Februarkämpfe 1934 St. Pölten
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„100 Jahre NÖ“

1934: Als St. Pöltner auf St. Pöltner schossen

Im Februar 1934 ist es in Österreich zu einem Aufstand von Teilen des Schutzbundes gekommen. Bei bewaffneten Kämpfen gegen Regierungskräfte gab es hunderte Tote. Zu Gefechten kam es auch in St. Pölten, wo der Aufstand aber erst im zweiten Anlauf gelang.

12. Februar 1934 – während in Linz und Wien zwischen Schutzbund und Polizei sowie Militär Gefechte begannen und geschossen wurde, blieb es in St. Pölten zunächst ruhig. Zwar traten die Arbeiter einiger Unternehmen wie Voith und Glanzstoff in Streik, doch der erhoffte Generalstreik in der Stadt blieb aus.

Im Laufe des Tages nahmen Polizei und Militär die meisten führenden Sozialdemokraten fest und besetzten das Rathaus sowie wichtige Schlüsselpositionen, erzählt Stadthistoriker Thomas Lösch: „Das hat auch damit zu tun, dass man es gar nicht so schnell erfahren hat, weil es kein geplanter Aufstand war, der von der Zentrale in Wien aus geleitet wurde.“ Im Rahmen einer Waffensuche in einem Linzer Parteiheim am 12. Februar 1934 leisteten Schutzbündler Widerstand, worauf es in mehreren Bundesländern zu Aufständen kam.

Keine Anweisung zum Aufstand

Die junge St. Pöltner Gemeinderätin Maria Emhart, die an diesem Tag zufällig in Wien war, meldete die Aufstände zwar in die Stadt weiter, erzählt Lösch, „aber niemand hat offiziell gesagt ‚tut etwas‘“. Deshalb wurde aber auch die Eisenbahnlinie in St. Pölten nicht unterbrochen, wodurch Polizei und Militär ihre Truppen zwischen Linz und Wien hin und her verschieben konnten.

Februarkämpfe 1934 St. Pölten
Stadtarchiv St. Pölten
In der Herzogenburger Straße gerieten Mitglieder des Schutzbundes und der Heimwehr bei Feuergefechten aneinander

Erst einen Tag später forderte der führender Schutzbündler, Franz Rauscher, eine Reaktion bzw. solidarische Aktion mit den Wienern. Jene Mitglieder, die noch nicht verhaftet waren – ein paar hundert Menschen – versammelten sich daraufhin im Stadtwald am Rande der Innenstadt. „Dort war man einerseits gedeckt, aber man sieht anderseits auch auf die Kasernen hinunter“, sagt Lösch.

Von diesem Hügel aus versuchten sie wichtige Objekte unter Kontrolle zu bringen. Nach heftigen Feuergefechten mit Gendarmerie und Schutzkorps wurden Schutzbundgruppen aus dem städtischen E-Werk und dem NEWAG-Umspannwerk vertrieben. Bald darauf gab es beim Alpenbahnhof ein Feuergefecht zwischen angreifendem Schutzbund und Bundesheer sowie der Heimwehr. Daraufhin folgten Straßenkämpfe.

Ein Bataillon Arbeiterturner griff zu dieser Zeit die Stadt an, während rund 600 Schutzbündler von Osten her an der Traisenbrücke einen Heimwehrzug bis zur Bezirkshauptmannschaft zurückdrängten. Im Norden bildeten die Baracken in der Herzogenburger Straße Stützpunkte des Schutzbundes, rund 650 Schutzbündler hatten sich hier versammelt.

Februarkämpfe 1934 St. Pölten
Stadtarchiv St. Pölten
Maria Emhart (1901 – 1981)

„Kampfamazone“ als Führungsfigur

Umstritten ist in diesem Konflikt die Rolle von Maria Emhart, eine junge, radikale Gemeinderätin und zugleich Mitglied der Bundesparteirats. Obwohl sie kein Schutzbund-Mitglied war, übernahm sie laut Lösch eine führende Rolle und war Verbindungsfigur zwischen Schutzbund und Wiener Zentrale: „Sie selbst sagt, sie hat nicht gekämpft. Aus Sicht der Austrofaschisten wurde sie aber als Kampfamazone hingestellt und auch verhaftet.“

Laut Lösch dürfte sich Emhart letztlich auch für den Aufstand ausgesprochen haben. Zudem genoss die damals 33-Jährige bei den Jugendlichen „eine ziemliche Autorität“, sagt der Historiker und fügt hinzu, dass sich beim Aufstand auch viele Jugendliche beteiligten, sowohl Wehrturner als auch „viele, die nicht beim Schutzbund organisiert waren“. Frauen hätten etwa im Kinderwagen selbstgebastelte Handgranaten geschmuggelt, Jugendliche gingen auf Streife.

