Andreas Digruber an den Kraftwerksturbinen
Robert Salzer, ORF NÖ
Robert Salzer, ORF NÖ
„Menschen im Blickpunkt“

Der einsame Wächter des Kraftwerks

Das Kraftwerk Wienerbruck (Bezirk Lilienfeld) wurde vor 110 Jahren gebaut, um Strom für die Mariazellerbahn zu erzeugen. Zu Beginn wohnten noch acht Kraftwerkstechniker mit ihren Familien dort. Seit 20 Jahren sorgt Andreas Digruber allein dafür, dass das Werk läuft.

Allein die Anreise ist gewöhnungsbedürftig, vor allem im Winter. Der einzige Weg hinunter zum Kraftwerk Wienerbruck (Bezirk Lilienfeld) ist ein Schrägseilaufzug. 380 Meter lang über 220 Höhenmeter – so geht es in die Tiefe zur Erlauf.

Speziell im Winter ist der Weg zum Kraftwerk eine besondere Herausforderung, wie Andreas Digruber schildert: „Du musst immer rechtzeitig Schnee räumen. Dafür habe ich in den Aufzug eine Schneefräse eingebaut. Aber, wenn zu viel Schnee liegt, schafft sie es auch nicht mehr. Dann kann es sein, dass wir eingeschneit sind. Für zwei Wochen ist es kein Problem, so viele Vorräte haben wir immer.“

Kraftwerk und Wohnhaus Wienerbruck
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So idyllisch der Wohn- und Arbeitsplatz auch aussieht: Im Winter gibt es Zeiten, in denen das Kraftwerk eingeschneit ist

Als Kind im Kraftwerk aufgewachsen

Oft muss der Weg nach Hause noch ausgefräst werden. Nach Hause heißt – das Kraftwerk Wienerbruck der EVN. Arbeitsplatz und Heim zugleich – nicht nur für Andreas Digruber, sondern inzwischen auch für seinen Sohn Simon, der hier aufgewachsen ist und die Situation am Grund der Ötschergräben seit seiner frühesten Kindheit kennt.

Schwester Astrid zog inzwischen aus, Simon, nunmehr 21 Jahre alt, ist mittlerweile ebenfalls ausgebildeter Kraftwerkstechniker – die nächste Generation. „Wenn man bedenkt, dass die Laufräder hier zum Teil 110 Jahre alt sind, und wenn man in der Früh um fünf Uhr aufsteht und schon hört, dass sie gerade hochfahren, dann ist das schon faszinierend. Das ist das, was dieses Kraftwerk für mich ausmacht“, so Simon Digruber.

20 Jahre allein verantwortlich

Das Kraftwerk wurde ursprünglich gebaut, um die Mariazellerbahn mit Strom zu versorgen. Diese Aufgabe haben die Wienerbrucker Turbinen heute nicht mehr. Das Kraftwerk liefert dann Strom, wenn er für das EVN-Netz gebraucht wird und wird zu diesem Zweck auch von der EVN-Zentrale in Maria Enzersdorf (Bezirk Mödling) aus ferngesteuert. Die Turbinen können jedoch auch händisch gestartet werden.

In beiden Fällen tun dann hunderttausende Liter Wasser aus dem Stausee ihre Arbeit und treiben die Laufräder an. Andreas Digruber ist seit 32 Jahren an diesem einsamen Arbeitsplatz beschäftigt, 20 Jahre davon allein. Seit Kurzem wird er von seinem Sohn Simon unterstützt. Seither sorgen sie zu zweit dafür, dass diese teils historischen Anlagen klaglos funktionieren.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Andreas Digruber im Schrägseilaufzug
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Der Schrägseilaufzug ist der einzige Weg hinunter zum Kraftwerk. Wenn es zu stark schneit, steht er still
Andreas Digruber im tiefen Schnee
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Im Winter ist das Leben im abgelegenen Kraftwerk an der Erlauf besonders abenteuerlich
Kraftwerk Wienerbruck
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Mittlerweile bekommt Andreas Digruber Unterstützung von seinem Sohn Simon, der ebenfalls Kraftwerkstechniker ist
Vater und Sohn im Schaltraum
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Ursprünglich wurde das Kraftwerk für die Stromversorgung der Mariazellerbahn gebaut

Dabei handelt es sich nicht um einen Acht-Stunden-Arbeitsplatz. Vor allem dann nicht, wenn die 110 Jahre alte Ur-Turbine läuft, die dann eingeschaltet wird, wenn die Mariazellerbahn doch ab und zu wieder Strom aus Wienerbruck braucht, wie Andreas Digruber erzählt: „Im Kopf ist man 24 Stunden dabei. Oft lasse ich mir das Tor zum Kraftwerk in der Nacht offen, dann sehe ich vom Küchenfenster direkt hierher auf die Turbine. Und wenn die Funken fliegen, kann ich mich schon auf den Weg machen.“

Mühsamer Alltag fernab jeden Komforts

Der Weg von seiner Küche zur Arbeit ist nur dreißig Meter lang, bei extremen Schneelagen aber nicht ungefährlich. Vor allem dann, wenn der Schnee zu schieben beginnt, denn das Kraftwerk schmiegt sich an eine steile Felswand. Dann müsse man schon sehr aufpassen auf diesem Weg zwischen Kraftwerk und Haus, sagt Digruber. Aber auch wenn kein Schnee behindert, ist der Alltag mühsam: „Da der Schrägaufzug der einzige Weg ist, bleiben noch die 300 Meter vom Aufzug zum Haus. Wenn wir einkaufen waren, transportieren wir die Lebensmittel in der Scheibtruhe und wenn es regnet oder schneit, kann es passieren, dass das Brot durchnässt ist, wenn wir zu Hause ankommen.“

Vor allem auch für einen 21-Jährigen wie Simon Digruber ist es eine mehr als gewöhnungsbedürftige Art zu leben. Er will sich noch nicht festlegen, ob er künftig auch hier wohnen wird. Zumal es wohl nicht ganz einfach sein wird, das wie sein Vater mit einer Familie zu tun. Arbeiten wolle er sicher einmal im Kraftwerk. Wohnen? „Ich weiß nicht, was in zehn Jahren sein wird.“ Aber, ob Wohnhaus oder nicht, das älteste Kraftwerk des Landes wird weiter von einem Digruber in Schuss gehalten.