Eine Italienreise hat das Leben von Franz Gierer und seiner Familie grundlegend verändert. Mit dem Singverein ist er 1939 in Italien unterwegs und wird auf die vielen Terrazzoböden in Palästen aufmerksam. „Als Maurermeister hat er sich dafür begeistert und zurück zu Hause hat er sofort begonnen, Terrazzo herzustellen und das hat nie wieder aufgehört“, erzählt Franz Gierers Tochter, Susanna Annerl-Gierer.
Terrazzo verbindet Generationen und Gesellschaftsschichten: Es liegt in italienischen Villen, im Leopoldinentempel im Eisenstädter Schlosspark, im Frauenbad in Baden, im Gartenbaukino in Wien und in ziemlich vielen Schulen und öffentlichen Gebäuden. Auf Platten der Firma Gierer wandert man etwa bald im renovierten Parlament in Wien genauso wie am Vorplatz der Messe Wien. „Es gibt so viele Projekte, dass Wien eigentlich gepflastert ist mit Erinnerungen“, sagt die frühere Chefin Susanna Annerl-Gierer. Sie hat die Firma vor drei Jahren an ihre Tochter Stephanie übergeben.
Social Media bringt internationale Kunden
Seit etwa zehn bis fünfzehn Jahren erlebe sie nun, wie der Terrazzo langsam zurückkomme. Jahrzehnte galt er als veraltet, da ging es bei den Aufträgen vor allem um Instandhaltung oder Reparaturen. Nun haben nicht zuletzt soziale Medien einen Hype um das Muster ausgelöst.
Sendungshinweis
„NÖ heute“, 10.4.2022
„Wir spüren das total“, sagt Geschäftsführerin Stephanie Annerl, „es werden von Jahr zu Jahr mehr Aufträge und auf einmal finden uns viele internationale Leute. Wir liefern viel ins Ausland, mittlerweile auch nach San Francisco.“ Terrazzo wird für Badezimmer, Küchenarbeitsplatten und das Muster auf Geschirr, Deko-Objekten und Kleidung verwendet.
Firmengründer schon für tot erklärt
In den Anfangsjahren der Firma wurde Terrazzo eher gewählt, weil die Platten günstiger als Fliesen und pflegeleicht waren. Gerade zu Beginn musste der Betrieb seine schwersten Jahre durchtauchen: Kurz nach der Gründung muss Franz Gierer in den Krieg einziehen und kommt in Russland in Gefangenschaft. Seine Frau führt die Firma in der Kriegszeit.
„Die Behörde hat dann meinen Vater schon für tot erklärt und man hat meiner Mutter den Betrieb sperren wollen, aber sie hat sich mit Händen und Füßen gewehrt. Zurecht: 1947 kam dann eine Postkarte meines Vaters an und er selbst kam dann im Herbst 1947 nach Hause“, erzählt Susanna Annerl-Gierer.
Gruft für Habsburger, Obelisken im Wiederaufbau
In der Gefangenschaft skizziert Franz Gierer Pläne und Grundrisse für die Werkstätten der Firma, die Zeichnungen besitzt die Familie heute noch, die Häuser wurden nach seiner Rückkehr genauso gebaut. 1979 übernahm dann Tochter Susanna das Terrazzo-Werk: „Das war für mich eigentlich nicht immer klar, aber für meinen Vater. Ich bin niemals gefragt worden, aber zum Glück hat es für mich gut gepasst. Ich war immer sehr glücklich mit dieser Arbeit und habe es immer mit sehr viel Interesse gemacht.“
In über 40 Jahren Firmenführung erlebt man auch einiges: „Mein Vater war immer sehr stolz auf die Gruft im Schloss Artstetten, wo der Thronfolger (Franz Ferdinand, Anm.) liegt. Da hat mein Vater die Sarkophage und die Säulen gezeichnet und gemacht. Es war eine Ehre für ihn, da beim Erzherzog zu sein.“ Ein Auftrag, der für sie immer in Erinnerung bleiben wird, seien die Obelisken auf der Urania in Wien. „Die wurden im Krieg zerstört und wir haben sie nach alten Entwürfen nachgebaut – mit dem Stadtwappen von Wien. Allerdings war mir nicht klar, dass die oben sind zum Montieren, als ich das Angebot gelegt habe“, sagt Susanna Annerl-Gierer und lacht.
Die Übergabe an die dritte Generation lief bereits anders ab. „Ich habe lange gehadert, bin dazwischen mal weggegangen und das war sehr, sehr wichtig. Meine Mutter hat mir immer die Möglichkeit offengelassen, zurückzukommen und diese Entscheidung frei zu treffen“, sagt Stephanie Annerl. Mutter Susanna spricht von einer „ungeheuren Freude“, aber auch von einer Bürde und viel Mut, den es heutzutage für so eine Produktion brauche.
Die Individualisierung im Boden
Über Aufträge muss sich Stephanie Annerl aber derzeit keine Sorgen machen: Der Hype um den Terrazzo füllt die Bücher. Die Gründe dafür sieht die Familie, die sich seit über 80 Jahren mit Terrazzo beschäftigt, in der Individualisierung und der händischen Arbeit. „Es ist die großartige Möglichkeit der Gestaltung in Form und Farbe“, sagt die Seniorchefin. Manche Kundinnen und Kunden würden sich etwa Steine von einem Urlaubsort in ihren Terrazzo einarbeiten lassen. „Und beim Terrazzo spürt man die Handarbeit, das hat Flair, diese händische Arbeit hat Ausstrahlung und das macht es langlebig.“
So übersteht Terrazzo auch mehrere Generationen. Nicht selten kommt es vor, dass Stephanie Annerl in Häusern arbeitet, in denen ihr Großvater schon Stiegen und Böden gebaut hat. „Was mich zufrieden macht bei der Arbeit ist, dass mein Stiegenhaus 200 Jahre stehen wird. Das erhebt mich über den Ärger. Manche Projekte sind wirklich anspruchsvoll, aber das Ergebnis geht über Generationen. Da hinterlasse ich wirklich etwas.“