„Die Hakenkreuzfahnen flattern wie feurige Zungen über den maiengrünen Feldern der Schwechater Ebene. Südlich schimmern die letzten Alpengipfel in firnigem Glast, im Nordosten sieht man in lichtem Sonnennebel die Ausläufer der Karpaten, die bereits zur Tschechoslowakei gehören.“ In fragwürdiger Prosa und mit übertriebenem Pathos beschrieb der „Völkische Beobachter“ am 15. Mai 1938 den Spatenstich des neuen Luftwaffenstützpunktes Schwechat-Ost/Heidfeld.
Zum Festakt war Hermann Göring, Oberbefehlshaber der NS-Luftwaffe und einer der engsten Mitarbeiter Adolf Hitlers, persönlich angereist. Er habe die Überzeugung, „dieser Fliegerhorst hier werde eine Trutzburg des Willens sein zum Schutze der Schaffenden Wiens“, wurde Göring vom NS-Propagandablatt zitiert.
Bereits Jahrzehnte zuvor, in der Monarchie, hatte es Pläne für einen größeren Flugplatz in Schwechat gegeben, erzählt Flughafenhistoriker Rainer Stepan: „Sogar Kaiser Franz Joseph ist gekommen, als ein berühmter französischer Flieger hier war und seine Flugkünste vorgestellt hat.“ Allerdings: Das Gelände gehörte damals dem Brauereiimperium Dreher, „und man hat sich nicht hergetraut, aber der Wunsch der Fliegerei war in Schwechat schon lange da“. Erst mit den Nationalsozialisten sollte sich das ändern, „Göring war die Firma Dreher egal“, stellt Stepan fest.
Der Tag des Spatenstichs im Video
Ein NS-Propagandafilm zeigt die Feierlichkeiten rund um den Spatenstich in Schwechat-Heidfeld mit Hermann Göring (Video zur Verfügung gestellt von der Interessengemeinschaft Luftfahrt Fischamend bzw. dem Feuerwehrarchiv Fischamend).
Es sollte der Auftakt zum dunkelsten Kapitel der Luftfahrtgeschichte in Schwechat sein, das nach der Gebietsreform 1938 Teil von „Groß-Wien“ war. Allerdings spielte der Standort im „Dritten Reich“ nur eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger sollte für Wien der Flughafen Aspern im Norden der Stadt sein. Schwechat-Ost und andere kleinere Militärflugplätze wurden nach dem Abschluss der Bauarbeiten 1940 dem Luftgaukommando XVII unterstellt, Aspern fungierte in dieser Gruppe als „Leithorst“.
Wien-Aspern sollte drittgrößter NS-Flughafen werden
Folglich floss das meiste Geld der Nationalsozialisten auch in den Norden Wiens und nicht nach Schwechat. Mit Aspern hatte man Großes vor: Ein elliptisches Rollfeld im Ausmaß von 2.000 mal 1.600 Metern sollte im Zentrum des drittgrößten Flughafens des „Deutschen Reichs“ stehen. Aus diesen zivilen Ausbauplänen wurde jedoch nichts, die militärische Nutzung jedes Flugplatzes stand im Vordergrund.
Tatsächlich kamen die Fliegerhorste rund um Wien zum Kriegseinsatz. Im April 1941, zu Beginn des Balkan-Feldzuges, wurden Angriffe auf die jugoslawische Hauptstadt Belgrad geflogen. Die Folge waren enormes Leid unter den Zivilistinnen und Zivilisten, aber auch ein militärischer Erfolg, denn nur wenige Wochen später kapitulierte das Land.
Vom Fliegerhorst zur Waffenfabrik
Die Luftwaffenstützpunkte der „Ostmark" verloren in der folgenden Zeit ihre direkte militärische Bedeutung. Das gipfelte 1942 sogar darin, dass die Luftwaffe ihre beiden Fliegerhorste Schwechat-Heidfeld und Schwechat-Süd (Zwölfaxing) den aus Norddeutschland übersiedelnden Heinkel-Flugzeugwerken als Werkflugplätze überlassen musste“, schreibt Franz J. Gangelmayer in seinem Buch „Wien in der nationalsozialistischen Ordnung des Raums“. „Damit wurde Wien und seine Umgebung doch noch Zentrum der großdeutschen Luftfahrtindustrie.“
Im weiteren Kriegsverlauf nahm die Produktion von Flugzeugen am Standort immer weiter zu. „Während Schwechat-Heidfeld als Nachtjägerwerk fungierte, wofür extra eine 1.500 Meter lange Betonpiste gebaut wurde, diente Schwechat-Süd der Fertigung viermotoriger Bomber“, so Gangelmayer.
