Als die Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt am 14. Dezember 1951 den 200. Jahrestag ihrer Gründung beging, gab es keinen Festakt. Das historische Gebäude, die „Burg“, lag damals in Schutt und Asche, ein österreichisches Militär existierte nicht. Die alliierten Streitkräfte hatten die deutsche Wehrmacht nach dem Ende des Kriegs aufgelöst, ein eigenes Heer für das besetzte Österreich erlaubten sie nicht.
Die historische Einrichtung hatte zu diesem Zeitpunkt schon viel miterlebt. 1751 von Kaiserin Maria Theresia als Reformprojekt gegründet, war sie mehr als ein Jahrhundert lang die wichtigste Ausbildungsstätte der k.u.k. Armee – ursprünglich „für 200 Offizierskadetten, davon 100 Adelige und 100 Söhne von verdienten Offizieren“, heißt es auf der Website des Bundesheers.
Untergebracht war die Militärakademie von Beginn an auf jenem Gelände, auf dem seit dem 13. Jahrhundert die mehrfach zerstörten Burgen von Wiener Neustadt standen. 1768 erneut von einem Erdbeben zerstört, wurde das Gebäude in veränderter Form wieder aufgebaut, diesmal angepasst an die Erfordernisse einer militärischen Ausbildungsstätte.
Eine kurze Phase der Republik
Eine solche blieb die älteste Militärakademie der Welt auch nach dem Ende der Monarchie – baulich praktisch unverändert. Das neue Bundesheer der Ersten Republik führte die Tradition fort und bildete hier bis zum 12. März 1938 ebenso seine Offiziere aus.
Am Tag des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich wollten Nationalsozialisten auch in die Theresianische Militärakademie einziehen. Der damalige Kommandant der Einrichtung, Rudolf Towarek, stellte sich ihnen jedoch entgegen. „Schon vorher hatten zwei SS-Männer versucht, auf dem Rákóczi-Turm die Hakenkreuzfahne zu hissen, was Towarek jedoch untersagte“, heißt es dazu im Bundesheer-Medium „Truppendienst“. Der Kommandant positionierte Soldaten mit geladenem Gewehr vor dem Tor.
Sendungshinweis
„Radio NÖ am Nachmittag“, 13.5.2022
Tatsächlich gelang es ihnen mit Bajonetten, die Nationalsozialisten kurzzeitig zurückzudrängen. „Erst in den Abendstunden – als die ‚Machtübernahme‘ in Österreich vollzogen war – musste die Hakenkreuzfahne auf Weisung der Nationalsozialisten in der Theresianischen Militärakademie auf der Burg gehisst werden“, heißt es im Bericht. Towarek verweigerte den Eid auf den „Führer“ und wurde zwangspensioniert.
NS-Ausbildungsstätte mit dem „Wüstenfuchs“ Rommel
Von nun an stand die Wiener Neustädter Burg unter dem Kommando des NS-Regimes. Dessen militärische Absichten wurden alleine schon mit einer Umbenennung der Einrichtung deutlich. So hieß die Theresianische Militärakademie ab 1938 „Kriegsschule“.
Ein besonderes historisches Kapitel begann im Herbst desselben Jahres. Als Kommandant der Wiener Neustädter Kriegsschule wurde nämlich ein gewisser Erwin Rommel eingesetzt, der wenige Jahre später mit seinen Afrikafeldzügen als „Wüstenfuchs“ bekannt werden sollte. Rommel wurde 1938 mit seiner Familie in einer Villa im nahegelegenen Akademiepark einquartiert.
Die ersten 200 „Oberfähnriche“ der Kriegsschule verabschiedete er am 14. August 1939, berichtete der „Völkische Beobachter“. Eine Woche später, am 22. August, verließ Rommel selbst die Einrichtung. Er hatte nun Wichtigeres zu tun – immerhin begann wenige Tage darauf mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Die Familie des hohen Wehrmachtsoffiziers blieb hingegen noch bis 1943 – wenige Monate vor dem erzwungenen Suizid Rommels – in Wiener Neustadt.
Die Ausbildungseinrichtung der Wehrmacht in der Burg wurde 1940 als Heeres-Unteroffiziers-Vorschule neu aufgestellt, bevor sie 1942 nach München verlegt wurde. Wiener Neustadt war zu dieser Zeit längst zu einem der Zentren der NS-Waffenindustrie geworden, insbesondere die Flugzeugwerke spielten für die strategischen Kriegsüberlegungen des Regimes eine große Rolle.
Angriff auf Wiener Neustadt
Deshalb geriet die Stadt auch bald ins Fadenkreuz der Alliierten. Als Wiener Neustadt 1943 in die Reichweite von Bomberverbänden kam, begann eine Zeit der Zerstörung. Bis zum Ende des Kriegs wurden hier 55.000 Bomben abgeworfen, insgesamt kamen etwa 2.000 Menschen ums Leben.