Gegenangriff auf „Hort des Widerstands“

Diese Angriffe wurden aber relativ schnell zurückgeschlagen. Im Gegenzug ging das Dollfuß-Regime zu Gegenangriffen über. Am 14. Februar wurde etwa in der Herzogenburger Straße das „Blaue Haus“ beschossen, ein Gemeindebau, das als „Rote Burg St. Pöltens“ galt. „Das war eben ein Hort des Widerstandes, dort wurde hineingeschossen“, schildert der Stadthistoriker.

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Stadtarchiv St. Pölten

Gegen dieses „Aufrührernest“ wurde im Rahmen einer Waffensuche Maschinengewehrfeuer eingesetzt. Anschließend wurde der Häuserblock gestürmt. Etwa 90 Schutzbündler wurden gefangengenommen. Bis zum Abend hatte das Regime die Lage in St. Pölten unter Kontrolle – auch wenn es bis zum 16. Februar noch „einzelne kleinere Scharmützel“ gab, laut Lösch „Trotzreaktionen“.

Gefängnis platzte aus allen Nähten

Vier Menschen starben im Zuge der Auseinandersetzungen. Zudem wurden hunderte Menschen verhaftet. Laut Lösch waren nicht alle an den Kämpfen beteiligt, allerdings wurde ab diesem Zeitpunkt die sozialdemokratische Partei inklusive ihrer Vorfeldorganisationen verboten. „Weil sowohl das Gemeindegefängnis als auch das Kreisgericht nicht mehr ausgereicht hatten, wurden einige im Harlander Amtshaus interniert. In der Nähe des Bahnhofs wurde ein Anhaltelager errichtet.“

In St. Pölten kam es in den Tagen zwischen 12. und 16. Februar zu den schlimmsten Gefechten zwischen Schutzbund und Regierungskräften in Niederösterreich. Weitere Schauplätze waren sozialdemokratische Hochburgen wie Neunkirchen und Mödling sowie im Traisen-, Ybbs- und Gölsental. Landesweit kamen 15 Menschen auf beiden Seiten ums Leben.

Februarkämpfe 1934 St. Pölten
Stadtarchiv St. Pölten
Nach den Februarkämpfen wurden vorrübergehend hunderte Gefangene im Anhaltelager St. Pölten interniert

Mit Artillerie auf Gemeindebauten

Die härtesten Gefechte gab es jedoch in Wien, vor allem in Gemeindebauten wie dem Karl-Marx-Hof. Dort wurde auch Artillerie eingesetzt. Die Regierungskräfte schlugen den Aufstand mit aller Härte nieder, etwa 350 Menschen wurden bei den Februarkämpfen getötet. Die Kämpfe wurden überwiegend von der Polizei geführt, aber zumeist durch das Bundesheer entschieden. Tatsächlich beschränkte sich der Bürgerkrieg auf Teile Oberösterreichs, der Steiermark und Wiens.

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Stadtarchiv St. Pölten

Nach den Kämpfen kam es zu Standgerichten. Neun Schutzbündler wurden hingerichtet, unter ihnen auch Johann Hois und Victor Rauchenberger in St. Pölten. „Als Abschreckung hat die Regierung angewiesen, dass in jedem Bundesland, in dem es zu Kämpfen gekommen ist, mehrere Leute gehängt werden. Wer, war relativ willkürlich, es hat schon gereicht, dass man dabei war“, erzählt Lösch.

