihre Anführer noch in internen Wahlen gewählt hat“, erklärt Eminger. Bei den Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung im Februar 1919 erreichte sie in Niederösterreich 2.695 Stimmen. Ein Jahr später – bei der Nationalratswahl 1920 – kam sie auf 9.934 Stimmen.

Bereits in den frühen 1920er-Jahren trat die NSDAP auch in Krems bei Wahlen an, wobei sich der Zuspruch – vor allem wegen der großen Konkurrenz – in Grenzen hielt. Bereits 1922 war Adolf Hitler auch bei einer Veranstaltung in Krems zu Gast, trat dort aber nicht als Redner auf. Trotzdem bezeichnete der spätere NSDAP-Gauleiter Josef Leopold den Besuch als „entscheidendes Ereignis“, weshalb sich die NSDAP so früh gebildet habe.

Maria Langegg hatte den ersten Nazi-Bürgermeister

Einen ersten Erfolg feiern die Nazis bei den Gemeinderatswahlen 1924 in Maria Langegg, heute eine Katastralgemeinde von Bergern (Bezirk Krems), wo man den ersten Bürgermeister stellte. Laut Eminger seien die Vertreter damals eher dem gemäßigten Lager rund um „den Hitler-kritischen“ Karl Schulz zuzuordnen gewesen, „wo zumindest noch wichtige Reste einer demokratischen Grundhaltung Platz hatten“, im Gegensatz zur Hitlerbewegung.

Doch langsam gelingt es der deutschen NSDAP, in den folgenden Jahren immer mehr Einfluss auf die österreichischen Nationalsozialisten zu bekommen. 1926 teilt sich die nationalsozialistische Bewegung in die Schulz-Gruppe, die vor allem im Raum St. Pölten stark war, und die radikalere Kremser Clique auf, welche sich in weiterer Folge Hitlerbewegung nennt und sich der deutschen NSDAP angliedert. „Anfangs machte sie noch wenig von sich zu reden, außer durch Aufmärsche und tätliche Übergriffe.“

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Stadtarchiv Krems
Flyer vom Gautag 1930 in Krems

Kurzfristig treten beide Gruppierungen als NSDAP auf, jedoch verliert die Schulz-Gruppe rasch an Bedeutung. Schulz war laut Eminger stets gegen eine Fusion mit der Hitlerbewegung und wollte vor allem Wahlgemeinschaften mit anderen ideologisch nahestehenden Parteien knüpfen, wie etwa den Deutsch-Nationalen. Die Hitlerbewegung lehnte das jedoch „immer strikt ab“.

„Schlimmste Ausformung des Antisemitismus“

Zudem machten die Nazis aus ihren Absichten überhaupt nie einen Hehl, fügt Eminger hinzu: „Es ist zwar nie ein industrieller Massenmord an der jüdischen Bevölkerung in ganz Europa propagiert worden, aber der Antisemitismus, und zwar ein rassischer Antisemitismus, war immer da und wurde offen kommuniziert.“ Doch viele schreckte das nicht ab, „weil auch viele andere Parteien in Abstufungen diesen Antisemitismus oder eine Judenfeindlichkeit vertreten haben“.

Doch für die „schlimmste Ausformung des Antisemitismus“ seien immer die Nationalsozialisten gestanden. Im August 1926 wurde zudem innerhalb der wachsenden Hitlerbewegung der Gau Niederösterreich als Organisationseinheit eingeführt. Erster Gauleiter war Josef Leopold aus Langenlois (Bezirk Krems), der wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft auch aus dem Bundesheer entlassen wurde.

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Stadtarchiv Krems
Josef Leopld, erster Gauleiter in Niederösterreich und ehemaliger Landesrat

Nazis wollen Landtag „zerstören“

Nach der Landtagswahl am 24. April 1932 zogen acht Abgeordnete der NSDAP in den Landtag ein. Josef Leopold, der nun auch Fraktionsführer war und später zum Landesrat ernannt wurde, untermauerte bei seiner Antrittsrede die antidemokratische Ausrichtung seiner Partei und kündigte an: „Wir gehen nur in dieses parlamentarische Gremium, um es zu zerstören.“

Im selben Jahr feiern die Nationalsozialisten auch in vielen Gemeinden Erfolge. Diese Aufwärtsentwicklung wurde speziell durch die weltweite wirtschaftliche Krise begünstigt, sagt Eminger: „Alle Parteien haben Auswege aus dieser Wirtschaftskrise gesucht, die aber eine Weltwirtschaftskrise war, sodass ein einzelnes Land nur beschränkte Möglichkeiten hatte, da etwas zu tun.“

In Deutschland brachte man die Arbeitslosigkeit hingegen sehr schnell in den Griff. „Dass das damals natürlich vor allem Rüstungsinteressen geschuldet war, hat damals auch noch nicht so interessiert.“ Allerdings stellt die Hitlerbewegung ab 1932 auch in mehreren Gemeinden im Waldviertel den Bürgermeister, wie in Gmünd und in Zwettl.