Wiener Neustadt war die meistzerstörte Stadt Österreichs und gehörte neben Tokio, Hiroshima, Nagasaki, Dresden, Düren, Paderborn und Coventry zu jenen Städten, welche die größten Schäden im Luftkrieg während des Zweiten Weltkrieges hinnehmen mussten. Auch die Burg war betroffen, allerdings erst in den letzten Tagen des Kriegs. Anfang April 1945 geriet sie bei den Kämpfen in Brand. Der Gebäudekomplex wurde dabei praktisch vollständig zerstört.
Direkt nach dem Krieg kümmerte man sich kaum um die Ruine. In Wiener Neustadt fehlte es an allem und eine ehemals militärische Einrichtung genoss keine hohe Priorität. Das änderte sich erst, als ein möglicher Staatsvertrag in Sichtweite kam.
Die NS-Zeit in Wiener Neustadt
Eine Dokumentation zeigt, wie sich Wiener Neustadt in der Zeit des „Dritten Reichs“ entwickelte und wie sehr die Stadt von den Bombardierungen betroffen war.
Ein Bundesheer ohne Wehrmachtsoffiziere?
Mitte der Fünfzigerjahre war die Situation eine heikle: Knapp 20 Jahre lang hatte das österreichische Bundesheer nicht existiert. Dementsprechend war die Suche nach Personal für das wiedererrichtete Heer nicht einfach – insbesondere, wenn man all jene mit Berührungspunkten zur NS-Ideologie ausklammerte. Die alliierten Mächte hatten sich in den Jahren nach ihrem Sieg klar gegen eine Militarisierung Österreichs ausgesprochen. Man wollte unter allen Umständen verhindern, dass sich Österreich mit einer neuen Wehrmacht sofort wieder Deutschland anschließt und den Krieg fortsetzt.
Im Geheimen hatten die nunmehr österreichischen Behörden allerdings jahrelang die Wiedererrichtung einer militärischen Organisation vorbereitet, unter dem Anschein der zivilen Verwaltung bzw. etwas später mit der sogenannten B-Gendarmerie. Immerhin war ihnen bereits klar, dass das eigene Heer eine Vorbedingung für ein neutrales Österreichs sein würde. Dieses müsste immerhin die Möglichkeit haben, das eigene Staatsgebiet im Fall einer Aggression zu verteidigen.
Noch komplexer wurde die Lage dadurch, dass sich die USA zunehmend für eine Wiederbewaffnung Österreichs einsetzten, während die Sowjetunion deutlich zurückhaltender blieb. Im Fall eines sowjetischen Angriffs auf den Westen wollten die US-Amerikaner in Österreich einen Puffer schaffen, der den Vormarsch zumindest verzögern würde. „Ein militärisches Vakuum wollte man in Österreich nicht“, schreibt Peter Alexander Barthou in seiner Diplomarbeit zu dem Thema.
„Oberstenparagraph“ als Hürde für das neue Bundesheer
Im Staatsvertrag 1955 spiegeln sich all diese Überlegungen wider, vor allem im Artikel zwölf. Im sogenannten Oberstenparagraph heißt es, Österreicher, „die in der Zeit vom 13. März 1938 bis zum 8. Mai 1945 in der deutschen Wehrmacht im Range eines Obersten oder in einem höheren Range gedient haben“, seien vom Dienst im Bundesheer ausgeschlossen.
Diese Klausel sollte dafür sorgen, dass weder überzeugte Nationalsozialisten noch politische Wendehälse, die in der Wehrmacht Karriere gemacht hatten, das neue Heer prägen. Nur Soldaten, die zur österreichischen Nation standen, waren willkommen. Allerdings: „Durch die Festlegung des ‚Oberstenparagraphen‘ wurde Österreich vom Zugriff auf eine Militärelite abgeschnitten, die es für den Neuaufbau eines Bundesheeres hätte brauchen können“, schreibt Barthou.
Stattdessen sollte Österreich in erster Linie auf Offiziere aus dem Bundesheer der Ersten Republik zurückgreifen, die von Nationalsozialisten ab 1938 aus politischen Gründen abgesetzt („gemaßregelt“) worden waren. 20 Jahre später waren diese aber fast zur Gänze im Pensionsalter und deren Zahl reichte für das Bundesheer nicht aus.
Lehren aus den Februarkämpfen 1934
Dazu kamen innenpolitische Faktoren, allen voran die SPÖ. Sie war vom Trauma des österreichischen Bürgerkriegs 1934 geprägt, als Bundesheer-Soldaten auf Gemeindebauten geschossen hatten. Ein derartiges Szenario wollte man in Zukunft unbedingt verhindern – das erschien so manchem wichtiger als die nationalsozialistische Vergangenheit der Wehrmachtsangehörigen. „Man versuchte, aus dem Potential, das ausreichend zur Verfügung stand, parteinahe Offiziere herauszusuchen“, schreibt Barthou diesbezüglich in seiner Arbeit.
