Synagoge St. Pölten, Außenansicht mit Schild „St. Pölten“
ORF/Felix Novak
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Religion

Synagoge: Ausstellung als Brückenschlag

Die ehemalige St. Pöltner Synagoge soll 2024 als Kultur- und Ausstellungszentrum neu eröffnet werden. Die letzte Ausstellung vor dem Umbau versucht einen Brückenschlag zwischen den Nachkommen der jüdischen Gesellschaft und deren Herkunftsorten.

Zehn Stationen skizzieren die Zeit vom vielseitigen Wirken der Jüdinnen und Juden in ihren Gemeinden in Niederösterreich bis hin zur brutalen und systematischen Vertreibung und Ermordung durch die Nationalsozialisten. Die Ausstellung wurde anlässlich des heurigen Jubiläums „100 Jahre Niederösterreich“ zusammengestellt, sei aber keine einfache Aufgabe gewesen, erzählt Martha Keil, Direktorin des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs.

Als das Thema „100 Jahre Niederösterreich“ mit der Bitte, einen jüdischen Aspekt einzubringen, an sie herangetragen sei, „habe ich spontan gesagt: Da fällt mir nichts ein, da gibt es nichts zu feiern. Da ist nichts, worauf das Land Niederösterreich stolz sein kann, weil diese hundertjährige Geschichte für die jüdischen Gemeinden genau 16 Jahre gedauert hat“, sagt Keil nüchtern.

Eine Ausstellung über die Jahre 1922 bis 1938

Dieser kurzen Zeitspanne widmet sich die Ausstellung nun mit sehr persönlichen Bildern und Informationen einer aus St. Pölten stammenden, von den Nationalsozialisten vertriebenen und ermordeten, jüdischen Familie. Die Nachkommen von Hermann und Irma Löw hätten mit ihren Fotos und Exponaten die Ausstellung erst möglich gemacht, sagt Keil. Nur so sei auch der Brückenschlag zwischen Nachkommen und Herkunftsorten möglich.

Letzte Ausstellung in der ehemaligen St. Pöltner Synagoge, bevor diese umgebaut wird
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Die Ausstellung wird die letzte sein, bevor das Gebäude generalsaniert und umgebaut wird

Es brauche, symbolisch gesprochen, von beiden Seiten Brückensteine – „einerseits, dass sich Nachkommen wieder ihrer Heimat zuwenden, teils unter Protest ihrer Vorfahren, und von unserer Seite, dass wir uns auseinandersetzen mit der Geschichte, dass wir so viele Dinge dem Vergessen entreißen und durch unsere Forschungen auch allgemein publik machen“, ist Keil überzeugt. Die Menschen müssten darüber sprechen und das könne dann „mit gutem Willen von beiden Seiten zu einer Brücke führen“.

Nur zwei Familienmitglieder überlebten Holocaust

Nina Moldauer, Enkeltochter von Hermann und Irma Löw, ist mit ihre Schwester Karin Rivollet aus der Schweiz nach St. Pölten zur Ausstellungseröffnung gekommen. Für Moldauer ist es gerade heute wichtig, die Geschichte an nachfolgende Generationen weiterzugeben.

„Diese Geschichte muss man lernen, denn man sieht, was jetzt in der Ukraine passiert, was Putin von den Nazis erzählt“, meint sie. „Er sagt ja sogar, die Juden seien Nazis geworden oder Hitler sei ein Jude gewesen – das sind alles Geschichten, das ist alles nicht wahr“, betont Moldauer. Man müsse den jungen Menschen daher die reale Version der historischen Ereignisse erzählen.

Nahezu alle Mitglieder ihrer Familie kamen im Holocaust um, erzählt Moldauer, nur zwei Menschen überlebten. Eine war ihre Mutter Edith Goldschmidt, die zunächst nach Palästina auswanderte und später in die Schweiz ging. „Was meiner Familie geschehen ist, ist allen jüdischen Familien von hier geschehen. Es waren einmal mehr als 400 Familien hier in St. Pölten und Umgebung. Heute lebt hier nur nur noch eine jüdische Person“, so Moldauer. Sie ist dankbar über die Ausstellung und die geschichtliche Aufarbeitung, die in der ehemaligen Synagoge und am Institut für jüdische Geschichte Österreichs geleistet wird.

Schmerzhafte Erinnerungen einer Generation

Als Kinder hätten sie oft gefragt, wo die Großeltern seien, doch die Mutter habe nichts erzählt. Die Wunde sei so groß gewesen, sie habe nicht darüber sprechen können. 1998 kehrte Edith Goldschmidt widerwillig für ein Treffen der jüdischen Nachkommen nach St. Pölten zurück. Sie habe nicht herkommen wollen, habe sich aber dann überreden lassen, und die Mauer habe schließlich zu bröckeln begonnen, erzählt Moldauer.

In den letzten Tagen ihres Lebens habe sie die Vergangenheit eingeholt. Edith Goldschmidt habe nach ihrer Flucht aus Österreich nie ein Wort Deutsch gesprochen. Erst in ihren letzten beiden Wochen sei sie zu dieser Sprache zurückgekehrt und habe ausschließlich Deutsch gesprochen, so Moldauer. „Alles begann wieder, die deutsche Sprache, der österreichische Ausdruck, alles kam zu ihr zurück.“