Massenhafter Tod im KZ „Schwechat II“
Mit dem Ausbau der Produktionskapazitäten erhöhte sich in den Flugzeugwerken auch das Leid der Zwangsarbeiter. Ab August 1943 kamen hier KZ-Häftlinge zum Einsatz, „Schwechat II“ war somit ein Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen. Der Flughafen Wien listet auf seiner Website insgesamt 2.656 KZ-Häftlinge, 3.170 ausländische Zwangsarbeiter, 900 Kriegsgefangene und 5.500 inländische Arbeiter auf. Sie mussten auf dem Gelände des heutigen internationalen Flughafens sieben Tage pro Woche 12,5 Stunden pro Tag arbeiten.
Die Arbeitsbedingungen, etwa das Ausmaß der Mahlzeiten, hing bei den Zwangsarbeitern von deren Herkunft bzw. „rassischer“ Zuordnung ab, „während die Bedingungen der KZ-Häftlinge alle gleich unmenschlich und die Überlebensdauer sehr niedrig war“, wie es beim Flughafen heißt. So habe ein KZ-Häftling damals maximal drei bis fünf Monate überlebt. Zahlreiche weitere Todesfälle gab es gegen Ende des Kriegs auf den Todesmärschen Richtung Mauthausen.
Bereits einige Monate zuvor, im Frühjahr und Sommer 1944, hatten alliierte Bomberverbände am Fabriksgelände schwere Schäden verursacht. Die Produktion war daraufhin verlegt worden, in die Seegrotte Hinterbrühl (Tarnbezeichnung „Languste“), in den Brauereikeller Schwechat sowie nach Floridsdorf. Die NS-Zeit „war das dunkelste Kapitel“, sagt der Historiker Stepan. „Es hat sich dort Fürchterliches abgespielt. Man kann gar nicht glauben, wozu der Mensch fähig ist.“ Im Frühjahr 1945 schließlich wurde die Region von der vorrückenden Roten Armee befreit.
Ziesel und Hamster auf Rollfeld
Das wiederauferstandene Österreich wurde in der ersten Zeit mit einem absoluten Flugverbot belegt. In Schwechat habe damals eine ländliche Idylle geherrscht, erinnerte sich ein Flugverkehrskontrolleur in Alfred Komareks Buch „Rings um Wien“: „Auf dem Rollfeld und den beiden Graspisten tummelten sich neben den Feldhasen Karnickel, Ziesel, Hamster und Feldmäuse, nisteten Feldlerchen und Rebhühner, regten Bussarde und Falken ihre Schwingen, die sonnenwarme Betonpiste war oft von Scharen von Wildtauben bevölkert, und zeitig in der Frühe konnte man sogar Fischreiher beobachten, die von den nahen Donauauen auf Besuch gekommen waren, um im hohen Gras das Stehen auf einem Bein zu praktizieren.“
In den ersten Wochen und Monaten der Zweiten Republik rückten die zerstörten Anlagen erneut in den Fokus. Die vier alliierten Mächte (UdSSR, USA, Großbritannien, Frankreich) hatten Österreich und auch die Bundeshauptstadt Wien aufgeteilt, letztere lag aber mitten in der sowjetischen Zone.
Im Juli 1945 einigten sich die vier Länder auf folgende Lösung: Die Sowjets würden von nun an die Flughäfen Aspern und Bad Vöslau (Bezirk Baden) nutzen, die US-Amerikaner jenen in Langenlebarn-Tulln und die Briten und Franzosen jenen in Schwechat. Den Betrieb übernahm dort die britische Royal Air Force (RAF). Der Flughafen wurde aber nicht nur militärisch genutzt. Bereits im Frühjahr 1946 führte British European Airways (BEA) die ersten zivilen Flüge durch. Wenig später folgten die Air France sowie weitere west- und nordeuropäische Fluglinien wie etwa die Scandinavian Airlines (SAS).
Ein Flughafen vor dem Schloss Schönbrunn
Doch dabei sollte es nicht bleiben, schreibt Erwin A. Schmidl in seinem Buch „Österreich im frühen Kalten Krieg 1945-1958“: „Um Wien wenigstens mit einmotorigen Verbindungsflugzeugen erreichen zu könnten, bauten die Westalliierten zwei kleine Landepisten: eine amerikanische am Donaukanal in Nußdorf und eine britische am Wienfluss, direkt vor Schloss Schönbrunn.“
Sendungshinweis
„Radio NÖ am Nachmittag“, 2.5.2022
Dieses Kapitel schildert auch Historiker Stepan: „Die Amerikaner und Briten hatten erkannt, dass sie sonst immer durch die sowjetische Zone fahren mussten, auch mit heiklen Gästen.“ Das sei oft nicht möglich oder peinlich gewesen. „Darum haben sie für ihre heiklen Gäste die Privatflugplätze direkt in ihren Zonen gebaut.“
Vorbereitungen für eine Wiener Luftbrücke
Die Spannungen nahmen in dieser Zeit zu, schildert der Historiker: „Die Sowjets versuchten immer wieder – freilich erfolglos –, die Abmachungen auf Versorgungs- und Verbindungsflüge einzuschränken, und protestierten beispielsweise gegen die Benützung der beiden Flugplätze durch zivile Verkehrsmaschinen oder durch Kampfflugzeuge.“ Die westlichen Siegermächte bauten ihre Transportkapazitäten immer weiter aus, auch in Schwechat. Im Notfall einer Blockade nach Berliner Vorbild sollte ein möglichst großer Teil der Wiener Bevölkerung aus der Luft versorgbar sein.