Deshalb fanden die Parteien zum Teil Umgehungskonstruktionen für ehemalige Wehrmachtsoffiziere. So war man etwa der Ansicht, dass das Dienstverbot „in den österreichischen Streitkräften“, das der Staatsvertrag vorschrieb, nicht für alle Teile des Heeres galt. „Der Begriff Streitkräfte wurde mit kämpfender Truppe gleichgesetzt, was in der Verwaltungstradition Österreichs dazu führte, dass die formaljuristisch abgegrenzte Heeresverwaltung somit nicht von Artikel 12 erfasst war.“
Warten auf Wiener Neustadt
Gleichzeitig wurde der Ausbildung neuer Offiziere großer Stellenwert eingeräumt. Immerhin waren sie nur noch auf den Staat Österreich vereidigt. Die ehemalige Schulungsstätte in Wiener Neustadt war allerdings zum Start des Bundesheers 1955/56 noch nicht bezugsbereit – auch zehn Jahre nach der Zerstörung waren die Schäden dort noch immer nicht behoben. Deshalb wich das Bundesheer vorübergehend ins oberösterreichische Enns bzw. in den Linzer Stadtteil Ebelsberg aus.
Eine glorreiche Rückkehr
Am 1. Dezember 1958 zogen die Offiziersanwärter wieder in die Militärakademie ein. „Mit einem Güterschnelltransport sind wir nach Wiener Neustadt gekommen und um Mitternacht durch die Bahnhofsgasse laut singend gegen die hell erleuchtete, wiedererrichtete Babenbergerburg marschiert“, erinnert sich Adolf Radauer, General im Ruhestand, gegenüber noe.ORF.at. Es sei eine Szene gewesen, die er nie vergessen werde.
Beeindruckt waren die jungen Soldaten damals auch von den Zimmern, ergänzt Günther Greindl. Er war damals Radauers Kamerad, heute ist er ebenfalls General im Ruhestand. „In Ebelsberg hatten wir 40-Mann-Schlafsäle und hier hatten wir plötzlich Zimmer mit sechs Betten und eigener Dusche. Alles war sauber – das war ein einmaliger Qualitätssprung.“
Der erste Jahrgang in Wiener Neustadt
1961 gab es in der Theresianischen Militärakademie erstmals seit dem Krieg eine Ausmusterung, unter anderem mit den Offizieren Radauer, Greindl und Schenner.
Geprägt von Soldaten der Wehrmacht
Beim Treffen zum Jahrestag ihrer Ausmusterung erinnern sich die Angehörigen des ersten Jahrgangs in Wiener Neustadt großteils positiv an ihre Ausbildungszeit zurück. Es sei aber auch eine harte Schule gewesen, räumt Radauer ein: „Erzieherisch waren wir geprägt von Offizieren, die noch die Deutsche Wehrmacht erlebt haben. Da waren Befehl und Gehorsam, Strenge und Disziplin das Um und Auf.“
Nur auf der Ebene der Lehr- und Klassenoffiziere habe es Nachkriegspersonal gegeben, großteils aus der Zeit der B-Gendarmerie, erinnert sich auch Alfred Schenner, Generalleutnant in Ruhestand: „Alle Ebenen darüber waren ehemalige deutsche Offiziere. Die wollten natürlich ihren soldatischen Geist auch an uns weitergeben.“
Er sei damals auch durchaus beeindruckt gewesen von hochdekorierten Weltkriegsveteranen der Wehrmacht. „Als Zugskommandanten hatten wir zuvor in der Garde einen kriegsgedienten Ritterkreuzträger, der uns immer wieder vom Krieg erzählt hat. Das war für mich ein Vorbild“, sagt der pensionierte Soldat.
Erziehung nur „im demokratischen Geist“
Schenners Kamerad Radauer relativiert. Man habe sehr wohl „den soldatischen Geist und die Einsatzfreude“ bewundert, politisch sei „von der Nazizeit oder Wehrmacht“ hingegen nie die Rede gewesen. „Ich habe nie festgestellt, dass uns diese Leute die Gesinnung dieser Zeit weitergeben wollten. Wir waren geprägt von der reinen Aufgabe eines Soldaten zur Verteidigung seiner Heimat.“
Man habe viel über Völkerrecht und die Grundlagen der Republik gelernt, betont auch Greindl: „Damals wurde das nach den österreichischen Vorschriften durchgeführt. Ich habe das schon von Anfang an so empfunden, dass wir im demokratischen Geist erzogen wurden.“
Freude über „eigene Soldaten“
Es habe eine Aufbruchsstimmung geherrscht, die auch im Bundesheer spürbar gewesen sei. „Wenn wir mit der Ehrenkompanie in Wien ausgerückt sind, haben die Leute applaudiert. Da war auf der Mariahilfer Straße ein Spalier“, erinnert sich Schenner. „Die haben sich gefreut, dass wieder eigene Soldaten da sind.“
Am 14. Dezember 1958 gab es auch in Wiener Neustadt Grund für Euphorie: Verteidigungsminister Ferdinand Graf (ÖVP) übergab Josef Heck, dem neuen Kommandanten der Einrichtung, die Schlüssel zur Burg – auf den Tag genau 207 Jahre nach der Gründung der Theresianischen Militärakademie.