Hois und Rauchenberger sollen am Mord des Heimatschutz-Kommandanten aus Rohrbach an der Gölsen, Johann Lindner, beteiligt gewesen sein. Auch Maria Emhart wurde der Tod am Galgen angedroht. „Man hat gesagt, ‚du bist die erste Frau, die hängt‘“, erzählt der Stadthistoriker. Doch als es schließlich zum Prozess kam, war das Standgericht schon wieder aufgehoben. Emhart musste stattdessen zwar ein paar Monate ins Gefängnis, wurde letztlich aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen. „Man konnte ihr nichts nachweisen.“

Sorge um Arbeitsplatz

Warum in St. Pölten – damals eine Hochburg der Arbeiterbewegung – nicht mehr Widerstand zeigte? Thomas Lösch sieht den Grund einerseits in der damals grassierenden Massenarbeitslosigkeit: „Jene, die Arbeit hatten, haben gewusst, wenn ich da jetzt mitmache, dann bin ich den Job los.“ Und Inhaftierte waren doppelt bestraft, „weil sie nicht nur keine Arbeit hatten, sondern auch für die Haftkosten aufkommen mussten. Das war existenzzerstörend“.

Februarkämpfe 1934 St. Pölten
Stadtarchiv St. Pölten
Auch im Harlander Lager wurden Mitglieder der Sozialdemokratie und de Schutzbundes eingesperrt

Andererseits war die Sozialdemokratie in einem „schwachen“ Zustand. Denn bereits im Frühjahr 1933 zeichnet sich der autoritäre Kurs der Regierung Dollfuß ab. Vor allem gegenüber Sozialdemokraten und Kommunisten demonstrierte man eine Politik der Härte. Der Nationalrat wurde ausgeschaltet, die Kommunistische Partei und der Republikanische Schutzbund der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) wurden verboten. Die Sozialdemokratische Partei selbst war noch erlaubt, aber der Druck auf sie stieg.

„Eigentlich hätte man im März 1933 einen Aufstand machen müssen, damit man die Demokratie wieder zurückerlangt“, sagt Lösch, doch stattdessen zog sich die Sozialdemokratie immer mehr zurück. „Die Anhänger waren demoralisiert und auch die Gewerkschaften geschwächt, weil die Leute gesagt haben, ‚Ihr tut nichts und wir müssen den Kopf hinhalten‘“. Nach den kurzfristigen Streiks zu Beginn gingen die meisten Arbeiter ab dem 14. Februar wieder arbeiten.

Raab wird Bürgermeister

Die Gemeindeverwaltung wurde nach den Aufständen jedenfalls abgesetzt, viele Parteifunktionäre blieben in Haft. Daraufhin kam es zu einem Machtstreit zwischen der Vaterländischen Front und den Christlichsozialen, wer den Bürgermeister stellen darf. Julias Raab, Mitglied der christlichsozialen Partei, sei für die Heimwehren „nicht tragbar“ gewesen, weil er die Gruppe 1930 als dessen Anführer verlassen hatte, so der Historiker.

„Für die Heimwehren galt er als Verräter, mit dem man nichts mehr zu tun haben wollte“, erzählt Lösch. Daraufhin wurde Heinrich Raab – Julius Bruder – aus dem Hut gezogen, der davor politisch noch nie in Erscheinung getreten war. Raab ersetzte Stephan Burger, der des Amtes enthoben wurde, und blieb bis zum Anschluss 1938 erster und bisher einziger Christlichsozialer Stadtchef. Er wurde aber nicht gewählt, sondern von der Landesregierung zum Verwalter ernannt.

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Stadtarchiv St. Pölten
Angehörige der St. Pöltner Heimwehr

Brückenschlag misslingt

Während seiner Amtszeit sei Raab „bemüht gewesen, die Arbeiter zu erreichen und einen Ausgleich zu erzielen“, schildert Lösch. So führte er Armenausspeisungen fort, startete Spendenaufrufe für Arbeiterfamilien, wollte Vaterländische Arbeiterklubs gründen und beließ alle Mitarbeiter im Rathaus im Amt, inklusive Magistratsdirektor. „Doch der Brückenschlag ist ihm nicht gelungen“, meint Lösch, „die gegenseitigen Ressentiments – von beiden Seiten – waren zu groß.“

Sendungshinweis

„NÖ heute“, 14.2.2022

Die Arbeiter wandten sich entweder den Nationalsozialisten zu, die ab 1936 in Ruhe gelassen wurden, oder den Kommunisten. Zudem waren nach wie vor hunderte Sozialdemokraten in Lagern und Gefängnissen eingesperrt, die Demokratie blieb ausgeschaltet. Die Folge war, dass damit auch der Widerstand gegen den Nationalsozialismus dezimiert wurde, betont der Historiker: „Der Hauptfeind war damals nur die illegale Arbeiterbewegung.“