Ablöse des britischen Kommandanten
Auf dem Flugfeld Schwechat wurde 1947 der britische Hochkommissar, Generalleutnant James Steele, abgelöst. Die „Welt im Film“ berichtete.
1953 wurde bereits Österreichs bevorstehende Unabhängigkeit im Luftverkehr vorbereitet. Eine neue Wiener Flughafenbetriebsgesellschaft entstand, zu 50 Prozent vom Bund und zu je 25 Prozent von den Ländern Wien und Niederösterreich getragen. Ein Jahr später – als Schwechat wieder Teil von Niederösterreich wurde – übernahmen die Österreicher den Betrieb des Flugfelds von den Briten.
Auch Österreichs Luftraum war frei
Im Jahr des Staatsvertrags, 1955, wurde der Standort des künftigen größten Flughafens des neuerdings souveränen Österreichs fixiert. Eine Zeit lang sei auch Deutsch-Wagram im Rennen gewesen, berichtet Flughafenhistoriker Stepan. Schließlich habe man sich aber doch für Schwechat entschieden, „weil das einerseits von Wien aus sehr günstig gelegen, andererseits auch von der Bodengestaltung her geeignet war“.
In den folgenden Jahren, während in Schwechat bereits regulärer österreichischer Zivilflugbetrieb stattfand, wurde die Start- und Landebahn immer weiter ausgebaut und auch die Bauarbeiten an den neuen Flughafengebäuden begannen.
Parallel dazu wurde an einer eigenen österreichischen Fluglinie gearbeitet – nach bester österreichischer Manier dem Proporzsystem entsprechend. Auf Seite der ÖVP entstand „Air Austria“, auf Seite der SPÖ „Austrian Airways“ – abheben konnten allerdings beide nicht. Erst nach der Fusion gab es 1958 die ersten regulären Flüge der neuen Austrian Airlines – einer „überparteilichen“ Fluglinie.
Viele Bauvorhaben, noch mehr Passagiere
1960 schließlich war dieser Meilenstein der österreichischen Luftfahrtgeschichte geschafft, der Flughafen Wien-Schwechat wurde mit den politischen Spitzen der Republik feierlich eröffnet. Interessant sei an der Konstruktion vor allem das „sehr progressive Hängedach“ gewesen, sagt Historiker Stepan.
„Bei Wien ist ein Flughafen entstanden, der allen Anforderungen des Flugverkehrs unserer Zeit entspricht“, erklärte Bundespräsident Adolf Schärf bei der Eröffnung. Die neue Einrichtung sichere nicht nur der Bundeshauptstadt, sondern der ganzen Republik ihre Stellung im zwischenstaatlichen Luftverkehr. „Möge der neue Flughafen in Frieden seiner Aufgabe dienen, ein Tor Österreichs zur Welt zu sein.“
Bald schon wurde dieses „Tor zur Welt“ allerdings zu klein. Die Passagierzahlen waren in den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs rasant angestiegen. Gut 300.000 Fluggäste gab es bereits 1959, 25 Jahre später sollten es schon zwei Millionen sein.
Deshalb kamen noch im Verlauf der 1960er Jahre die ersten Zubauten, und auch die Planungen für eine zweite Piste wurden gestartet. Sie wurde 1977 in Betrieb genommen – unter heftigen Protesten von Anrainerinnen und Umweltschützern, wie Alfred Komarek in seinem Buch berichtet.
Der Traum vom Fliegen im Jahr 1958
Eine Dokumentation aus der Zeit kurz nach dem Staatsvertrag zeigt, wie eine Flugreise damals typischerweise ablief und wie es um die Luftfahrt in Österreich bestellt war.
Blüte der Luftfahrt, aber ohne Aspern
Dieses Jahr gab aber nicht nur einen Vorgeschmack auf das, was rund um die geplante dritte Piste noch kommen sollte, sondern beendete auch gleichzeitig ein anderes wichtiges Kapitel der österreichischen Luftfahrtgeschichte: jenes in Aspern. Nach dem Krieg vor allem als Sportflughafen genutzt, hatte die Einrichtung über die Jahrzehnte immer mehr an Bedeutung verloren. Im Jahr 1977 übersiedelten die Sportflugzeuge nach Bad Vöslau. Der dortige Flughafen gehört nach wie vor zu jenem in Schwechat.
Für Passagiere war hingegen Schwechat nun das Maß aller Dinge. In einem kleinen Land war es das Tor zur großen Welt. Hier starteten und endeten nicht nur Urlaubs- und Geschäftsreisen, hier wurden auch Staatsgäste empfangen. Und es diente als starkes Symbol für die wirtschaftliche und politische Erfolgsgeschichte, die die Zweite Republik in den wenigen Jahrzehnten seit der NS-Diktatur hingelegt hatte.