Windmühle Retz
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„Menschen im Blickpunkt“

Windmühle aus Dornröschenschlaf geweckt

Die Geschichte der Retzer Windmühle klingt wie ein Märchen: Fast 100 Jahre lang war sie ein beliebtes Postkartenmotiv, aber nicht mehr funktionsfähig. Dann kam ein Prinz und küsste sie aus dem Dornröschenschlaf wach. Nun drehen sich ihre Flügel wieder.

Es war einmal eine kleine hölzerne Windmühle, die vor genau 250 Jahren in Retz (Bezirk Hollabrunn) gebaut wurde. Eine kluge Entscheidung, denn im Sommer trocknen dort die Bäche aus – der Wind weht aber beständig. Mit der Windmühle konnte so das ganze Jahr über Getreide gemahlen werden. Im Jahr 1853 wurde die kleine Holzwindmühle von Müller Johann Bergmann durch eine massive Turmwindmühle aus Stein ersetzt. Sie ist heute noch am Kalvarienberg oberhalb von Retz zu sehen.

Bis 1924 war diese Windmühle in Betrieb. Dann wurde die Konkurrenz durch Dampf betriebene Mühlen in der Stadt zu groß. Die Bauern wollten ihr Getreide nicht mehr auf den Kalvarienberg hinauftragen. Die Windmühle fiel in einen Dornröschenschlaf. Die Holzteile vermoderten, die Technik wurde kaputt.

Müllerstochter erforschte die Geschichte der Mühle

„Mein Vater war der letzte Windmüller von Retz“, erzählte im Jahr 2002 Therese Bergmann, die Ururenkelin des Erbauers der Mühle in einem ORF-Interview, „er hat mir noch zeigen können, wie die Mühle funktioniert hat. Als Kinder haben wir in der verfallenden Mühle gespielt. Man konnte bis zum Dach hinauf klettern und hatte einen tollen Ausblick über die Weinberge.“

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Mit großem Engagement der Besitzerfamilie, einer holländischen Mühlenbaufirma sowie öffentlichen und privaten Sponsoren wurde die Mühle wieder komplett instand gesetzt

Jahrzehntelang war die Retzer Windmühle ein beliebtes Postkartenmotiv. Sie wurde zum „technischen Denkmal“ erklärt, im Innenraum gab es ein kleines Museum. Die Geschichte der Mühle wurde von Therese Bergmann in einem Buch festgehalten.

Bei Filmdreharbeiten endgültig zerstört

1993 fanden Filmdreharbeiten für „Die drei Musketiere“ statt. Die alten Windmühlenflügel wurden als Kulisse notdürftig instand gesetzt. In der Nacht kam aber ein so starker Wind, dass zwei Flügel abgebrochen und die Innenkonstruktion komplett zerstört wurden. Wäre die Geschichte wirklich ein Märchen, dann wäre an dieser Stelle eine Dornenhecke gewachsen, die die immer unansehnlicher werdende Mühle verborgen hätte – so lange bis ein Prinz vorbeigekommen wär.

Menschen im Blickpunkt History: Retzer Windmühlen-Familie

Kein Urlaub in Retz ohne Foto von der Windmühle. Der Ur ur ur großvater des jetztigen Besitzers hat die Mühle gebaut, die vor genau 99 Jahren ihren Betrieb eingestellt hat.

Die Dornenhecke wuchs nicht, aber der Prinz kam tatsächlich – statt hoch zu Ross rollte er allerdings mit dem Auto an: „Dieser Prinz war ein niederländischer Windmühleningenieur, der auf der Rückreise von Ungarn zufällig hier vorbeigekommen ist“, erzählt Rudolf Schuch, der heute als Mühlenwart tätig ist. „Der Ingenieur hat die Mühle wachgeküsst. Er wusste, wie man sie reparieren kann.“

Ein holländischer „Prinz“ rettet die Mühle

Mit großem Engagement der Besitzerfamilie, einer holländischen Mühlenbaufirma sowie öffentlichen und privaten Sponsoren wurde die Mühle wieder komplett instand gesetzt. Die Flügel wurden erneuert, ebenso wie die komplette Technik im Innenraum. Auch zwei jeweils 600 Kilogramm schwere Mühlsteine wurden in Holland neu gegossen. Schließlich wollte man die Mühle wieder tatsächlich zum Mahlen von Getreide verwenden. Im Jahr 2010 konnte die nun revitalisierte Mühle in Betrieb genommen werden.

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In den Sommermonaten gibt es täglich Führungen durch die Mühle

Im selben Jahr wurde auch der traditionelle Windmühlenheurige, der direkt unterhalb der Mühle ist, erweitert. „Die Buschenschank hier gibt es schon sehr lang“, berichtet Helmut Bergmann, der jetzige Besitzer der Mühle und Urururenkel des Erbauers: „Meine Vorfahren sind, nachdem die Mühle geschlossen werden musste, Winzer geworden. Meine Eltern haben den Betrieb bereits 1973 erweitert. Jetzt kann man hier auch bei Regenwetter im Trockenen sitzen und die Aussicht genießen."

Sendungshinweis

„NÖ heute“, 24.4.2022

Schüler mahlen Mehl und backen Brot

Neben der typischen Heurigenjause wird Brot serviert, das mit windgemahlenem Mehl gebacken wird. Jedes Jahr am 1. Mai findet ein großes Mühlenfest statt. In den Sommermonaten gibt es täglich Führungen durch die Mühle. Auch Schülergruppen lassen sich die Mühle zeigen und dürfen selbst als Müller und Bäcker tätig werden. Die Geschichte der Retzer Windmühle kann also tatsächlich als wahr gewordenes Märchen bezeichnet werden. Bleibt zum Schluss nur zu schreiben: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.