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Stadtarchiv Zwettl
Zwettl war 1932 eine der ersten Gemeinden, die einen nationalsozialistischen Bürgermeister hatten

Aufstieg und Fall

Und in Krems. Damals wurde laut Streibel auch eine eigene Zeitung herausgegeben, in der viele Firmen inserierten und sich bereits als „arisch“ bezeichneten. „Der Nationalsozialismus war damit in der Gesellschaft angekommen. Man hat den Spagat zwischen Bürgertum und Arbeitslosen gut geschafft.“ Etwa indem man in der Judengasse ein SA-Heim (die Sturmabteilung war die paramilitärische Kampforganisation der NSDAP, Anm.) gründete, wo Arbeitslose, die keine Wohnung hatten, zu ganz günstigen Mieten untergebracht wurden.

Doch Krems war auch Schauplatz dafür, dass die NSDAP schließlich in Österreich ab Juni 1933 verboten wurde. Denn die Nationalsozialisten versuchten in dieser Zeit durch Terroranschläge und Gewalt auf der Straße Unruhe zu schaffen. So auch am 19. Juni 1933, als eine 56 Mann starke Abteilung der Hilfspolizei, alle waren „Wehrturner“ der christlich-deutschen Turnerschaft, in Egelsee nahe Krems eine Waffenübung abhielt.

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Anno/Illustrierte Kronen Zeitung

Als die Männer durchs Alauntal nach Krems zurückmarschierten, passierten sie einen Hohlweg. Plötzlich flogen von einem steilen Waldhang drei Handgranaten auf den Trupp. 30 Männer blieben verletzt im Hohlweg liegen. „Verletzungen, wie man sie nur im Krieg sah“, wird man später berichten. Einer von ihnen – Franz Blamoser – überlebt den Anschlag nicht, und ist damit das erste Opfer im Kampf gegen den Nationalsozialismus in Österreich.

Verbot der „NSDAP Hitlerbewegung“

Von da an ging die Bundesregierung gegen die nationalsozialistische Gefahr entschieden vor. Noch am Abend des Anschlags trat in Wien der Ministerrat zusammen und verfügte auf Antrag von Sicherheitsminister Emil Fey ein Verbot der „NSDAP Hitlerbewegung“ und all ihrer Neben- und Unterorganisationen. Einer der Täter wurde ebenfalls in der Nacht noch gefasst. Über Krems wurde eine Art nächtliche Ausgangssperre verhängt.

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Anno/Der Abend

Am 23. Juni 1933 wurden den Abgeordneten der NSDAP ihre Mandate aberkannt – auch im Landtag. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, der damals schon autoritär regiert, wollte damit weitere Anschläge und Unruhen unterbinden. „Doch es ist nach dem Parteienverbot mit den Terroranschlägen sogar noch schlimmer geworden, es ist eine unglaubliche Terrorwelle losgebrochen“, erzählt Eminger, die erst mit der Ermordung Dollfuß’ und dem gescheiterten Putschversuch im Juli 1934 endete.

Rückzugsort der „Illegalen“

Krems verlor seine Bedeutung trotzdem nicht. Denn ab sofort wurde die illegale Bewegung von Krems aus geleitet, weiß Streibel: „Unter Leopold liefen dort alle Fäden zusammen.“ Gleichzeitig gab es weitere Anschläge, etwa auf die Schule der Englischen Fräulein oder das Steiner Pfarramt, „weil die Kirche eng mit dem Austrofaschismus verbunden war“. Zudem wurden Flugblätter verteilt, die Organisation war gut vernetzt.

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Stadtarchiv Krems
„Das illegale Krems“ – diese Ausstellung wurde nach der Machtübernahme 1938 im städtischen Museum abgehalten
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Stadtarchiv Krems
In dieser Ausstellung wurde auf die besondere Stellung von Krems im frühen (und eben vor allem im illegalen) Nationalsozialismus hingewiesen
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Stadtarchiv Krems
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Archiv Robert Streibel
Privataufnahmen aus der Zeit der illegalten Nazi-Bewegung
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Archiv Robert Streibel
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Archiv Robert Streibel
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Archiv Robert Streibel
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Archiv Robert Streibel

Ihren Einfluss verlor Krems jedoch ab 1937. Damals kam es laut Streibel zu einer Auseinandersetzung „über die Richtung bzw. den Weg, den man einschreiten will“ – mit Deutschland oder als österreichische NSDAP. Leopold – ab 1935 Landesleiter der NSDAP in ganz Österreich – „ist übrig geblieben“ und wurde im Jahr 1938 – nachdem Pläne der Nazis zur Machtübernahme publik wurden – „kalt gestellt“.

Vergebliches Warten auf den Führer

Im März 1938 musste die Bevölkerung von Krems jedenfalls „vergeblich auf den Führer warten“, sagt Streibel, denn Hitler kam bei seinem triumphalen Einmarsch Richtung Wien in Krems nicht vorbei. Überhaupt hatte Hitler Krems nur einmal besucht, und auch da nur den Truppenübungsplatz, aber nicht die Stadt selbst. „Ein Indiz, dass sich die NSDAP zuvor vielleicht auf die falsche Seite geschlagen hatte.“

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 4.2.2022

Und trotzdem wurde Krems auch nach dem Anschluss in der Propaganda „gut vermarktet“, meint Streibel. Denn während Wien auch im ab 1939 neuen Gau Niederdonau Verwaltungssitz blieb, wurde Krems zur offiziellen Gauhauptstadt erhoben – aber ohne eine einzige Dienststelle. Streibel spricht von „einer Verbeugung vor der Geschichte, weil man schon davor so viel für die Bewegung gemacht hat, Krems war das Tor zum Deutsch-Nationalen“.